Interview mit Chris Thomale, Vertreter der Erben Wieland Wagners im Richard-Wagner-Stiftungsrat Festspiele: "Ja, wir haben Zweifel"

Von Florian Zinnecker

Die Satzungsänderung sei ein Manöver, um die Richard-Wagner-Stiftung zu entmachten. Das sagt der Jurist Chris Thomale im Kurier-Interview. Thomale vertritt die Erben Wieland Wagners im Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung. Er wirft den Mitgliedern der Festspiel-Gremien Intransparenz vor - und fordert: Über die Festspielleitung sollten künftig nicht mehr nur Politiker entscheiden - sondern auch die, die etwas von Oper verstehen. Ein Interview.

 
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Herr Dr. Thomale, ist es eine gute Idee der Bayreuther Festspiele GmbH, sich eine neue Satzung zu geben?
Chris Thomale: Dass sich die BF GmbH eine neue Satzung gibt, ist nicht zu beanstanden. Sehr wohl aber die Art und Weise, wie das geschieht.

Was meinen Sie?
Thomale: Man hat offenbar den Passus aus der Satzung gestrichen, dass nur derjenige Geschäftsführer der Festspiele GmbH werden kann, den der Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung zum Festspielleiter bestimmt hat. Das offenbart ein politisches Manöver, das anscheinend von langer Hand geplant ist: Die Richard-Wagner-Stiftung soll entmachtet werden.

Die Vertreter der GmbH argumentieren: Der Staat investiert 30 Millionen Euro in die Sanierung des Festspielhauses - und will dafür Planungssicherheit.
Thomale: Aber doch nicht, indem man systematisch alle Befugnisse der Stiftung unterläuft! Die Festspiele GmbH handelt als Wolf im Schafspelz: Zunächst schuf sie Vertrauen und tat so, als verfolge sie dieselben Ziele wie die Stiftung. Unter dieser Prämisse beschloss der Stiftungsrat, das Festspielhaus an die GmbH zu vermieten. Jetzt wird klammheimlich die Satzung geändert – und auf einmal zieht die GmbH ihre Maske ab und entlarvt, was sie die ganze Zeit vorhatte. Es ist, als ob der Staat der Stiftung das Festspielhaus wegnimmt und frei darüber verfügt. Die GmbH erweist sich für die Stiftung als nicht vertrauenswürdige Vertragspartnerin.

Das ist ein bemerkenswerter Vorwurf - auch deshalb, weil viele Vertreter der öffentlichen Hand sowohl in den Gremien der GmbH und als auch in den Gremien der Stiftung sitzen: etwa Martin Eifler als Vertreter des Bundes, Toni Schmid als Vertreter des Freistaats Bayern und Bayreuths Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe.
Thomale: Ja – aber umso bemerkenswerter wird das Manöver. Denn: Wenn Vertreter der Stiftung gegen die Stiftungsatzung verstoßen, hat das unter anderem strafrechtliche Relevanz. Wir sprechen da von Untreue gegenüber der Stiftung. Gegebenenfalls auch von Betrug.

Wenn man auf das rechtliche Fundament schaut, auf dem die Richard-Wagner-Festspiele stehen, sieht man: Interessenkonflikte, Doppelfunktionen, Gremien, die einander nicht trauen, und Regelungen, die einander aushöhlen und überschneiden. Wo steckt das Problem in Bayreuth?
Thomale: Das Problem ist ein strukturelles: Wir haben es bei den Festspielen mit einem relativ einfachen Sachverhalt zu tun, für den es zu viele rechtliche Vehikel gibt. Die rechtliche Übersetzung ist zu komplex.

Der Sachverhalt ist: Es gibt ein Festspielhaus, in dem – finanziert von der öffentlichen Hand und von der "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth" – jedes Jahr Festspiele stattfinden. Sollte die Richard-Wagner-Stiftung die Festspiele selbst betreiben?
Thomale: Nein, es ist schon sinnvoll, dass es eine Festspiele GmbH gibt – um die Stiftung abzuschirmen, was Haftungsfragen und Vollstreckungsschutz betrifft. Aber diese GmbH müsste vollständige Tochter der Stiftung sein.

Das Konstrukt Bayreuth hat sich aus einer Vielzahl politischer Gemengelagen entwickelt. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung war diese Stiftung nicht allein von ihrem kulturellen Auftrag her gedacht. Sie sollte zum Beispiel auch ein historisch unbelastetes Rechtssubjekt schaffen. Später gründete Wolfgang Wagner die GmbH, dessen Geschäftsführer er selbst war.

