Israel: Faszinierendes Land der Gegensätze

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Israel ist ein Land der Gegensätze. Muslime, Juden und Christen leben auf engstem Raum. Doch es gibt Menschen, die versuchen, Brücken zu bauen. Eindrücke von einer Pilgerreise ins Heilige Land. Und warum Israel und Palästina nichts dringender brauchen als zufriedene Touristen.

 
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Ibrahim Salameh trägt ein königsblaues T-Shirt und Jeans, vor seiner Brust baumeln zwei silberne Glöckchen. Die große Gestalt mit dem Strohhut überragt die Gruppe um gut eine Kopfeslänge. Er macht eine halbe Drehung und zeigt auf die Hänge hinter sich: Das könnten die biblischen Hirtenfelder gewesen sein, auf denen die Geburt Jesu verheißen wurde. Könnten, denn: „Wir wissen nicht, wo sie wirklich waren“, sagt der Reiseleiter aus Bethlehem. Die westliche Vorstellung von einer Geburt in einem Stall halten Wissenschaftler jedenfalls für unwahrscheinlich: Eher fand das Ereignis in einer Art Höhle statt, da viele Hirten ihre Herden in Grotten hielten.

Wandler zwischen den Welten

Der palästinensische Christ Ibrahim begleitet deutsch- und englischsprachige Touristen auf ihren Reisen durchs Heilige Land. Geboren in Süddeutschland, kehrte er als Kind mit den Eltern nach Palästina zurück. Am Goethe-Institut in Jerusalem frischte er nebenbei seine Deutschkenntnisse auf und begann, als Reiseführer zu arbeiten. Vor zwei Jahren machte der 49-Jährige seinen Nebenjob zum Hauptberuf. Nicht nur wegen seiner Religion, ist Ibrahim ein Wandler zwischen den Welten.

"Zwischen den Stühlen nicht der bequemste Platz"

26 Jahre lang arbeitete er in einer deutsch-palästinensischen Einrichtung für behinderte Kinder in Beit Jala. Das Reha-Zentrum liegt zwischen Jerusalem und Bethlehem und seine Mitarbeiter kümmern sich um behinderte palästinensische Kinder und Jugendliche, teils direkt in den Familien. Der Träger ist ein deutscher Verein mit dem Namen Life Gate – Tor zum Leben. Der Leiter der Einrichtung, der Hilfsorganisationen 2012 einen Neubau finanzierten, ist Burkhard Schunkert aus Gießen. „Wir sind täglich mit Leuten konfrontiert, die auf beiden Seiten Schlimmes erlebt haben“, sagt der 61-Jährige. „Trotzdem versuchen wir lebendige Brücken zu bauen, auch wenn zwischen den Stühlen nicht gerade der bequemste Platz ist.“

Die Mauer wieder abbauen

Immer wieder kommen deutsche Freiwillige hierher. Wie der 25-Jährige Simon Göttmann, der Heilerziehungspfleger werden will. Er hatte sich in eine palästinensische Studentin verliebt und folgte ihr in ihre Heimat. Oder wie Wolfgang Haubold, ein 73-jähriger Orthopädieschuhmachermeister aus Sachsen. Er will jungen Palästinensern in einigen Wochen in der von einem jüdischen Schuster erworbenen Werkstatt sein Handwerk beibringen. „Ich werde die Mauer hier mit abbauen“, sagt Haubold.

In der 25 000-Einwohner Stadt Bethlehem sind die Christen in der Minderheit. Im ganzen Westjordanland liegt ihr Anteil nur bei knapp zwei Prozent, der Rest der Bevölkerung ist muslimisch. Bethlehem steht unter der Verwaltung der palästinensischen Autonomiebehörde. Wenn die Christen an Weihnachten in der Geburtskirche die Menschwerdung Gottes feiern, tun sie dies inmitten einer arabisch geprägten Stadt. Bethlehem bedeutet auf Arabisch „Stadt des Fleisches“, auf Hebräisch „Stadt des Brotes“.

Zu Fuß durch den Checkpoint

Die Stadt selbst ist nur durch einen Kontrollpunkt erreichbar: Israel ließ nach der zweiten Intifada eine fast acht Meter hohe Trennmauer errichteten. Kameras und Soldaten überwachen den Grenzstreifen. Ibrahim darf den videoüberwachten Checkpoint zum Westjordanland im Bus passieren. „Wenn mich meine Frau fragt, ob ich sie abends im Bus mit nach Bethlehem nehme, muss ich nein sagen.“ Die meisten Palästinenser, die in Jerusalem arbeiten, müssen zu Fuß über die Grenze gehen. Weil die Lufthoheit bei den Israelis liegt, braucht Ibrahim ein israelisches Smartphone, um dies- und jenseits der Grenze ins Internet zu kommen.

