Leiter der zweiten Sonderkommission will Tathergangshypothese nicht gekannt haben Fall Peggy: Chef-Ermittler im Kreuzverhör

Von Manfred Scherer
Am zweiten Verhandlungstag bekam der angeklagte Ulvi Kulac eine Rose geschenkte. Foto: Wittek Foto: red

Zum Prozessauftakt im Fall Peggy gab es am Donnerstag noch Applaus für den Angeklagten, am zweiten Tag schon Rosen für Ulvi Kulac. Danach folgte stundenlanges, mühsames Durchforsten von Prozessakten auf der Suche nach der Frage: Wurde dem Angeklagten mit einer Tathergangshypothese das Geständnis eingeredet? Im Mittelpunkt dabei: Der Chef der zweiten Soko, Wolfgang Geier. Er behauptete überraschend: Eine solche Hypothese kannte er nicht, weil er im Urlaub war. Die Hypothese steckte in den Nebenakten.

 
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Geiers Behauptung steht im Widerspruch zum zentralen Grund, den das Landgericht Bayreuth am 9. Dezember 2013 für die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des wegen Mordes an Peggy Knobloch verurteilten Kulac angeführt hatte: Dass die Tathergangshypothese – erstellt von dem bekannten Fall-Analytiker Alexander Horn vom Landeskriminalamt in München – dem Prozessgutachter nicht vorgelegen habe und dieser bei Kenntnis des Szenarios womöglich die Glaubwürdigkeit von Kulacs umstrittenen Geständnis anders dargestellt hätte. Im Gegensatz zu Geier bestätigte Profiler Horn, dass das Szenario tatsächlich erstellt worden war, nämlich am 2. Mai 2002. Das Szenario ging von einem Geschehen aus, in dem ein Täter aus einem sexuellen Motiv heraus Peggy getötet habe, und zwar eher ungeplant in einer eskalierenden Situation. Die im Februar 2002 eingesetzte zweite Sonderkommission von Geier fand in den Akten eine Vernehmung von Kulac, der zufolge er am 7. September 2001 einen sexuellen Missbrauch an Peggy am 3. Mai 2001 gestanden hatte, also vier Tage vor dem Verschwinden des Mädchens am 7. Mai 2001. Dieses Motiv machte Kulac zum Verdächtigen.

Wie die Soko den geistig behinderten zum Geständnis brachte, war in der Folge Thema eines mehr als vierstündigen Kreuzverhörs von Soko-Chef Geier. Dem Kulac-Verteidiger Michael Euler, der bei vielen Aktenvorhalten keine Seitenzahlen nennen konnte, musste dabei oft das Gericht beispringen. Euler machte sogar Vorhalte ganz ohne Quelle, so dass Staatsanwalt Daniel Götz ihm einmal in die Parade fuhr: „So läuft der Hase nicht, Herr Euler, wir wollen doch alle den Fall aufklären.“ Das Gericht hielt dem Chef der kritisierten Soko Widersprüche und Auffälligkeiten in den Ermittlungen vor. Etwa beim Zustandekommen von Kulacs Geständnis am 2. Juli 2002, Peggy ermordet zu haben: Warum ausgerechnet das entscheidende Gespräch kein Beamter der Soko führte, sondern ein Polizist aus Lichtenberg, der aufgrund seiner Bekanntschaft mit Kulac für „angenehme Atmosphäre“ sorgen sollte. Zur Frage, warum da kein Tonband lief, konnte ein anderer Zeuge mit einer Legende aufräumen: „Es war ein spontaner Entschluss des Beschuldigten, die Tonbandgeräte waren abgebaut und nicht kaputt, wie es immer wieder heißt.“

Geier wiederum beschrieb, dass der damalige Verteidiger schon weg war und nach dem „Spontangeständnis“ erklärt habe, er halte Kulac „zu 75 Prozent“ für den Täter – und sich von seinem Mandanten mit den Worten „machen sie alles mit, was die Polizei sagt“ – in den Urlaub verabschiedete.

Aus den Fragen des Gerichts wird klar: Die Richter haben den Verdacht, dass in Folgevernehmungen von Kulac in die erweiterten „Geständnisse“ Details einflossen, die aus der Tathergangshypothese stammen könnten.

Wie kritisch die Richter das Vorgehen der Ermittler sehen, zeigt ein Beispiel: Chefermittler Geier behauptete erst, Kulac habe bei einer auf Video aufgenommenen Tatrekonstruktion von sich aus und so überraschend auf einen Stein gezeigt, über den Peggy bei ihrer Flucht vor dem Angeklagten gestolpert sei, dass dies für Geier Täterwissen war. Auf dem im Anschluss vorgeführten Video sieht man: Der Erste, der auf den Stein deutet, scheint Geier selbst zu sein, und Kulac bestätigt: „Ja, über diesen Stein ist sie gestolpert.“

Die Tathergangshypothese des Profilers fand das Gericht in den Nebenakten. Im Abschlussbericht der Soko steht: „Die Nebenakte enthält Dinge, die nicht unmittelbar mit Kulac zu tun haben.“

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