Irgendwie doch paradiesisch

Von Florian Zinnecker
Im zweiten Jahr ist Katharina Wagners "Tristan" noch konzentrierter, ruhiger und spannender geworden. Und dank Darstellern wie Georg Zeppenfeld (links) und Stephen Gould ein Ereignis von hoher musikalischer Klasse. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Foto: red

Die Premierenwoche ist vorbei. Und damit ergibt sich die Gelegenheit für unseren Kritiker, sich von seinen Nachtschichten zu erholen. Und acht aufregende Tage Revue passieren zu lassen. Von Maßstäben und Stirnrunzeln, von Notlösungen und neuen Stars.

 
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Das künstlerische Konzept

Gerade in diesem Sommer könnten die Bayreuther Festspiele ihre größte Stärke vollends ausspielen: ihr Publikum für ein paar Stunden aus dem Alltag zu heben. Und ihnen in völliger Weltabgewandtheit auf dem Grünen Hügel Inspiration, Trost und Ablenkung vom Weltgeschehen zu bieten - durch herausragende Kunst. Nirgendwo ginge das so gut wie hier. Aber Katharina Wagner setzt in ihrer ersten Festspielzeit als alleinige Festspielleiterin andere Prioritäten: mit einem Spielplan, der die Liebhaber traditioneller Ästhetik vor den Kopf stößt, in der Wahl der Regisseure aber gleichzeitig zu konventionell und routiniert bleibt, um wirklich neue Lesarten zu finden - und im Idealfall sogar Maßstäbe zu setzen.

Die Stimmung

Durchwachsen - gar nicht so sehr wegen der erstaunlich schnell vergessenen Islamkritik-Schlagzeilen im Vorfeld oder wegen des Sicherheitskonzepts. Im Gegenteil: Kann der Grüne Hügel nicht auch im nächsten Jahr autofrei bleiben? Die Blechlawine auf der Siegfried-Wagner-Allee nach Aufführungsende braucht nun wirklich keiner - und ohne Autos wirkt der Hügel auch in den Pausen viel luftiger und weitläufiger. Aber die Inszenierungen und auch die musikalischen Ausreißer sorgen, mehr als in den vergangenen Jahren, auch in den Pausen für Stirnrunzeln.

Die Inszenierungen

Ein „Parsifal“, der mehr sein will, aber nicht mehr ist als eine Notlösung nach dem Rauswurf des zunächst engagierten Regisseurs Jonathan Meese. Ein „Ring“, der auch in seiner vierten Saison noch polarisieren kann, der aber auch szenisch unter den  Umbesetzungen seit 2015 leidet. Ein solider „Tristan“. Und ein „Fliegender Holländer“, der nun vor allem durch die neu besetzte Titelpartie auf den letzten Metern noch interessant und spannend ist.

Die Musik

Es ist die zweite  Saison mit Christian Thielemann als Musikdirektor - und es ist der von ihm dirigierte „Tristan“, der als einzige Produktion musikalisch Grund zu echter Begeisterung liefert. Hartmut Haenchen erwies sich im „Parsifal“ als souveräner, unaufregbarer Retter in höchster Not. Axel Kober dirigiert den Holländer solide und routiniert dem Pausenjahr entgegen. Und, die eigentlich vielversprechendste Personalie, Marek Janowski braucht wohl noch eine Saison, um im Bayreuther Orchestergraben vollends anzukommen. 

Die Sänger

Catherine Foster ist mit ihrer herausragenden Brünnhilde auf dem Zenith ihres Könnens angekommen. Georg Zeppenfeld gilt als König Marke, Gurnemanz und Hunding als Entdeckung der Saison. Im überregionalen Fokus steht (vollkommen zurecht) vor allem Klaus Florian Vogt als Parsifal. Weiterhin bemerkenswert: Thomas J. Mayer als Holländer, Stephen Gould als Tristan und Petra Lang als Isolde. Auch viele kleinere Partien ragen heraus: Nadine Weissmann als Erda, Wiebke Lehmkuhl als Norn und Floßhilde, Tansel Akzeybek als Froh und junger Seemann - und Andreas Schager als Erik, der nächstes Jahr Vogt als Parsifal ablöst. Gerade im „Ring“ und in den übrigen „Parsifal“-Rollen sind die Festspiele von der Rückkehr zum Weltklasse-Niveau, die Musikdirektor Christian Thielemann ankündigte, noch ein gutes Stück entfernt.

