„Kleiner Speer“: Das Leben des Stadthallenplaners Hans C. Reissinger Reissinger: Hitlers Planer in Bayreuth

Von Michael Weiser

Die Stadthalle und ihr wahrer Erbauer: Hans C. Reissinger hieß der Mann, der die Stadthalle zweimal plante. Ein preisgekrönter Architekt und Hitlers Planer, der das alte Bayreuth beinahe stärker zerstört hätte als der Krieg. Seine Geschichte.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Der Mann hatte an jedes Detail gedacht. „Mein Bemühen ging dahin, Räume und Raumfolgen zu schaffen mit festlicher Strahlung, ausgeglichen in Farbe, Form und Proportion“, sprach Hans Carl Reissinger bei der feierlichen Eröffnung der Stadthalle. „Es ist sogar eine Polonaise durch sämtliche Räume möglich. Mit einem solchem Auftakt ist Festesfreude und Stimmung von vorn herein gesichert.“

Man schrieb das Jahr 1965, der Zweite Weltkrieg wurde langsam zur fernen Erinnerung, Deutschland war schon wieder wer, der kommende Reiseweltmeister und Wirtschaftsmacht. Da waren doch Feiern angebracht. „Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen“, sagte Franz Josef Strauß nur wenige Jahre später.

Reissinger bewunderte Albert Speer

Was wiederum ein Talent zur Verdrängung erforderte, wie man es Hans C. Reissinger (1890 bis 1972) wohl  unterstellen darf. Der Mann wurde von den Nazis geschätzt. Und sah in seiner Förderung durch Adolf Hitler nur den gerechten Lohn für sein Talent und seine Tatkraft. Eine Haltung, die er ohne Brüche in die Zeit nach Hitler rettete. Wie schrieb Reissinger in seinen Erinerungen noch über Albert Speer? "Warum soll ein junger Architekt nicht Feuer fangen, wenn er auf einen Bauherren stößt, der Großes vorhat?" 

Man darf annehmen, dass Reissinger mit dieser rhetorischen Frage auch sich selber eine Entschuldigung ausstellte: Wie hätte er nicht Feuer fangen sollen, der bereits bewährte und noch viel mehr versprechende Bayreuther Architekt, als das Regime an ihn herantrat? 

Der Architek hinterließ jede Menge Spuren in Bayreuth

Es ist fast unmöglich, in Bayreuth und seiner Umgebung an Reissinger vorbeizukommen. Wohnsiedlungen, Kirchen, Villen, Firmengebäude - es gab wenig, was der Planer nicht anfasste. Manches davon gedrungen, mächtig, nach heutigem Geschmack fast schon protzig. So wie der Asenturm am Ochsenkopf oder die Kirche in Glashütten. Manches elegant, zurückhaltend, fast schon zierlich. Wie etwa der Reiterbrunnen am Sternplatz oder das Ensemble am August-Bebel-Platz. Auch nach dem Krieg drückte er der Architektur seinen Stempel auf. Etwa in zahlreichen Kirchenbauten wie der Kreuzkirche. Und, wie eingangs geschildert, die Stadthalle. 

Reissinger war in seiner Produktivität kaum zu schlagen. Er beteiligte sich an zahlreichen Wettbewerben, auch für Projekte in Schweden und gar Haiti. Reissinger fasste alles an. Für das vom Krieg zerstörte München legte er 1949 einen preisgekrönten Entwurf für den Marienplatz vor, nur für Fußgänger und Tram. Damit war er seiner Zeit weit voraus. 

Protzarchitektur am Luitpoldplatz

Dass sich Reissinger aber auch von der Gegenwart überwältigen lassen konnte, bewies er im Dritten Reich. Durch einen Anbau an Haus Wahnfried hatte der mit den Wagners eng verbundene Architekt  auf sich aufmerksam gemacht. Bald kam Hans Schemm auf ihn zu, der Gauleiter des Gaus bayerische Ostmark. Und beauftragte ihn mit dem "Haus der deutschen Erziehung", dessen Protzarchitektur bis zum heutigen Tage den Luitpoldplatz verschandelt. 

Schemm, damals auch noch bayerischer Kultusminister, wusste sich von Hitler nicht mehr so geschätzt wie in vergangenen Zeiten. Das Projekt hatte er daher auch für sich behalten. Mit dem Ergebnis, dass Hitler bei seinen Besuchen in Bayreuth ostentativ wegsah, wenn er die Baustelle passierte. Vom fertigen Bau aber zeigte er sich beeindruckt. "Schön, wirklich schön", murmelte der "Führer" nach einer langen, langen Besichtigung. Zumindest schreibt das Reissinger Jahrzehnte später in seinen Erinnerungen. 

