Hohe Warte: Wie Patienten das Atmen lernen

Von Philip Ziegler
Oberarzt Ulrich Pötzl und Chefarzt Patrick Oschmann bei einer Visite im Weaning-Zentrum der Klinik Hohe Warte. Hier lernen Patienten, ohne Maschinen zu atmen. Foto: Andreas Harbach Foto: red

In der Klinik Hohe Warte lernen Patienten, aus eigener Kraft zu atmen. Auf einer neu eröffenten Station werden sie Stück für Stück von Beatmungsgeräten entwöhnt. Gelingt das nicht, stehen die Patienten vor der Frage: Will ich ein Leben an Schläuchen?

 
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Ein Krankenzimmer in der Klinik Hohen Warte. Schläuche. Beatmungsschläuche. Neben den Betten stehen Bildschirme, die jeden Atemzug protokollieren. Die Patienten liegen still in ihren Betten. Tief einatmen – für sie ist das unmöglich. Nur ein Röcheln bricht die Stille. Vor der Zimmertür: Stimmen. Pfleger trappeln auf und ab. Die Patienten sollen hier lernen, aus eigener Kraft zu atmen.

Wochen, wenn nicht Monate lang haben Maschinen das Atmen für die Patienten übernommen. Maschinen, die Ihnen die Luft in die Lunge pumpen. Jetzt warten die Betroffenen auf den Tag, an dem Sie aufatmen können – ohne Schläuche und Kanülen.

Stück für Stück vom Gerät loskommen

„Zwei Drittel unserer Patienten verlassen unsere Station, ohne auf künstliche Beatmung angewiesen zu sein“, sagt Oberarzt Ulrich Pötzl. Er ist einer von drei Oberärzten auf der sogenannten Weaning-Station. Das Konzept der Station ist in Oberfranken einzigartig.

Weaning – zu Deutsch: Entwöhnen – bedeutet, dass die Patienten Stück für Stück ihre Unabhängigkeit vom Beatmungsgerät wiedererlangen. Pötzl vergleicht die Therapie mit Muskeltraining. Zunächst atmet der Patient nur in kurzen Intervallen selbst – fünf Minuten, sechs Mal am Tag. So bleibt ihm Zeit, sich zu erholen. Fühlt der Patient sich nach der Übung wohl, setzen die Pfleger die Beatmung am nächsten Tag etwas länger aus.

Kein Leben am Beatmungsgerät

„Künstliche Beatmung fühl sich falsch an“, sagt Pötzel. Ein gesunder Mensch atme, indem er in der Lunge Unterdruck aufbaut. Dadurch wird Luft eingesogen. Das Beatmungsgerät dagegen drücke die Luft in die Lunge.

Wer ein Leben mit Beatmungsgerät in Aussicht hat, kann den Wunsch verspüren, zu sterben. Pötzl erzählt, ein Patient habe ihm das mehrmals signalisiert. Auch die Kanüle für das Beatmungsgerät habe er sich einmal aus dem Hals gerissen. „In guten Phasen spreche ich mit ihm. Wir sind uns dann einig, dass wir es weiter versuchen“, sagt Pötzel. Er ist guter Dinge. „Wenn wir keine Hoffnung mehr haben und zum Beispiel über Patientenverfügungen klar erkenntlich ist, dass der Patient künstliche Beatmung ablehnt, dann lassen wir ihn auch gehen.“

Gründe für Atemschwäche sind vielschichtig

Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum Patienten an ein Beatmungsgerät gebunden sind. Oft sind es Hirngeschädigte, die ihre Atmung nicht kontrollieren können. Bei manchen Patienten geht der Atemschwäche eine andere Krankheit voraus. Nach komplizierten Operationen mit anschließendem Koma zum Beispiel sind die Nerven der Atemmuskeln geschwächt.

Weaning gibt es seit drei Jahren auf der Hohen Warte. Seit einem Jahr stehen 24 Betten auf der Weaning-Station bereit, auf einer anderen Station ist Platz für 16 weitere Betroffene. Nun, da das Personal geschult und spezialisiert ist, nimmt die Weaning-Station offiziell ihren Betrieb auf. Zu einem Symposium am Mittwoch lud die Klinik Ärzte und Pflegekräfte aus der gesamten Region ein und warb für ihr Konzept.

Intensive Pflege, schnellere Genesung

Bevor die Klinik die Station hatte, mussten die Patienten auf der Intensivstation das Atmen lernen, sagt Pötzl. So umfangreich wie auf der Weaning-Station konnten die Pfleger die Patienten dort nicht betreuen. Schalten die Pfleger das Atemgerät aus, bedeutet das für viele Kranke: Stress. „Es ist ein Unterschied, ob der Patient dann einfach im Bett liegt, oder ob eine Pflegekraft ihn stützt und ihm gut zuredet.“

„Bisher durften die Patienten erst in die Frührehabilitation, wenn der Entwöhnungsprozess beendet war“, sagt Chefarzt Patrick Oschmann. Die neu eingerichtete Weaning-Station verbinde Intensivstation und Rehabilitation. So begleiten zum Beispiel Schluck- und Sprechtrainings die Entwöhnung. „Der Aufenthalt im Krankenhaus verkürzt sich um ein Drittel“, sagt Oschmann.

500.000 Euro hat die Klinik für das Inventar der neuen Station ausgegeben, zusätzlich hat sie vier neue Ärzte und zehn Pflegekräfte eingestellt. „Der Bedarf ist auf jeden Fall da“, sagt Pötzl. Die 24 Betten der Station sind voll belegt.

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