Nette Plauderei: Über Frank Schätzing beim Festival "Leselust" Frank Schätzing: Der Visionator

Von Ulrike Schuster

Er liest kein einziges Wort. Ein Buch in den Händen hätte man bei Frank Schätzing gar nicht erwartet. Ein Science-Fiction-Autor mit Lesebrille, Tischlämpchen, Seite um Seite blätternd? Wie fad. Lesen könne jeder selber, der später das Buch kaufe. Schätzing verkauft lieber sich: seinen Charme, sein Colgate-Lächeln, eine Prise Sex-Appeal, Witz und keinen Zweifel. „Ein Weltautor, den man mal gesehen haben muss", sagt eine Besucherin. „Und dazu schön anzuschauen." Ein Buch, ein Mann, den rund 400 Menschen haben wollen. Ausverkauft.

 
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Der rote Samtvorhang ist geöffnet. Schätzing trägt braune Cowboy-Stiefel mit blauem Glitter, helle Jeans, enges T-Shirt, schwarzes Sakko. Der perfekte Kontrast zu den silbergrauen Haaren. Brust und Sixpack zeichnen sich ab. Der 56-Jährige sieht gut aus und er weiß das. 2009 posierte er für einen Wäschehersteller sitzend, in schwarzem Slip. Heute steht er breitbeinig auf der Bühne, um sein Publikum ins Hier und Jetzt zu holen. „Schließen Sie die Augen", sagt er. „Wer weiß, welche Haarfarbe der linke Sitznachbar hat?" Fast alle strecken den Arm. Ein Experiment, das zeigen soll, dass geistige und körperliche Anwesenheit nicht identisch sein müssen. Heute hat Schätzing wohl Gegenwartsmenschen vor sich. So einer ist er. Er lebe im Moment, versuche alles genau wahrzunehmen, zu fühlen, zu schmecken, zu riechen. Die Bedingung, um sich für die Zukunft begeistern zu können. Nur so könne er das schreiben, was er schreibt. Diese Faszination will er auf die Menschen übertragen: Sie sollen die Zukunft sofort in die Hand nehmen und gestalten. Das Heute ist das Übermorgen. Warum Schätzing das für nötig hält? Weil wir verdrossen, ohne Vorstellungskraft sind und im Stillstand fest steckten. Alles nur, weil wir wüssten, dass auf die Zukunft kein Verlass sei. Sinnvoller wäre, wir würden unsere diffusen Ängste überwinden. „Sonst paralysiert uns eine Zukunft, die noch gar nicht stattgefunden hat." Also gibt es Wahrscheinlichkeitstraining in Punkto Vision. Das Szenario: Marietta Slomka spricht die Nachrichten im Jahr 2025. „Ein Herz aus körpereigenen Stammzellen wird durch den Biodrucker, fertig zur Transplantation, gepresst, das vereinigte Großkorea existiert ohne Atomwaffen, leuchtende Hauskatzen werden gezüchtet, damit der Mensch nicht drüberstolpert, Bundeskanzler zu Guttenberg und US-Präsident Schwarzenegger beraten über ein Klonverbot, Helium 3 wird auf dem Mond für umweltfreundliche Energie auf der Erde abgebaut und der 1. FC Köln ist seit sechs Monaten in Folge auf Platz 1 der Bundesliga." Wahrscheinlich oder nicht? Das Publikum gluckst vergnügt über so viel reichen Einfall, denkt nach, streckt den Arm oder auch nicht. Dann gibt Schätzing die Antworten. Es folgen Erklärungen. Über den Unterschied zwischen falschen Prognosen bekannter Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, bösen Prognosen – zerstörte, menschenleere Städte – aus amerikanischen Science-Fiction-Blockbustern und guten Szenarien mit der Kraft der Vision, für den Fortschritt. Wie er sie in Limit entwirft.

Er will unterhalten. Auch mit Bild und Ton. Er zeigt einen 15-minütigen Film auf großer Leinwand. „Zukunftsgerüchte". Man sieht fliegende Autos, menschenähnliche Roboter, die uns die Arbeit abnehmen, den Kampf um Energieressourcen, Solarzellen, Fusionsreaktoren, Menschen, die den Mond besiedeln, um sich eine schöne neue Welt zu bauen. Die Raumfahrt wird alltäglich. Per Spacelift geht es an einem Seil 36 000 Kilometer nach oben in den Orbit. Szenarien, die Schätzing, lässig am Bistrotisch lehnend, kommentiert. Wie ein Synchronsprecher lässt er seine Stimme perfekt zum Bild passend sprechen. Auf die Leinwand gucken muss er nicht. Er weiß, wann er einsetzen muss. Am Ende hat man eine Ahnung, worum es in „Limit" gehen könnte und was sich in seinem Kopf abspielt, wenn er schreibt. Dann läuft ein Film, sagt er. Überhaupt, sei er „filmisiert". Er selbst lese kaum.

Frank Schätzing versteht die Kunst der Unterhaltung. Ohne auch nur einen Satz aus Limit vorgelesen zu haben, werden die Bücher stapelweise verkauft. Den neuen Thriller gibt es im März. „Breaking News" heißt er, 900 Seiten. Gerade plane er die Live-Tour. Eine Lesung wird es sicher nicht. Wahrscheinlicher ist ein Spektakel, in „meiner authentischen Rolle".