Haft als Hilfe? 21-Jähriger muss in Knast

Von Marie-Christine Fischer
Symbolfoto: David Ebener/dpa Foto: red

Der Bayreuther Eduard S. (21) ist ein guter Fußballspieler. Er hat den Hauptschulabschluss bestanden und eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker abgeschlossen. Den selben Eduard S. verurteilt das Jugendschöffengericht am Montag zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten, unter anderem, weil er wiederholt im Vollrausch Polizisten angegriffen und massivst beleidigt hat. Einmal zog er sich splitternackt aus und fragte: "Wollt ihr an meinem Schw... lutschen?"

 
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Juli 2015, Hof: Laut Anklage kontrolliert eine Zivilstreife zwei Freunde von S., die in den Saaleauen sitzen und Wodka-O trinken. S. kommt dazu, mischt sich ein. Da wollen die Polizisten auch seinen Ausweis sehen. Er hat darauf keinen Bock, rempelt die Polizisten an, beschimpft sie. "Dreckschwein, Assis, Bullen, Nazis und alle erdenklichen Kombinationen", sagt die beteiligte Polizistin aus. Ihr Kollege fordert S. auf, sich durchsuchen zu lassen.

"Wollt ihr nicht lieber an meinem Schw... lutschen?" Er lässt Hose und Boxershorts herunter, streckt dem Polizist seinen Hintern hin, hebt sein Glied an, geht auf die Polizistin zu. Ihr Kollege packt S., legt ihm Handschellen an. Der reißt sich los, haut ab, wird eingeholt, zu Boden gedrückt. S. beruhigt sich, weint, lässt sich von seinen Freunden wieder anziehen - um im nächsten Moment wieder auszurasten. Auf die Polizisten, die zur Verstärkung gekommen sind und ihn in einen Polizeiwagen bugsieren wollen, schlägt er ein. "Er hat mehr Widerstand aufgebracht, als ein Mensch mit seiner Statur es normalerweise kann", erzählt ein Polizist.

Nur buchstückhafte Erinnerungen

Ob die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft stimmen? "Ich hatte an dem Tag 'nen richtigen Hänger", sagt der Angeklagte. "Wird schon so gewesen sein." Ein Bluttest in der Nacht ergab eine Alkoholkonzentration von 1,87 Promille. Laut Gutachter könnten es zur Tatzeit bis zu 2,44 Promille gewesen sein. Auch bei den anderen Vorfällen war S. starkt betrunken:

August 2015, Bayreuth: S. ist mit dem Roller seines Bruders unterwegs. Als er in der Bahnhofstraße einen Streifenwagen sieht, will er abhauen, weil er getrunken hat. Er stürzt. Polizisten fahren ihn ins Klinikum, um seine Platzwunde nähen zu lassen. S. will nicht, tobt, beleidigt, nicht nur die Beamten, auch die Ärztin und die Schwester, wirft im Behandlungszimmer um, was er zu fassen bekommt.

Oktober 2015, Hof: Im Club "Music Legends" legt sich der Angeklagte mit einem anderen Kerl an - dem Freund des Mädchens, mit dem er gerade getanzt hat. Erst greift der Türsteher ein, dann die Polizei. Wieder wehrt sich S. gegen die Festnahme, mit Beleidigungen, Tritten, indem er eine Polizistin gegen das Schaufenster neben dem Eingang zum Club drückt.

November 2015, Bayreuth: S. ist zwischenzeitlich wieder nach Bayreuth gezogen, wo er aufgewachsen ist, und wohnt bei seiner Mutter (Deshalb wird der Fall in Bayreuth verhandelt, nicht in Hof; Bei Jugendlichen gilt das Wohnortprinzip). Seine befristete Festanstellung als Kfz-Mechatroniker in seinem Ausbildungsbetrieb in Hof hat er hingeworfen. Eines Abends stoppt ihn eine Streife, weil er in Schlangenlinien mit einem Damenrad auf dem Hohenzollernring fährt. Er stimmt einem Alkotest zu. Als er das Ergebnis sieht - deutlich über 1,1 Promille und damit eine Straftat - wird er wieder agressiv, beleidigend.

Mehrer Vorstrafen

Wären es "nur" diese vier Vorfälle gewesen, wäre Eduard S. vielleicht mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Aber er hat Vorstrafen. Weil er mit einem Kumpel Marihuana im Wert von 400 Euro über die Grenze schmuggeln wollte, ist er auf Bewährung. Mehr als einmal hat er gegen die Auflagen verstoßen.

Familie zerrüttet

In das Bild eines kriminellen will Eduard S. trotz allem nicht passen. Auf der Anklagebankt sitz ein Junge im Karohemd. Einer, der es nicht leicht hatte: Kein Draht zu Vater und Stiefmutter, eine Mutter, die seit Jahren depressiv ist und "eher seine Hilfe benötigt als umgekehrt", wie es Ilse König von der Jugendgerichtshilfe ausdrückt. Einer, der es dennoch hinbekommen hat: Fußball, Schulabschluss, Ausbildung. "Warum um alles in der Welt werfen Sie das alles hin?", fragt Richter Alois Meixner und bekommt keine Antwort von S., der nur resigniert dreinschaut und Kaugummi kaut.

"Ohne Alkohol würden Eduard S. ein ganz anderes Leben führen", ist sich König sicher. Er trinkt, weil er will, sagt der medizinische Sachverständige Klaus-Peter Klante. Süchtig im medizinischen Sinne sei S. nicht.

Weniger Reif als Gleichaltrige

Verteidiger Tobias Liebau und Staatsanwältin Domenique Amend sind sich einig, dass S. seiner Reife entsprechend nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden soll - und dass eine weitere Bewährungsstrafe nicht in Frage kommt. Das Gericht folgt dem und wählt ein Strafmaß, das zwischen dem Antrag der Staatsanwältin (2 Jahre) und dem des Verteidigers (1,5 Jahre) liegt. Die bestehende Bewährungsstrafe wird in die Haftstrafe einbezogen. "Begreifen Sie die Haft als Hilfe", sagt Meixner zu S..

Wittelsbacherring 22, 95444 Bayreuth

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