Ein Klang von weit her

Von Frank Piontek

Meditation und Erkundung von Klangräumen: Tadashi Tajima spielte im Kunstmuseum. Und definierte für Bayreuth den Begriff "Vergeistigte Konzertmusik" neu. Dank eines Klangs wie das Rascheln des Windes im Laub des Bambus.

 
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Sicher brauchen die meisten Zuhörer etwas länger, bis sie sich zumindest in die Oberfläche dieser fremdartigen Musik hineingefunden haben. Sie klingt in den Raum, in dem gut 70 bis 80 Zuhörer erfahren, was das ist: japanische Musikästhetik, Zen-Klang, „vergeistigte Konzertmusik“ (wie sie Heinz-Dieter Reese vom Japanischen Kulturinstitut Köln nennt). Der Musikfreund stelle sich nur vor, wie es wäre, wenn er nie in seinem Leben die Matthäuspassion oder Bachs Suiten für Violine solo gehört hat, stattdessen aber allein mit jenen traditionellen Werken groß geworden ist, die Tadashi Tajima in einem exzeptionellen Konzert im Kunstmuseum interpretiert. Er wäre zunächst überfordert – und würde sich irgendwann dem eigentümlich undefinierbaren Reiz dieser bisweilen geistig anstrengenden wie luftleichten Musik hingeben, die mit einem europäischen Musikverständnis nur dann verstanden werden kann, wenn man mit der Neuen Musik vertraut ist.

Die vollkommene Stille

Dabei sind die Werke, die Meister Tadashi Tajima spielt, mindestens 100 Jahre, oft mehrere Jahrhunderte alt. Der Klang der Shakuhachi, also der an diesem Abend in fünf Grundtönen (vom tiefen Gis zum höheren B) gestimmten Bambusflöten, der zunächst einmal nichts anderes ist als vielfach gestalteter Atem, will nicht einlullen, sondern die Konzentration fördern. Tajima sitzt schwarz gewandet vor einer schmucklosen weißen Wand, die Augen fest geschlossen; im ersten Teil spielt er einen Zyklus von fünf Stücken, im zweiten fügt er drei Werke zu einer Suite aneinander. Wer europäisch denkt, fühlt sich an klassische Suiten erinnert: auf ein relativ schnelles Eingangsstück folgt ein langsamer Satz, das letzte Stück, das, dramaturgisch schön, „Leerer Himmel“ heißt, beginnt wie das Finale einer späten Mahler-Symphonie oder der Schlusssatz von Tschaikowskys „Pathetique“: sehr langsam. Doch gewonnen wird mit solchen naheliegenden Vergleichen nichts.

Genauer kann man den Lesern das spirituelle Konzert nicht beschreiben. Der Rest an Reflexion war allein der Assoziations- und Empfindungsfähigkeit der Zuhörer überlassen, die irgendwann keinen Laut mehr von sich gaben. Vielleicht schauten irgendwann einige Hörer tatsächlich gemeinsam in den inneren Wasserfall, lauschten dem Strom der unsichtbaren Wolken im leeren Himmel, dem Röhren der japanischen Hirsche und dem impressionistischen wie künstlichen Gesang der nistenden Kraniche. Das Stück kann, schreibt der Kommentator im Programmheft, „auch als klangliche Manifestation der buddhistischen Idee der barmherzigen Liebe aufgefasst werden“. Unwahrscheinlich, dass auch nur fünf Hörer diese Interpretationsschicht der Musik erlebten: bei aller intensiven Stimmung, die Tajima im Staccato und Legato von tiefem Bariton und Sopran provozierte. Ungeschulten europäischen Ohren und Sinnen aber musste sie letzten Endes fremd bleiben. Vermutlich aber verbürgt genau diese Fremdheit die Schönheit dieser „vergeistigten Konzertmusik“.