Highway to Hell bei Trauerfeier

Von Susanne Will
Der Fingerabdruck eines geliebten, toten Menschen in Gold, das bietet auch Micha-Rolf Christer von Bestattungen Neumann an. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Steuert die Bestattungskultur in Deutschland auf einen Tiefpunkt zu? Das fragt sich der Verband der Friedhofsverwalter. Er trifft sich ab heute in Bayreuth. Es geht dabei auch um moderne Friedhofsgestaltung in der heutigen Gesellschaft. Und die lässt mittlerweile auch die Urnenbeisetzung im Kanalrohr zu.

 
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So geschehen auf einem Friedhof im rheinhessischen Horrweiler. Dort werden bis zu vier Urnen hintereinander in rote, an Kanalrohre erinnernde Röhren gesteckt, dann gesammelt und damit preiswert beigesetzt. Geschmacklos, finden das die Friedhofsverwalter, die Bestattungskultur wandle sich zu einer Kultur der Entsorgung. Oliver Wirtmann vom Bundesverband deutscher Bestatter wird noch deutlicher: „Da ist ein Rohrkrepierer.“

Trend geht zur Feuerbestattung

Den Trend zur Geschmacklosigkeit können Bayreuther Bestatter nicht bestätigen. Micha-Rolf Christer ist Geschäftsführer von Bestattungen Neumann mit acht Filialen in Oberfranken und der Oberpfalz. „Der Trend geht eindeutig zur Feuerbestattung“, sagt er.

Urne ist günstiger

Vorrangig seien die Kosten, die die Hinterbliebenen zu dieser Entscheidung bringen. „Vom Eintritt des Todes bis zur Erdbestattung kostet es die Hinterbliebenen im Schnitt zwischen 2500 und 4000 Euro“, sagt Oliver Wirtmann, „nach oben offen“. Dazu kommt die Grabpflege, die Grabumfassung, der Stein, eine eventuelle spätere Umsetzung. Kosten, die sich bei einer Urne sparen lassen. Über 60 Prozent wurden eingeäschert, sagt Wirtmann, Tendenz nach oben.

Mobilität kontra Grabpflege

Doch es sind nicht nur die Kosten, die den Trend zum Einäscherung fördern. „Der Mensch ist mobiler geworden“, sagt Wirtmann. Kaum einer wohne noch in einem Drei-Generationen-Haus, eine in alle Himmelsrichtungen zerstreute Familie gilt als normal. So bleibt niemand, der sich ums Elterngrab in der Heimat kümmern kann. „Die Urne ist das sepulkrale Signet einer mobilen Gesellschaft“, zitiert Wirtmann denn auch den Volkskundler Norbert Fischer von der Uni Hamburg.

Vom Buddha zum QR-Code

Auf Friedhöfen zeigt sich die Entwicklung zur Individualität: hier ein Buddha, drüber ein Engel, dort ein QR-Code auf dem Granit, der den Verstorbenen digital lebendig werden lässt. „Friedhöfe müssen lernen, sich an den Menschen zu orientieren“, sagt Wirtmann. Zu oft ziehe man sich auf die Friedhofssatzung zurück.

Tomaten auf dem Grab

Die gibt es zwar auch in Bayreuth, aber solange das Grab gepflegt wirkt, bleibt ein großer Spielraum. Stefanie Pfaffenberger ist die stellvertretenden Friedhofsleiterin für den Stadtfriedhof und die Friedhöfe St. Georgen und St. Johannis. Kürzlich gab es im oberbayerischen Neuburg an der Donau Knatsch am Grab: Eine Frau hatte auf dem Grab ihrer Großeltern Tomaten angepflanzt. „Ein Friedhof ist doch kein Schrebergarten“, schimpfte die örtliche Friedhofsreferentin. Pfaffenberger: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich die essen wollte – aber wenn es gepflegt ist, kann ich mir das durchaus auch vorstellen.“ Wo kürzlich der Friedhofsausschuss in Bayreuth ein Veto einlegte: „Jemand wollte Rollrasen auf dem Grab. Das geht nicht. Denn ein Grab soll als solches erkennbar sein.“

Highway to Hell als Trauerfeier-Musik

Auch was die Trauerfeier angeht, werden die Menschen kreativer. Es geht weg von der kirchlichen Agenda, hin zu persönlichen Feiern. Bestatter Micha-Rolf Christer: „Die finden dann meist in unseren Trauerhallen statt. Da zeigen die Hinterbliebenen Dias des Verstorbenen, es läuft seine Lieblingsmusik.“ Auch Highway to Hell? „Wenn das die Hinterbliebenen haben wollen – natürlich.“ Vielen Trauernden ist die Geste, Erde auf den Sarg zu werfen, zu schwer, zu endgültig, zu hoffnungslos – sie lassen stattdessen Luftballons mit auf Karten geschriebenen Gedanken in den Himmel steigen.

