Frankreichs Wähler retten Europa

Von Henning Otte,
 Foto: red

Die Revolution von rechts ist abgeblasen. Marine Le Pen verliert gegen den Linksliberalen Emmanuel Macron. Es ist Europas Rettung. Doch Frankreich ist zerrissen wie nie. Und der junge Hoffnungsträger muss nun liefern.

 
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Sie wollte Donald Trump nacheifern. Marine Le Pen wollte Präsidentin werden. Einziehen in den Élyseepalast wie der Außenseiter Trump ins Weiße Haus - als «Stimme des Volkes», mit Angstmache und Lügen. Mit Hetze gegen Ausländer und Europa sowie ungedeckten Heilsversprechen. Ein Alptraum für Berlin und Brüssel. Doch kurz vor dem Ziel wurde die Erbin des rechtsextremen Front National gestoppt: von Emmanuel Macron. Einem smarten, linksliberalenEx-Topbanker, den vor einigen Monaten noch kaum jemand auf der Rechnung hatte. Mit nach Hochrechnungen gut 65 Prozent kann er die Demagogin klar auf Distanz halten. Ein beispielloser Triumph nach einem brutalen Wahlkampf.

An einer Weggabelung

Das Land stand an einer Weggabelung. Die Franzosen haben sich trotz mörderischer Terrorwelle und tiefer Wirtschaftskrise mehrheitlich für Europa und gegen Abschottung entschieden. Aber das Wahlergebnis zeigt auch: Frankreich ist ein zerrissenes Land. Der Populismus ist nach Brexit und Trump-Wahl weiter auf dem Vormarsch, auch wenn es dieses Mal in Frankreich (noch) nicht zum Sieg gereicht hat.

Nun also wird der 39-jährige Ex-Berater des glücklosen linken Präsidenten François Hollande und frühere Wirtschaftsminister in wenigen Tagen zum jüngsten Präsidenten Frankreichs aller Zeiten gekürt. Der mit seiner neuen Bewegung «En Marche!» (In Bewegung) sowohl Republikaner als auch Sozialisten geschlagen und damit das traditionelle Parteiensystem aus den Angeln gehoben hat.

Selbst Obama hatte mitgebangt

Das große Aufatmen im Kanzleramt und in der EU-Kommission dürfte fast draußen zu hören gewesen sein. Selbst der frühere US-Präsident Barack Obama hatte mitgebangt. Was stand nicht alles auf dem Spiel? Mit Le Pen hätte der «Frexit»  gedroht - sie wollte raus aus Euro und
Europäischer Union und dazu auch noch das Schengen-Abkommen für das Reisen ohne Grenzkontrollen verlassen. Den deutsch-französischen Motor hätte Le Pen wohl einfach abgewürgt.

Doch die Franzosen zogen den EU-Freund Macron vor («Ich habe Europa im Herzen»). Allerdings war er offensichtlich für viele Wähler nur das kleinere Übel. Je etwa 20 Prozent der Wähler hatten im ersten Wahlgang den von Skandalen gebeutelten Republikaner François Fillon
und den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon gewählt. 

40 Prozent zu verteilen

Diese gut 40 Prozent waren in der Stichwahl zu verteilen. Vor allem Mélenchon-Wähler haderten mit dem ehemaligen Investmentbanker Macron, den sie als «Weiter-So-Kandidaten», als elitär und neoliberal empfanden. In den Eckcafés war immer wieder ein Satz zu hören: «Je
reste à la maison - Ich bleibe zuhause.» Am Ende gaben sich viele gemäßigtere Wähler einen Ruck, um Le Pen zu verhindern. Die vielzitierte Republikanische Front wankte, hielt aber stand.

Für den Front National ist das Ergebnis dennoch ein großer Erfolg. Marine Le Pen gelingt es, das Ergebnis ihres Vaters Jean-Marie Le Pen aus dem Jahr 2002 in etwa zu verdoppeln. Der FN-Gründer und Holocaust-Leugner war damals in die Stichwahl gegen Jacques Chirac
gekommen, was in Frankreich eine Schockwelle ausgelöst hatte. Am Ende holte er 17,8 Prozent und Chirac triumphierte mit 82,2 Prozent, weil auch die Linken für ihn stimmten, um Le Pen zu verhindern.

Seine Tochter hat den FN modernisiert und auch für viele Arbeiter, die früher links waren, wählbar gemacht. Die rechtsextreme Partei ist nun auch auf nationaler Ebene ein wichtiger Machtfaktor geworden. Die Zahlen zeigen erneut: Der Front National ist vor allem die Partei der
Menschen auf dem Land, die sich von Paris abgehängt fühlen. Und die Angst vor zu vielen Ausländern und islamistischem Terror haben.

