„Nicht erschrecken“, warnt Lina Pühl, als sie das große Tor aufmacht, hinter dem sich die Saftpresse der Obstkelterei Rauh verbirgt. Der Druck, der hier auf die Äpfel ausgeübt wird, ist stark – und eben laut. Momentan laufen die Maschinen auf Hochtouren. Apfelernte. Dabei sieht es heuer gar nicht so gut aus. Dauerregen zur Apfelbaumblüte und ein erst trocken-heißer, dann nass-kalter Sommer lassen die Apfelernte eher bescheiden ausfallen. Lina Pühl kann’s nicht ändern. So sei das eben, wenn man von der Natur abhängig ist. In diesem Jahr sind die Apfelberge vor dem Betrieb kleiner als sonst. Aber es werden wieder andere, fettere Jahre kommen, ist sie zuversichtlich. „Die Natur hat für uns das größte Überraschungspotenzial. Wir schauen jedes Frühjahr schon zu den Bäumen, wie denn die Blüte ausfällt“, erzählt Lina Pühl lachend von regelrechten Baum-Observationen. Die Obstkelterei Rauh versteht sich als Umtauschbetrieb, erklärt Lina Pühl. „Die Leute bringen ihr Obst, lassen es verarbeiten und bekommen im Gegenzug Saft.“ Und die Garantie: Dieser Apfelsaft ist aus Äpfeln unserer Region.Gerade fährt ein Auto mit Neustadt-Waldnaaber Kennzeichen vor, beladen mit Kisten voller Äpfel. Die werden über eine Waage zunächst in das Apfelsilo befördert, faules Obst oder Steine, die sich unter der Ernte befinden könnten, werden aussortiert. Über eine Schwemmrinne geht es weiter. Dass die Äpfel im Wasserbad zur Presse tänzeln, habe zwei Vorteile: Der Apfel werde schonend transportiert und das Wasser wasche schon einmal groben Schmutz ab. Erst dann kommt das eigentliche Bad.Frisch gemacht, wird dem Apfel jetzt arg zugesetzt, er wird grob zerkleinert, kommt auf die Presse. Zwischen zwei Bändern, die sich immer enger aneinander schmiegen, wird Druck auf die Apfelschnitze ausgeübt, bist sie auch den letzten Tropfen Saft abgegeben haben.Fürs WildHier kommt nichts weg. Jeder Kern, jedes Fitzelchen Schale, jeder Stiel, einfach alles vom Apfel wird verwendet. Denn das schon richtiggehende trockene Überbleibsel, das am anderen Ende der Presse weitertransportiert wird, der sogenannte Trester, findet als Wildfutter Verwendung.Den Saft, der eben noch zwischen den Bändern der Presse heraustropfte, sieht man jetzt nicht mehr. Er wird gleich in einen Behälter gefüllt, von dort geht er entweder in die Abfüllerei und dort in Flaschen oder ins Tanklager. Aus den riesigen Tanks kann dann auch später im Jahr abgefüllt werden. Soll der Apfelsaft nicht naturtrüb bleiben, muss er noch filtriert werden.Hochsaison beim Apfelsaft ist vom 1. September bis 10. Dezember. Vorher werden Johannis- und Stachelbeeren zu Saft verarbeitet und andere Sorten abgefüllt. Exotische Früchte werden – entweder als Obst oder fertiger Saft – zugekauft. Durch den engen Kontakt zum Kunden – der Obst nicht nur anliefere, sondern das laufende Jahr über den Saft vor Ort abhole – könne der Betrieb auch flexibel auf Wünsche reagieren. Im Gespräch hört man, dass der eine gerne weniger Säure im Saft hätte, der andere gerne einmal diese oder jene Sorte probieren würde. Zum Sortiment gehören auch Beerenweine, „und wir brennen selbst“, sagt Lina Pühl, deutet auf ein ganzes Sortiment an Hochprozentigem im Regal.
Nächste Generation
Die Obstkelterei Rauh gibt es seit 1945. „Oder 1948, so genau wissen wir das gar nicht“, erklärt Lina Pühl den Familienbetrieb. Die nächste Generation steht schon am Start, die Tochter hat sich zur Fruchtsaftmeisterin ausbilden lassen. Mit der Entscheidung zum Weitermachen fiel auch die Entscheidung für eine neue Füllerei. Es wird investiert.Apfelsaft aus Obst der Region – Lina Pühl hofft, dass es auch künftig Menschen gibt, die darauf Wert legen. Und doch macht sie eine erschreckende Beobachtung. Immer weniger Menschen haben ein Verhältnis zum Obst. Wer einen Baum im Garten hat, der ihm auch Arbeit mache, wer Äpfel mühsam ernten muss, entwickelt einen Bezug zum Produkt, das am Ende steht. Doch immer weniger Menschen haben dieses Erlebnis. Erst neulich habe ein Kind auf ihre Frage, ob es denn wüsste, wo der Apfelsaft herkommt, geantwortet: „Den holt die Mama aus dem Kühlschrank.“Dabei liegt das Paradies gleich nebenan. Leider wissen es nur noch wenige.