Es gibt Grund zur Annahme, dass sie eher Wolfgangs Eigeninteressen dienen sollte und eher nicht den Interessen der Stiftung. Inzwischen gibt es sogar Töchtergesellschaften dieser GmbH. Das alles fügt sich wie Jahresringe aneinander, jeder fügt diesem Konstrukt immer neue Rechtssubjekte bei. Es wird immer komplexer, man könnte fast von einem Wagner-Konzern sprechen.

Und die Frage ist: Wem nutzt diese Komplexität?
Thomale: Von Komplexität profitiert immer derjenige, der etwas zu verbergen hat. Ich will niemandem etwas unterstellen, aber: Wer Transparenz scheut, der hat es bei vielen Rechtssubjekten natürlich einfacher, als wenn die Dinge deutlicher strukturiert und Zuständigkeiten klarer verteilt sind. Die Abläufe und Entscheidungswege werden dadurch intransparent und vor allem ineffizient. Und die Stiftung wird schleichend ausgehöhlt, entkernt, entmachtet.

Was gibt es zu verbergen?

Thomale: Man kann natürlich politische Entscheidungsprozesse vertuschen. Was entschieden wird, ist ja oft relativ klar. Aber man weiß nie so richtig, wer wofür so richtig verantwortlich zeichnet. Zum Beispiel heißt es immer wieder: Die Festspielleitung hat einen Vertrag bis 2015. So wird das dann kommuniziert. Die Frage ist aber: Mit wem haben die einen Vertrag? Wie sind sie legitimiert? Wenn man dann genauer hinschaut, sieht man: Die haben einen Arbeitsvertrag mit der GmbH. Das ist schön für sie. Aber das allein legitimiert sie nicht gegenüber der Stiftung als Festspielleiter.

Doch – Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier wurden 2008 vom Stiftungsrat gewählt. Einstimmig.
Thomale: Das ist richtig, allerdings hat sich die Festspielleitung inzwischen verändert – durch die Aufnahme Herrn Senses. Und wenn das geschieht, muss die Stiftung das Wahlverfahren neu einleiten. Das ist in der Sache vollkommen unstrittig und schlug sich etwa in dem alten Mietvertrag nieder, der zu Wolfgang Wagners Zeiten galt. Darin stand: Der Mietvertrag endet, sobald sich die Festspielleitung personell verändert. Und genau das haben wir jetzt. Also müsste jetzt das Wahlverfahren eingeleitet werden. Die Stiftung muss bestimmen, ob sie Herrn Sense – beziehungsweise die neue Kombination der Festspielleiter – möchte. Wenn man jetzt aber trotzdem richtigerweise sagen kann: „Die Festspielleitung hat einen Vertrag bis 2015", dann versteckt man dieses Defizit hinter der Konstruktion der Festspiele. Ja, sie haben einen Vertrag, aber der bindet nur einen Teil des Konstrukts. Und zwar genau nicht gegenüber der Stiftung, die in dieser Frage zuständig ist.

Wenn jetzt ein Vertreter von Bund oder Freistaat Bayern am Tisch säße, würde er argumentieren: Die Stiftung ist nicht relevant - dadurch, dass sie über keine Mittel verfügt. Die, die die Verantwortung und auch die Kosten tragen, sollen auch die wichtigen Entscheidungen treffen dürfen. Und die sind in der GmbH konstituiert.
Thomale: Ja, aber da kommen wir wieder zum Thema Transparenz. Wenn es wirklich so ist, dass der Staat die Festspiele nicht fördern, sondern kaufen möchte, durch seine Subventionen und die Investitionen in die Sanierung des Festspielhauses, dann muss das auch so gesagt werden. Dann darf man sich in künstlerischen und politischen Aspekten nicht hinter der Stiftung verstecken - und sich auch nicht zur Legitimation doch wieder auf die Familie Wagner berufen.

Aber genau das ist natürlich der Markenkern von Bayreuth. Der Staat will das Beste aus beiden Welten: Einerseits unbeschränkte politische Macht, organisiert in der GmbH, in der man alleine regiert und andererseits die dynastische Adelung durch die Stiftung. Das kann ich natürlich als Eigeninteresse nachvollziehen. Aber es ist Etikettenschwindel.