Seit Anfang Oktober kommt es fast täglich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis. So werden immer wieder israelische Passanten oder Soldaten mit Messern und Steinen attackiert. Die Sicherheitskräfte verstärkten daraufhin ihre Präsenz an der Grenze und in Jerusalem. An den christlichen Pilgerstätten in Bethlehem, Jerusalem, Nazareth und am See Genezareth, der sich unweit der syrischen Grenze entlang der Golanhöhen erstreckt, ist von den Spannungen so gut wie nichts zu spüren.

Brandanschlag auf Kloster Tabgha

Doch es gibt auch Anschläge auf christliche Institutionen. In der Nacht zum 18. Juni wurde ein Brandsatz in das Atrium des Benediktinerklosters in Tabgha geworfen, der auch die Tür zum Dormitorium in Brand steckte. Die Pforte am Eingang und Büroräume wurden beschädigt, die Kirche mit dem berühmten Brotvermehrungsmosaik blieb verschont. Der Brandanschlag geht auf das Konto national-religiöser Juden, berichtet Pater Matthias, der Verwalter der Klosteranlage. Die auf die Wände gesprühte Parolen auf Althebräisch, die vor „Heiden“ und dem „Dienst an falschen Götzen“ warnten, verrieten sie. Eine Fotodokumentation auf einer hölzernen Stellwand im Innenhof stellt das Ausmaß des Unglücks dar. Wie durch ein Wunder blieben alle Bewohner unverletzt. „Die Taten religiöser Fanatiker aus der jüdisch-orthodoxen Ecke werden nur sehr zögerlich aufgeklärt“, sagt Pater Matthias. „50 Anschläge auf christliche Einrichtungen gab es in den letzten drei Jahren. Nur einer davon wurde aufgeklärt dank großer Medienresonanz.“

Pilgerziel: Geburtskirche von Bethlehem

Die Geburtskirche in Bethlehem teilen sich die Katholiken mit griechisch-orthodoxen und armenischen Gläubigen. An einem palästinensischen Sicherheitsmann vorbei geht man in gebückter Haltung durch den niedrigen, nur 1,25 Meter hohen Eingang der festungsartigen Geburtskirche auf dem Krippenplatz. Es waren die Kreuzfahrer, die das „Tor zur Demut“ verkleinerten, um es besser verteidigen zu können. Hinter der schweren, mit Schnitzereien verzierte Holztür erlebt man eine Überraschung: Bis unter die Decke ragen die Gerüste an den vom vielen Weihrauch fast schwarz gefärbten Säulen. Die Kirche wird seit zwei Jahren umfassend restauriert.

Orientalischer Flair in der Altstadt

Rechts des Mittelschiffs führen Stufen hinab in das Halbdunkel der Geburtsgrotte. Ein 14-zackiger Stern im Boden markiert die Stelle von Jesus Geburt. Männer, Frauen, Kinder knien davor nieder und berühren den Stern mit der Hand. Hier ist immer Weihnachten. Pilger aus aller Welt feiern Gottesdienste – und singen „Stille Nacht“. Die Zeitrechnung im Heiligen Land ist eine andere. Draußen breitet sich die Hitze unter dem hellblauen Himmel aus. Vom Vorplatz der Geburtskirche fällt der Blick auf die wenige Meter entfernte Moschee. Der Muezzin ruft lautstark über ein knarzendes Mikrofon zum Gebet, so dass er bis in den letzten Winkel der Altstadtgassen zu hören ist. Frauen mit Kopftüchern und knielangen Mänteln, meistens von ihren Männern begleitet, drängen sich durch das Gewirr der engen Gassen. Laden an Laden reiht sich aneinander, Tücher, Kleider, Schmuck, Schuhe, Süßes, Brot und Obst – alles verströmt das Flair eines orientalischen Basars.

Hoffnungsschimmer Tourismus

Wie Israel hofft Palästina, vom Tourismus zu profitieren. „Die Leute wissen, wenn sie Probleme machen, fällt das auf sie zurück“, sagt Ibrahim. Seit eineinhalb Jahren kommen wegen des Gaza-Kriegs immer weniger Urlauber. Dabei ist der Tourismus in Bethlehem wie im übrigen Westjordanland der stärkste Wirtschaftszweig. Viele Hotels wurden in den vergangenen Jahren gebaut. Sie drohen zu verwaisen, je länger die politischen Unruhen andauern. Ibrahim will in seiner Heimat bleiben, weil er sich hier mit seiner Frau etwas aufgebaut hat. Seine Tochter studiert in Italien, die drei Söhne sollen es ihr gleich tun. „Jala, jala!“, mit diesem Ausruf treibt uns Ibrahim zum Aufbruch an. Auf ihn wartet schon die nächste Touristengruppe aus Deutschland. Ein Freund holt sie vom Flughafen ab, bis Ibrahim übernimmt.

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