Experiment mit Risiken

Auch wenn Macron jetzt Schwung für seinen geplanten Reformkurs holen kann - seine Wahl ist ein Experiment mit Risiken. Französische Linksintellektuelle wie der Soziologe und Buchautor Didier Eribon («Rückkehr nach Reims») warnen schon davor, Macrons Präsidentschaft
könnte ein «Konjunkturprogramm» für den Front National sein und Le Pen in fünf Jahren endgültig an die Macht bringen. Sie misstrauen seiner Aussage, weder links noch rechts zu sein.

Macron war bisher eher vage, will zwar die Partnerschaft mit Deutschland stärken, stellt aber Forderungen wie die Stärkung der Eurozone. Er plädiert für einen eigenen Etat mit Euro-Finanzminister. Das Geld soll auch nach sozialen Kriterien verteilt werden. Damit wird er sehr schnell in Berlin und Brüssel hausieren gehen.

Merkel kommt ins Spiel

Denn der politische Senkrechtstarter muss sich schon in gut einem Monat beweisen. Dann stehen die Wahlen zur Nationalversammlung an. Im Parlament hat «En Marche!» bisher keine Abgeordneten. Das soll sich ändern. Um Punkte im Wahlkampf zu sammeln, braucht Macron schnelle Erfolge als Präsident. Und Aufbruchstimmung. Und da kommt Merkel ins Spiel.

Die Union dürfte vom absehbar sozialeren EU-Kurs Macrons kaum angetan sein. Doch auch wenn Angela Merkel vier Monate vor der Bundestagswahl ist, muss ihr daran gelegen sein, Macron nicht im Regen stehen zu lassen. Man ahnt, was der Franzose vorbringen wird, wenn er als Präsident ins Kanzleramt kommt: «Chère Angela, möchtest Du, dass der Front National noch stärker wird?» Schließlich könnte der FN auch im Parlament eine größere Rolle übernehmen, wo sie wegen des Mehrheitswahlrechtes bisher kaum sichtbar ist.

Die deutsche Seite, aber auch Brüssel setzen darauf, dass Macron schafft, woran Hollande gescheitert ist: Frankreich zu reformieren. Galt Deutschland 2005 noch als «kranker Mann Europas», so ist es heute der westliche Nachbar, immerhin die zweitgrößte Volkswirtschaft
der Eurozone. 

Präsident Hollande trat nicht wieder an, weil es ihm nicht gelungen war, die Arbeitslosigkeit zu senken. Noch immer liegt die Quote bei etwa zehn Prozent. In Deutschland nach Vergleichszahlen bei vier.

Lauter Schlagworte

Was will Macron gegen die Misere im Land tun? Er gibt vor allem Schlagworte: Er möchte das Land wettbewerbsfähiger machen, das Arbeitsrecht lockern, 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst abbauen und in fünf Jahren 60 Milliarden Euro einsparen. Bei seinem Konzept
des sozialen Dialogs steht Deutschland Pate. Arbeitgeber und Gewerkschaften, die bisher in ihren Gräben verharrten, sollen sich besser verständigen.

Doch da bleiben viele Fragezeichen. Gelingt Macron, woran seine Vorgänger gescheitert sind? Reformen durchsetzen im streikfreudigen Frankreich? Es sind bittere Pillen, die der Arztsohn seinen Landsleuten verabreichen will. Und bis Erfolge zu sehen sind, kann es dauern. Gerhard Schröder kann davon ein Lied singen. Heute loben viele die «Agenda 2010» des einstigen SPD-Kanzlers, allerdings wurde sein Reformmut damals mit Machtverlust bestraft.

Ein Glamour-Paar

Doch jetzt zieht Macron erstmal in den berühmten Élyséepalast ein - und mit ihm eine neue First Lady. Sein Vorgänger Hollande war ja wegen einer Beziehung mit einer Schauspielerin, zu der er sich auf einem Motorroller fahren ließ, die Lebensgefährtin abhanden gekommen.
Macron bringt seine 25 Jahre ältere Frau Brigitte mit. Ein Glamour-Paar, in das nun viele Franzosen mangels Alternative große Erwartungen setzen. Denn wie sagte François Mitterrand 1981 bei seiner Machtübernahme als Präsident: Es habe bei der Wahl nur einen Sieger gegeben: «Es ist die Hoffnung.»

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