Düsteres Fest mit Bayreuther Beteiligung

Von Udo Meixner
Beim WGT bevölkern Fabelwesen die Straßen und Parks in Leipzig. Foto: Udo Meixner Foto: red

Sie tragen so lange schwarz, bis eine dunklere Farbe erfunden wird: In Leipzig fand über die Pfingstfeiertage wieder das düsterste Festival der Welt statt – das Wave-Gotik-Treffen (WGT). Mehr als 20.000 Fans verwandelten die Messestadt in ein Panoptikum schrill-schräger Gestalten.

 
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Was die Szene selbst gern als Familientreffen beschreibt, hat sich in den vergangenen 27 Jahren zu einem kulturellen Großereignis entwickelt. Selbst der Zaungast, den all die schwarzen Gestalten daran erinnern, dass schon wieder Pfingsten ist, hat längst verstanden, dass das WGT eine Vielfalt repräsentiert, die man bei anderen Musikfestivals selten findet. Das Beste am Wave-Gotik-Treffen ist aber seine einzigartige Atmosphäre. Schwarze aus aller Welt feiern hier friedlich, freuen sich an ihrem Zusammensein und tauchen ganz Leipzig in ein vielfältiges Schwarz. Dieses Treffen ist mehr als nur Musik – aber Musik ist der Kern.

Am Anfang viele Überfälle rechter Skinheads

Bruno Kramm: Mit seiner Band „Das Ich“ spielte der Bayreuther bereits 1992 auf dem WGT. „Das war noch ein echtes Abenteuer“, erinnert sich Kramm heute. „Damals gehörten die Überfälle rechter Skinheads auf alternative Auftrittsorte in Leipzig fast zur Tagesordnung. Viele der von den Veranstaltern angefragten Bands trauten sich deshalb nicht, in den neuen Bundesländern zu spielen. Und so standen an zwei Tagen auch nur insgesamt acht Gruppen auf der Bühne.“

Mittlerweile gehört „Das Ich“ schon zum Inventar beim WGT. Kaum eine Band spielte im Laufe der Jahre öfter in Leipzig. 2018 ist Bruno Kramm jedoch als Chef seines Plattenlabels Danse Macabre Records beim Treffen unterwegs. Insgesamt 13 der auftretenden Gruppen stehen bei ihm unter Vertrag. Beim WGT 2019 dann soll auch „Das Ich“ wieder in Leipzig zu sehen sein.

Zu einem Kostümfest verkommen?

Oswald Henke: Der Bayreuther war bis auf eine Ausnahme auf allen Wave-Gotik-Treffen. Oft mit seiner Band „Goethes Erben“. 2018 gibt Henke in Leipzig ein Kammerkonzert, nur mit Klavierbegleitung. Die vielen Hundert Besucher haben es sich vor der Bühne gemütlich gemacht und hängen Oswald Henke an den Lippen, wenn er mit viel Pathos Songs wie „Iphigenie“ zelebriert.

„Ich mag das WGT, weil es für mich immer noch den Charakter eines Familienfestes hat“, sagt Henke nach dem Auftritt im Gespräch. Dabei teilt er auch nicht die Meinung von Kritikern, wonach das WGT teilweise zu einem Kostümfest verkommen sei: „Das WGT ist eben ein Spiegelbild der Szene. Und jeder, der sich abseits vom Alltag auch einmal ausgefallen präsentieren möchte, der sollte das auch dürfen.“

Viele schwarze Skurrilitäten

Viktorianisches Picknick: Der Festival-Charakter des Treffens wird beim Viktorianischen Picknick betont. Im Clara-Zetkin-Park kommen Tausende Besucher zum Essen, Trinken und Plaudern zusammen. Ab und an galoppiert ein Fetisch-Pferd über die Wiese, Minnesänger in mittelalterlicher Gewandung gruppieren sich für die Fotografen und Vampire zeigen bereitwillig ihre spitzen Zähne. Der typische Grufti mit Vogelnestfrisur, Pumphosen und spitzen Schnallenschuhen wirkt schon seltsam anachronistisch.

Gothic Run: Bayreuth hat den Fun Run – Leipzig den Gothic Run. Am WGT-Samstag treffen sich lauffreudige Besucher zum Joggen. Zur Auswahl stehen eine drei und seine sechs Kilometer lange Strecke. Kleiderordnung: „sportlich Schwarz“.

Steam-Punks: Sie sind die heimlichen Stars des WGT. Steam-Punks verkörpern in ihren höchst aufwendigen Verkleidungen die menschgewordene Dampfmaschinen-Ästhetik des 19. Jahrhunderts. Futuristisch-fiktive Applikationen und Maschinen, die aussehen, als würden sie mit Dampf (Englisch: „steam“) betrieben, unterscheiden die Kostüme von denen anderer Gothics.

„Leichentreff“ am Südfriedhof

Das Millionengeschäft: Laut Tourismusforschungsinstitut DWIF ließen die etwa 20.000 WGT-Besucher beim Festival 2017 etwa zwölf Millionen Euro in Leipzig. Diese Zahlen hatte die Leipziger Volkszeitung veröffentlicht. Was natürlich nicht zuletzt an den deutlich angehobenen Übernachtungspreisen am Pfingstwochenende liegt. Kostet eine Übernachtung im Mai durchschnittlich 99 Euro, sind es am Eröffnungstag des WGT 148 Euro – ein Anstieg um 49 Prozent.

Das Rahmenprogramm: Neben den Konzerten bietet das WGT ein fast nicht zu überblickendes Rahmenprogramm an Partys, Ausstellungen, Lesungen, und Filmvorführungen. Für den morbiden Charme des WGT sorgen zum Beispiel der Vortrag „Vom Scheintod und anderen Merkwürdigkeiten“ oder der „Leichentreff“ am Südfriedhof, einem Stelldichein überzeugter Leichenwagenfahrer.

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