In Deutschland wird mehr gestorben

In Deutschland wird mehr gestorben: Im vergangenen Jahr segneten 925 239 Menschen das Zeitliche. Das ist ein Plus von 6,5 Prozent gegenüber 2014. Das heißt: Der Markt boomt. Und da die Gesellschaft immer individualisierter wird und Kirchen oft nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, basteln sich viele ihre eigene Religion: hier ein wenig Buddhismus, dort ein Sinnspruch in Sanskrit, gern auch tibetische Gebetsfahnen und zum Schluss das „Vater unser“ – gut, wer dann eine „Ritual-Designerin“ hat. Die unterrichtet auch an der Bestatter-Akademie im unterfränkischen Münnerstadt. Dort werden Bayerns Bestatter unter anderem auf einem Übungsfriedhof ausgebildet und erlernen das Handwerk.

"Bedürfnisse wecken, die noch gar nicht da sind"

Ein Bayreuther Bestatter, der namentlich nicht genannt werden möchte: „Der Bedarf ist da. Zur Umsatzmaximierung können wir eher schwer Kunden generieren. Aber wir können Bedürfnisse wecken, die noch gar nicht da sind.“ Braucht es den neuen Trend, die Asche des Verstorbenen zu einem synthetischen Diamanten pressen zu lassen? Oliver Wirtmann vom Bestatter-Verband: „Die Frage ist, ob man sich trauerpsychologisch gesehen damit einen Gefallen tut. Denn was trägt man denn am Finger: Es ist nie nur die Asche des Verstorbenen, es ist auch die Asche des Sarges. Und es wird nicht alles gepresst, der Rest geht zurück. Wie viele Teile des Toten sind also in dem Schmuckstück enthalten.“ Groß ist die Nachfrage nicht, „0,1 bis 0,5 Prozent der Feuerbestattungen werden Edelsteine“, sagt Wirtmann.

Fingeradrücke des Toten als Schmuckstück

Ein Trend auf dem Bestatter-Markt sind sogenannte Fingerprints, also Abdrücke eines Fingers des Toten. Der wird dann beispielsweise in Silber ausgegossen und als Amulett getragen. Die Prints bietet nahezu jeder Bestatter mittlerweile an, auch Micha-Rolf Christer. „Manche wünschen auch einen Teilabdruck der Hand“, erzählt er. Allerdings sei kaum noch eine Nachfrage nach Totenmasken. Die hätten sie früher öfter hergestellt, günstig in Gips für 1500 bis 2000 Euro oder teuer in Bronze. „Aber die sind den meisten jetzt zu kostspielig.“

Grab gen Mekka

Wer sich unter Bäumen bestatten lassen will, muss deshalb nicht mehr in dafür ausgewiesene Ruhewälder. Es geht auch auf dem heimischen Friedhof, auch auf Bayreuths Gottesackern. Ein Zeichen des gesellschaftlichen Wandels sind die muslimischen Gräberfelder auf Friedhöfen. Wie auf den evangelischen Friedhöfen in Bayreuth. „Es sind zunehmend Muslime, die seit langem in Deutschland wohnen“, erzählt Stefanie Pfaffenberger von der Friedhofsleitung.

Sarg statt Leinentuch

Was für Muslime eine Voraussetzung ist, die die Verwaltung gern erfüllt: Das Grab muss nach Mekka ausgerichtet sein. Was nicht geht, ist die traditionelle Bestattung im Leinentuch. „In Bayern ist der Sarg Pflicht.“ Anders als bei Christen wird der Sarg nicht nur mit ein wenig Erde beworfen, er wird von der Trauergemeinde komplett bedeckt. „Das komplette Verfüllen übernehmen allerdings dann wir.“ Und es werden auch keine Sargträger engagiert – das machen die Hinterbliebenen selbst, „allerdings auf eigene Gefahr – und das Absenken übernehmen auch wir“, sagt Stefanie Pfaffenberger.

Illegaler Trend

Bleibt noch der Wunsch vieler, sich Opas Asche auf den Kaminsims zu stellen. Das ist verboten. Aber kein Verbot ohne Umgehung: Ein echter, aber illegaler Trend sind Baumbestattungen. Der Bestatter, der nicht genannt werden möchte: „Wir haben zwar einen Friedhofszwang, aber der kann umgangen werden.“ Nämlich so: „Der Leichnam wird eingeäschert, die Asche auf einen Friedhof ins Ausland ausgeführt. Dafür benötigt man einen Grabnachweis.“ Das kostet zwar, aber das Grab bleibt ungenutzt. Denn: „Sobald die Urne im Ausland ist, kann man dort die Asche mit Blumenerde mischen, einen Baum hineinsetzen und ihn so nach Hause transportieren.“ Dann wächst aus Opas Asche vielleicht ein Nussbaum im heimischen Garten.

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