Das Parlament hat an Macht gewonnen
In den vergangenen fünf Jahren hat sich diese Gemeinschaft weitreichend verändert. Die Macht verschob sich infolge des Lissaboner Vertrages, der 2009 in Kraft trat. Mehr als einmal standen Kommission sowie die Staats- und Regierungschefs völlig konsterniert vor einem vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Parlament, das plötzlich nicht nur beim Geld, sondern auch bei der Wahl des Kommissionspräsidenten, bei der Agrarreform oder der inneren Sicherheit mitredete. „Wir haben gelernt“, sagte vor wenigen Tagen ein Abgeordneter in einem Hintergrund-Gespräch, „dass wir wirklich etwas zu sagen haben. Und dass ohne oder gegen uns nichts geht.“
Doch die Erfolgsbilanz fällt keineswegs ungetrübt aus. Das Seelenleben der Union hat gelitten, nachdem gleich mehrfach bei Wahlen in den Mitgliedstaaten europakritische Parteien oder Gruppierungen und auch rechte Gegner mit Anti-Brüssel-Wahlkämpfen große Erfolge erzielen konnten. Dass ausgerechnet der konservative britische Premierminister David Cameron ein Referendum über den Verbleib seines Landes in der Union für 2017 ankündigte, empfand man in Brüssel wie ein Misstrauensvotum. Um ihm entgegenzukommen, wurde nicht nur die Polemik schärfer. Man schritt auch zur Tat.
So dürfen die Mitgliedstaaten seit einigen Monaten die Schlagbäume länger als bisher wieder herunterlassen, wenn sie sich von Flüchtlingen überrollt fühlen. Wachsende Aversionen gegen so genannte Armutsflüchtlinge aus weniger entwickelten Mitgliedstaaten im Osten schürten Emotionen und Ablehnung. Als Kroatien Mitte 2013 als 28. Mitglied zur EU stieß, war von der Begeisterung der großen Osterweiterung 2004 längst nichts mehr zu spüren. Europa begann sich einzuigeln. Gegen den Strom derer, die von Afrika aus über das Mittelmeer kamen, schickte Brüssel die Marine, die Küstenwache und zum Schluss moderne Satelliten. Das Ziel des geballten Einsatzes war nicht die Sicherstellung einer reibungslosen Flucht, sondern die rasche Zurückweisung.
Peinliches Hickhack beim Friedensnobelpreis
Trotzdem wurden die Errungenschaften der Europäischen Union 2012 ausgezeichnet: Für die Aussöhnung verfeindeter Völker erhielt die EU den Friedensnobelpreis. Zwar leistete man sich prompt einen peinlichen Streit um die Frage, wer denn nun eigentlich der Glückliche sein solle, der diese Auszeichnung entgegennehmen dürfe. Am Ende reisten Parlamentspräsident Martin Schulz, Kommissionschef José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy nach Oslo. Es war ihr größter Auftritt – und sie mussten nicht mal eine Rede halten.
Die Bilanz 2009 bis 2014 fällt zwiespältig aus. Europa mag gewachsen sein, aber ob es schon genügend Gewicht hat, um die „größte Krise seit dem Endes des Kalten Krieges“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Vorgängen rund um die Ukraine) abzuwenden, muss sich erst noch zeigen. „Wie lange wollen Sie denn noch abwarten, ehe Sie das Vorrücken Russlands in Richtung EU stoppen wollen?“, fragte der neue ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk beim Treffen mit den Staats- und Regierungschefs im Februar? Europa müsse geschlossen auftreten, lautete deren Forderung an sich selbst. Es klang wie ein Programm für die nächsten fünf Jahre.
Die EU in Stichworten
- Einwohnerzahl: 503,7 Millionen
- Amtssprachen: 24
- Staatsform: Staatenverbund
- Hymne: Ode an die Freude (Beethoven)
- Fahne: Zwölf goldene Sterne im Kreis auf blauem Grund (Die Zwölf gilt als die Zahl für Vollendung)
- Feiertag: 9. Mai (Europatag)
- Währung: Euro in 17 Mitgliedstaaten
- Fläche: 4.284.730 Quadratkilometer
- Bruttoinlandsprodukt: 25.000 Euro pro Jahr pro Kopf
- Durchschnittseinkommen (2010): 2320 Euro (Männer: 2570 Euro, Frauen 2050 Euro)
- Anzahl der Facebook-Nutzer: 193 Millionen
- Arbeitslosenquote: 10,5 Prozent
- Anzahl der Hochschulabsolventen 2011: 4 Millionen
- Bevölkerung über 65 Jahre: 17,8 Millionen
- Bevölkerung unter 25 Jahre: 27,3 Millionen
- Lebenserwartung der Männer: 77,4 Jahre
- Lebenserwartung der Frauen: 83,2 Jahre
- Sitz der Organe: Brüssel (Europäischer Rat), Straßburg (Europäisches Parlament), Brüssel (Europäische Kommission), Luxemburg (Europäischer Gerichtshof), Luxemburg (Europäischer Rechnungshof), Frankfurt (Europäische Zentralbank)