Und in der Sache kann man sich auch fragen: Seit wann gibt es eigentlich ein Staatsinteresse daran, Kulturinstitutionen auch künstlerisch quasi selbst zu leiten? Sollte sich der Staat da nicht raushalten? Der Staat soll ja fördern, der Staat darf unterstützen. Dass er das tut, ist sogar essenziell für den Kulturstandort Deutschland. Aber wollen wir Bürger einen Staat, der in einer quasi-planwirtschaftlichen Art seinen eigenen staatlichen Kunstbetrieb führt? Oder sollte er sich da besser organisatorisch und inhaltlich ein wenig mehr zurückhalten?

Ich glaube aber auch gar nicht, dass da tatsächlich ein allgemeiner politischer Wille besteht. Um es konkret zu sagen: Ob Herr Ministerpräsident Seehofer diese Struktur so will, ist gar nicht sicher. Es ist gar nicht sicher, dass ihm das so genau kommuniziert wird, was in Bayreuth läuft, wer da Entscheidungsträger ist. Das können vielmehr auch Partikularwillen, die Interessen Einzelner sein – eine Koalition aus vier, fünf Leuten, die die richtigen Positionen in dem Apparat haben, die dann eine Identifikation entwickeln, die Bayreuth als ihr Spielzeug behandeln, und sich sagen: Wenn man dieses Kleinod für schlappe 30 Millionen Steuergeld kaufen kann, machen wir einen guten Schnitt!

Herr Dr. Thomale, Sie vertreten im Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung die Nachkommen Wieland Wagners. Anmerkungen und Kritik aus den Reihen der Wielands wird - fast schon traditionell mit dem Satz abgetan: Die Wielands neiden den Wolfgangs die Festspielleitung, deshalb blockieren Sie jetzt alles.
Thomale: Natürlich gibt es da familiäre Feindseligkeiten, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Darüber legt sich aber ganz entscheidend eine ehrliche Sorge der Wielands als Stifter um ihre Stiftung.

Was heißt das?
Thomale: Ich glaube, der Gegenwind der Wielands wäre flauer, wenn sie das Gefühl hätten, alles sei in guten Händen. Aber es ist genau dieser Zweifel daran oder besser: die Gewissheit, dass dem nicht so ist, der ihren Widerstand anfacht. Ein Stiftungsvorstand und ein Stiftungsrat, die das sehen, müssten den Impuls eigentlich aufgreifen und begrüßen, man müsste das offen und konstruktiv thematisieren. Stattdessen stellt man sich stur, und es entsteht in der öffentlichen Wahrnehmung ein Graben zwischen denen und den anderen; ein Graben, den es eigentlich gar nicht gibt: Den Wielands geht es um das Wohl der Stiftung – ich hoffe, darum geht es der Politik und den Wolfgangs auch.

Die Wielands auf der einen Seite, die Wolfgangs mit dem Staat auf der anderen – verlaufen so tatsächlich immer noch die Fronten?
Thomale: Wie gesagt: Es gibt Feindseligkeiten, aber die sind nicht entscheidend. Ich glaube: In dem Moment, in dem Katharina eine gefeierte Kulturmanagerin wäre, die die Festspiele im Griff hat, die präsent ist, die die Leute nicht am Roten Teppich warten lässt, die in der Lage ist, im Wagnerjahr auch angemessene Festveranstaltungen zu organisieren – dann hätte, glaube ich, niemand ein Problem. Es geht hier aber gar nicht um Personen; die Frage nach Personen ist viel zu konkret. Es gilt jetzt, Prozeduren zu schaffen, die auf lange Sicht sicherstellen, dass die richtigen Personen an die richtigen Stellen kommen.

Wie sollen diese Prozeduren aussehen?
Thomale: Warum sollen nicht Kunstschaffende beurteilen, ob die Festspielleiterinnen einen guten Job gemacht haben, ob man ihren Vertrag verlängern muss, und ob vielleicht  angebracht wäre, jemand anderem die Leitung zu übergeben. Diese Frage muss doch unter künstlerischen Aspekten geklärt werden. Dem Staat stünde es da gut an, sich zurückzunehmen und zu sagen: Diese Frage lassen wir eine Kommission von Künstlern entscheiden  – genau so, wie es die Stiftungssatzung  vorsieht.

Die Stiftungssatzung schreibt tatsächlich vor, eine Komission aus drei Opernintendanten hinzuzuziehen – aber nur dann, wenn Zweifel an der Eignung eines Bewerbers bestehen.
Thomale: Natürlich, aber dann sage ich ganz klar: Ja, wir haben Zweifel! Natürlich haben wir Zweifel! Wer keine Zweifel hat, soll bitte darlegen, warum nicht. Warum soll es unzweifelhaft sein, dass diese Festspielleitung die richtige ist. Das ist eine hohe Schwelle, da möchte ich die Begründung hören. Und wenn es keine gibt, mögen bitte die Intendanten Stellung nehmen. Davon verspreche ich mir eine große Versachlichung in dieser Debatte. Dass es so abläuft, wie es jetzt läuft – das wäre wahrscheinlich noch nicht einmal Wolfgang Wagners Wille gewesen.