Die Außenwirkung

Der Premierenabend wurde leicht zeitversetzt in Kinos auf der ganzen Welt übertragen, wenige Tage danach lief die Aufzeichnung auf 3sat. Der "Ring" wurde, mit großem Aufwand und üppigem Rahmenprogramm, live im PayTV übertragen - und sowieso strahlte der Bayerische Rundfunk die Aufführungen im Radio aus. Um Bayreuth zu erleben, muss man Bayreuth gar nicht mehr besuchen, das ist die Botschaft. Aber, so lukrativ die Übertragungen für die Festspiele auch sein mögen: Wenn die übertragenen Produktionen im Mittelmaß festhängen, überträgt sich womöglich auch der Eindruck, dass man tatsächlich nicht mehr nach Bayreuth fahren muss.    

Unter dem Strich

Sind die Produktionen der Festspielzeit 2016 sehenswert, lohnt sich die Reise nach Bayreuth? Größtenteils ja. Sind sie genial genug für die eigentlich paradiesischen Umstände, unter denen sie entstehen (oder entstehen könnten, ginge nicht so viel Zeit, Kraft und Geld dafür drauf, selbstverschuldete Probleme oder nicht rechtzeitig erkannte Schwierigkeiten zu lösen)? Nein, leider bei weitem nicht. Aber, und das ist bisher immer die zweite große Stärke der Festspiele gewesen, nächstes Jahr beginnt’s von vorn.

Was andere Zeitungen meinen - zum "Parsifal":

Süddeutsche Zeitung:  "Gott sei Dank gibt es Dirigent Hartmut Haenchen, der erst vor wenigen Wochen für Andris Nelsons eingesprungen ist und jetzt straff und ohne je die Musik zu vernebeln auf Tempo und Klarheit setzt. Am besten profitiert von diesem nüchternen Dirigat der grandiose Georg Zeppenfeld als Faktotum des Klosters. Er und sein Dirigent werden zuletzt genauso stürmisch und lautstark gefeiert wie Klaus Florian Vogt in der Titelrolle und Elena Pankratova als die große Verführerin Kundry. Nur das Regieteam muss ein paar Buhs einstecken. Bayreuth hat damit also einen soliden "Parsifal" im Repertoire, der in erster Linie musikalisch punktet."

FAZ: "Für die Festspiele in Bayreuth ist das nicht nur viel zu wenig. Diese katastrophale, blauäugig dekorative Nicht-Auseinandersetzung mit diesem heiklen Stoff, an diesem auratischen Ort, ist ein Skandal. Und: ein klägliches Versagen. Laufenbergs Lesart fällt krachend hinter diesen Stand der Reflexion zurück, vielleicht sogar bewusst, wer weiß; schließlich trug es ihm viel Beifall ein, womöglich von falscher Seite."

Die Welt: "Die Suche nach dem scheinheiligen Gral kann getrost auch wieder von vorne starten. Denn letztgültig gefunden wurde er auch in Bayreuth neuerlich nicht."

BR Klassik: "Regisseur Uwe Eric Laufenberg will ein großes Rad drehen. Er inszeniert das Stück als Gleichnis auf das Gewaltpotential der Religionen, als Plädoyer für die Befreiung aus den Fesseln des Dogmas. Das ist gut gemeint, handwerklich schwach umgesetzt, oft langweilig und leider auch nicht frei von Kitsch. Umso mehr überzeugt die musikalische Seite. Hartmut Haenchen hat sich größten Respekt verdient. Und der neue Bayreuther "Parsifal" ist wirklich rundum - hörenswert."

Münchner Merkur: "Furchtbar viel „Tagesschau“ muss Laufenberg konsumiert haben. Religion ist hier nicht Volkes Opium, sondern Zuflucht. Der Triumph, den der gebürtige Dresdner Hartmut Haenchen bei der Eröffnung der Festspiele errungen hat, von denen er für Andris Nelsons beim „Parsifal“ geholt wurde, ist eine späte Satisfaktion."

Zum "Ring"

BR Klassik: "Marek Janowski hat es eilig, soviel ist nach der ersten "Ring"-Serie in Bayreuth klar. Doch nur selten entstehen dadurch große Momente. Schaffte er es im "Siegfried", seine hohen Tempi stellenweise auch mit musikalischer Tiefe und breiter Klangfarbenpalette zu verbinden, so bleibt es in der "Götterdämmerung" überwiegend beim kühlen Abspulen. Dass Janowski Magisches entstehen lassen kann, das hat er zwischen "Rheingold" und "Götterdämmerung" immer mal wieder durchblitzen lassen, für einen einheitlich überzeugenden "Ring" muss musikalisch allerdings noch viel geschmiedet werden."