Der Weg zu größeren Projekten war geebnet. So baute Reissinger bald die ehemalige markgräfliche Reithalle zum nationalsozialistischen Weiheort um. Benannt wurde sie nach Ludwig Siebert, dem bayerischen Ministerpräsidenten unter Hitler. Zuvor schon hatte er die Trauerfeier für Schemm inszeniert, der im März 1935 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verletzt worden war. Fast die ganze Nazi-Spitze kam dazu nach Bayreuth.

Bayreuth sollte Gauhauptstadt werden

Und Reissinger bekam Folgeaufträge. Bayreuth sollte zur Gauhauptstadt werden. Und Reissinger plante mit großen Strich Aufmarschplätze, riesige Hotels, Kongresssäle und Theater. Der "Führer" schaute seinem Mann in Bayreuth immer wieder über die Schulter. Und war hingerissen. "Reissinger, das kann man nimmer schöner machen, es ist so lebendig und so klar." Nur manchmal äußerte er Kritik. "Ein einziger Saal?", fragte der Diktator zu den Plänen für seine Repäsentationsräume. "Wo soll ich da zum Beispiel Mussolini empfangen? Ich brauche drei Säle, einen Festsaal, einen Vorsaal und einen Speisesaal." 

Das war 1938. Bald sollte Hitler seinen Weltkrieg entfesseln, die Planungen gerieten ins Stocken und lagen bald ganz auf Eis. Hätte Reissinger fortfahren dürfen, hätte er wohl Bayreuth auf längere Sicht und gründlicher zerstört als im April 1945 die Bomben der Amerikaner. "Abreissinger" - das soll seinerzeit sein Spitzname gewesen sein. Die unzähligen Toten, die Hitlers Wahnsinn vor den Bomben auf Bayreuth gefordert hatte: Von ihnen liest man in Reissingers Erinnerungen nichts. 

Seine nähe zur NSDAP schadete ihm später nicht

Reissinger ging unbeschadet aus der Katastrophe hervor. Seine Sieberthalle, sein Haus der deutschen Erziehung waren schwer getroffen. Er aber ging - auch aufgrund der Fürsprache von Winifred Wagner - fast unbehelligt aus dem Spruchkammerverfahren der Alliierten hervor. Lediglich seine Mitgliedschaft in der NSDAP seit 1934 legte man ihm schließlich zur Last. "Das Spruchkammerverfahren hat sich schriftlich glatt erledigt", frohlockte der vermeintliche Mitläufer. Schwerer bestraft wurden Künstler wie der Bildhauer Wackerle, der die Figuren am Portalvorbau der Sieberthalle gefertigt hatte. Er wurde mit Berufsverbot belegt. 

Reissinger, der Künstlertyp, der so gut zeichnen konnte und Hitler schon aus diesem Grunde ganz anders ansprechen konnte, hatte sich nie unnötig mit NS-Organisationen eingelassen. Nach dem Krieg krempelte er wieder die Ärmel hoch. Das beschädigte Haus Wahnfried machte er wieder halbwegs wohnlich, wobei er viel von der alten Substanz zerstörte. 1951 entwarf er das Bühnenbild für die "Meistersinger". Und als in den 60er Jahren seine ausgebrannte Sieberthalle zur neuen Bayreuther Stadthalle werden sollte, übernahm wie selbstverständlich erneut er die Planungen. "Ich bin mit Begeisterung an das Werk gegangen, mit dem mich seit meiner Jugendzeit feine Fäden verbinden", schrieb er später. Als Knabe hatte er dort bereits Vorführungen der Bayreuther leichten Kavallerie, der Chevaulegers, gesehen. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete er sich zur Kavallerie. Und übte 1915 in der ehemaligen Reithalle den Angriff mit der Lanze. 

Eigenlob für die Stadthalle

Ein halbes Jahrhundert später setzte er mit seiner zweiten Planung für Bayreuths wichtigste Halle eine Art Schlusspunkt. Und vergaß nach getanem Werk 1965 nicht das Selbstlob. "Die Synthese zwischen der Formensprache unserer heutigen Zeit und der damaligen Atmosphäre zu finden, war für mich eine ernste, verantwortungsvolle Aufgabe. Unsere Stadthalle hat dadurch eine individuelle Note bekommen, sie ist nicht vertauschbar, wie wir es bei anderen Theaterneubauten der jüngsten Gegenwart feststellen konnten."

Heute plagen sich die Bayreuther wieder mit der Stadthalle. Viele würden den Kasten eben nur zu gerne wegtauschen. Was soll man von Reissinger lassen, was wegreißen? Die hässlichen Holzverkleidungen und unpraktischen Ränge etwa? Soll die neue Stadthalle Kulturort werden oder auch für Kongresse taugen? Der alte Architekt hatte da nie einen Widerspruch gesehen. "Durch eine glanzvolle Lisztwoche der Budapester Oper wurde sie als ideale Kongresshalle weithin bekannt", hatte er schon über seine Ludwig-Sieberthalle geschrieben.

Bilder