Inwiefern?
Thomale: Die Stiftungssatzung schützt, wenn man genau hinsieht, die Qualität der Festspiele vor familiären Feindseligkeiten. Hätte man aus den Festspielen eine reine Familienveranstaltung machen wollen, dann hätte man in der Stiftungssatzung die Erbfolge definiert, und nichts weiter. Aber das hat man gerade nicht gemacht. Die Satzung schützt die Festspiele vor der Familie. Es soll ja ausdrücklich um künstlerische Eignung gehen.

Wer entscheidet eigentlich, ob im Stiftungsrat "Zweifel" an der Eignung eines Kandidaten bestehen?
Thomale: Sehr gute Frage. Wenn jetzt die Stiftungssatzung reformiert wird, dann muss die Formulierung mit dem "Zweifel" raus. Die Opernintendanten sollen immer gehört werden müssen. Wie machen wir's im Wissenschaftsbetrieb? Da lassen wir die Professoren ja auch nicht von irgendeinem Ministerialdirigenten bestimmen – das wird aus der Menge der Professorenschaft heraus bestimmt. Das sind nämlich die einzigen, die wirklich kompetent sind, seine Eignung zu beurteilen. Und was für die Wissenschaft gut ist, kann doch für die Kunst nicht schlecht sein. Also sollte man da bitte den künstlerischen Sachverstand und die Kreativität auch anzapfen, die es in Deutschland gibt. Natürlich, Bürokratie ist wichtig, aber dass Bürokratie der Hort der Kreativität ist, wäre mir neu. Das, was den Bürokraten auszeichnet, ist ja gerade seine Nicht-Kreativität.

Ein Bürokrat darf nicht kreativ sein. Er soll vorhersehbar sein, er soll Rechtssicherheit schaffen, aber das ist keine Kategorie, die einen Künstler beschäftigt. Ein Künstler ist ja eben gerade unsicher, niemand weiß, was er als nächstes tut, das ist das, was seine Kreativität ausmacht. Wir sprechen da über ganz andere Lebenswelten,  ein ganz anderes In-der-Welt-Sein. Und deshalb müssen die Künstler selbst einbezogen werden.

Sie sagen also: Das Personal, das für die Auswahl der Festspielleitung zuständig ist, ist nicht kompetent genug, diese Aufgabe zu erfüllen?
Thomale: Ich will nicht sagen, dass man nicht trotzdem zufälligerweise einen guten Fang gemacht haben kann. Ich will nicht bestreiten, dass Toni Schmid zum Beispiel kreative Ideen hat. Aber Toni Schmid ist in seine Position nicht aufgrund eines Verfahrens gelangt, dass auf dieses Kriterium ausgerichtet war. Das kann man nicht ernsthaft annehmen. Und das ist schade. Das befasste Personal ist nicht ausreichend unter dem Aspekt gewählt, was dem künstlerischen Auftrag der Stiftung gut tut. Es ging viel eher um Proporzaspekte, Willensbildungen, Seilschaften  – das sind die Motive, nach denen da Stellen besetzt werden. Um das Interesse der Stiftung geht es nicht. Und das müsste man ändern. Wir wollen es doch nicht dem Zufall überlassen, ob derjenige, der politisch opportun ist, zufällig auch Ahnung von Kunst hat. Es müsste eher anders sein.

Aber die jetztigen Anteilseigner werden einwenden: Wir bezahlen, wir tragen die Verantwortung, wir entscheiden.
Thomale: Das vermag ich nicht zu sagen. Aber noch ein Punkt: Wir haben in den vergangenen Wochen als großen Hemmschuh immer wieder die Wahlen erleben müssen. Auf einmal war es ein zulässiges Argument, zu sagen: Vor der Wahl machen wir das nicht mehr. Warum soll das einen Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung interessieren? Seit wann soll sich ein Kunstbetrieb danach richten, ob gerade in irgendeinem Land ein Parlament gewählt wird? Dass sich deshalb Prozesse verlangsamen, dass Entscheidungen vorgezogen oder aufgeschoben werden, dass deshalb die Richard-Wagner-Stiftung ins Straucheln kommt: Das darf eben nicht sein. Das zeigt doch, woran es krankt.