Süddeutsche Zeitung: "Es ist der eigenwilligste, in genialen Drehbühnenbildern aber auch skurrilste, provokanteste "Ring" seit den Jahrhundert-Nibelungen von Chéreau/Boulez. Hat Wagner mit "Pfuhl" nicht bereits die "furchtbaren", postdramatisch-bizarren Inszenierungen und Bilder vorausgeahnt, mit denen furchtlose Regisseure seine Musikdramen heutzutage konfrontieren? Frank Castorf und sein Bühnenzauberer Aleksandar Denić dürfen sich getrost auf ihn berufen, auch wenn sie den "perfekten Wagnerianern" nun im vierten Jahr ihres "Rings" noch immer zutiefst suspekt sind. Janowski hingegen, der 77-jährige Debütant im Klangabgrund des Grünen Hügels, wurde nach jedem der vier Abende mit Ovationen bedacht, ebenso die Sänger."

FAZ: "Musikalisch ist diese „Ring“-Produktion eine Offenbarung, szenisch ein Offenbarungseid. Der Beifall wollte nicht recht enden, die enthusiasmierte Menge wartete darauf, ob sich Castorf noch einmal blicken ließe, um ihm ein „Buh“ oder „Merde“ an den Kopf werfen zu können. Vergebens."

Münchner Merkur: "Castorf, so scheint es, hat sich im Regiestuhl zurückgelehnt und „mal machen lassen“. Zweierlei zeigt dieses späte Debüt des 77-Jährigen: dass in Bayreuth, man nehme nur Georg Solti, schon ganz andere Kapazitäten Probleme bekamen. Und dass, man erinnere sich an Hartmut Haenchens aktuellen „Parsifal“, Tempo auch Flexibilität, Sensibilität und Kooperation bedeutet."

Die Welt: "Nie wieder Castorf! Marek Janowskis "Rheingold" bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth war ein Triumph. Gelingen konnte ihm das nur, weil er Castorfs abgestandene Ideen ignoriert hat und wieder Musik macht."

Frankfurter Neue Presse: "Für sein eklatantes Scheitern war trotzdem er selbst verantwortlich (Marek Janowski, Anm. der Red.). Auch wer die vielen ungenauen Einsätze vorher noch wohlwollend überhört hatte, konnte spätestens beim mehrmals scheiternden Start des Rheintöchter-Trios in den dritten Aufzug der „Götterdämmerung“ die Ohren nicht mehr verschließen. Hörte man in Pausengespräche hinein, war zu ahnen, dass sich Bayreuths Festspielbesucher mit Castorfs Regie kaum mehr anfreunden werden. Fürs Dirigat geht hiermit eine Bitte an den Bayreuther Musikdirektor: Christian Thielemann, übernehmen Sie!"

AZ: "Der 77-Jährige (Janowski, Anm. der Red) jagt im Parforce-Ritt durch die Partitur. Was im amüsanten „Rheingold“ noch gut ging, wurde in der „Walküre“ zur desaströsen Kamikaze-Tour. Erstaunlich, dass sich scheinbar keiner gegen diese Ignoranz aus dem Graben zur Wehr setzt. Aber auch das wäre Altmeister Marek Janowski wahrscheinlich wurscht."

Zu "Tristan und Isolde"

dpa: "Auch in diesem Jahr bietet ihre Inszenierung eigentlich wenig Anlass für einen solchen Protest. Zwar gibt es durchaus Längen und einige Redundanzen vor allem im ersten und zweiten Aufzug. Eigentlich aber ist ihre Version der Geschichte durchaus stimmig. Dirigent Christian Thielemann bringt das Festspielhaus mit seiner einnehmenden, gleichsam kraftvollen und einfühlsamen Orchesterführung zum Kochen und erntet sogar einige wenige Ovationen - und auch die Sänger werden frenetisch und minutenlang gefeiert, müssen beim Schlussapplaus immer wieder vor den Vorhang treten."

BR Klassik: "Wohl kaum einer hat die Akustik des Festspielhauses derart im Griff wie Thielemann, kaum einer dürfte mit der "Tristan"-Partitur so vertraut sein wie er. Meisterhaft disponiert er Wagners Steigerungen und Klangmischungen, sorgt im Graben für Balance und Präzision, hält alles im Fluss. Symbolträchtig und bedeutungsschwanger wirkt da vieles, psychologisch ausgefeilte Personenregie ist Katharina Wagners Stärke nicht. Kein großer Wurf, diese Inszenierung - wofür die Festspielleiterin am Ende überraschend viele Buhs kassierte."

Für den Fall, dass Sie Kritiker-Stimmen zum "Holländer" vermissen: Diese Inszenierung erregte in ihrem fünften Jahr nicht mehr so viel Rauschen im Blätterwald, dass Nico Friedrich beim Sammeln der Stimmen fündig geworden wäre.