Der bekannteste Fall einer Teufelsaustreibung fand vor 40 Jahren in Klingenberg am Main statt. In dem beschaulichen Städtchen im Landkreis Miltenberg lebte und starb unter tragischen Umständen Anneliese Michel. Die epilepsiekranke Pädagogikstudentin glaubte, von Dämonen besessen zu sein. Ihre Dämonen könnten auch einen anderen Ursprung als einen teuflischen gehabt haben.

Ihr Tod 1976 sorgte weltweit für Schlagzeilen. Etliche Bücher befassten sich mit ihrem Fall, Kinofilme spielten auf ihr Leben und Sterben an. Seither ist ihr Name mit dem umstrittenen Ritual der katholischen Kirche verbunden: mit dem Exorzismus.

An Unterernährung gestorben

Sie wuchs in einer tiefreligiös-konservativen katholischen Familie auf. Bereits als Kind soll sie kränklich gewesen sein. Als Teenager begann sie unter Krämpfen zu leiden. Sie sah „Fratzen“ und glaubte von Dämonen besessen zu sein. Die medizinische Diagnose lautete jedoch „Epilepsie“. Sie weitete sich zu einer schweren Psychose aus. Behandelt wurde die junge Frau allerdings mit dem sogenannten Großen Exorzismus. Ab September 1975 führten zwei Priester mit Erlaubnis des Würzburger Bischofs Josef Stangl an der damals 23-Jährigen insgesamt 67 Mal das Ritual durch. Einer der Beteiligten ließ dabei sogar das Tonband mitlaufen. Einige Mitschnitte kursieren im Internet. Obwohl sich der Zustand der Frau verschlimmerte, wurde kein Arzt hinzugezogen. Am 1. Juli 1976 starb Anneliese Michel an extremer Unterernährung.

Ihr grausames Ende wurde nur bekannt, weil der mit der Familie befreundete Arzt keine Totenschein-Vorlagen dabei hatte. Ein daraufhin verständigter Mediziner aus Klingenberg stellte wegen des erschreckenden körperlichen Zustands des Leichnams das gewünschte Formular nicht aus. So kam der Fall ans Licht.

Den beiden Geistlichen und auch den Eltern, die ebenfalls von einer Besessenheit ihrer Tochter überzeugt waren, wurde ab Frühjahr 1978 am Landgereicht Aschaffenburg der Prozess gemacht. Sie wurden im April 1978 wegen fahrlässiger Tötung zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

Historikerin erhielt trotz Sperrfrist Akteneinsicht

Bis heute sind Spekulationen über die Todesumstände der jungen Frau sowie ihre „dämonischen Botschaften“ in konservativ-religiösen Kreisen im Umlauf. Bereits vor Prozessbeginn ließen Anneliese Michels Eltern ihren Leichnam exhumieren, um ihn in einen Eichensarg umzubetten. Eigentlicher Grund dafür war jedoch die Vision einer Nonne, nach der Michels Leichnam nicht verwest sei – ein Zeichen für ihr göttliches Auserwähltsein. Dies bestätigte sich jedoch nicht. An ihrem Todestag besuchen noch immer Anhänger ihr Grab.

Die Dokumente über den Exorzismus von Klingenberg befinden sich im Staatsarchiv Würzburg sowie im Diözesanarchiv. Alle Akten unterliegen einer Sperrfrist. Die Würzburger Historikerin Petra Ney-Hellmuth erhielt eine Sondergenehmigung und konnte die Schriftstücke für ihre Doktorarbeit erstmals einsehen. Ihre Analyse erschien 2014 unter dem Titel „Der Fall Anneliese Michel. Kirche, Justiz, Presse“ .

Historikerin Petra Ney-Hellmuth. Foto: dpa

 

Bischof zum Schweigen verdonnert

Die Forschungen der Historikerin beleuchteten auch das Verhalten des damaligen Würzburger Bischofs. Josef Stangl hüllte sich zunächst in Schweigen, als der Tod Michels bekannt wurde. Er sei aber, so Petra Ney-Hellmuth, von Anfang an über den Verlauf des Exorzismus informiert gewesen. Die beiden Geistlichen hätten dem Bischof Briefe geschrieben und auch Tonbandmitschnitte der Sitzungen zugesendet.

Der Bischof ist nach Angaben der Wissenschaftlerin nie in Klingenberg gewesen, um sich selbst ein Bild zu machen. Erst am 12. August 1976 meldete er sich mit einer „Erklärung zum Geschehen von Klingenberg“ zu Wort. Darin schreibt Bischof Stangl, der Exorzismus sei nichts anderes, „als das Gebet der Kirche im Namen Jesu für einen Menschen, der seiner nicht mehr mächtig ist, sich ausgeliefert fühlt, sogar selbst nicht mehr beten kann“. Darin heißt es auch: „Für jemanden beten, ihm aber eine Heilbehandlung vorenthalten, ist unchristlich.“ Genau dies ist jedoch geschehen – angeblich auf Wunsch von Anneliese Michel.

Damals wurde von der Deutschen Bischofskonferenz eine Überarbeitung des Exorzismusritus angekündigt. Das Gremium verdonnerte aber Bischof Stangl später zum Schweigen. Er durfte sich nach der Verurteilung der Eltern von Anneliese Michel sowie der beiden Geistlichen, die den Exorzismus durch geführt haben, nicht mehr offen zu Wort melden. Dieses „vermeintlich selbst gewählte Schweigen“ wurde nach Angaben von Historikerin Petra Ney-Hellmuth von den Gläubigen, den Exorzismus-Befürwortern und Exorzismus-Kritikern mit Verwunderung und Unverständnis zur Kenntnis genommen.

Geistlicher des sexuellen Missbrauchs beschuldigt

Die beiden Geistlichen sind in jüngster Zeit noch in einem anderen brisanten Zusammenhang aufgetaucht: In seinem im März veröffentlichten Bericht erwähnt der Missbrauchsbeauftragte der Diözese Würzburg, Professor Klaus Laubenthal, einen Vorwurf sexuellen Missbrauchs gegen einen der beiden Kirchenmänner.

Auch der zweite am Exorzismus beteiligte Pfarrer, der ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Anneliese Michel gehabt haben soll, wird von einer anderen Frau des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Der Missbrauchsbeauftragte eines in Bonn ansässigen Ordens hatte sich an Laubenthal gewandt, um die Adresse des Pfarrers für eine Anhörung zu erfahren. Zu beiden zeitlich und örtlich unabhängig voneinander vorgebrachten Vorwürfen meint Laubenthal, künftige Forschungen zum Fall Anneliese Michel sollten auch den Aspekt des sexuellen Missbrauchs in Erwägung ziehen.