US-Armee beendete 1946 Ansiedlung der Gablonzer Glasmacher auf dem Bindlacher Berg Der Traum von "Neubürgerreuth"

Von Peter Engelbrecht
Die Glaswarenproduktion am Bindlacher Berg lief bereits. Doch dann kam das Aus, die Firmen zogen nach Weidenberg. Repro: Andreas Harbach Foto: red

Die neue Werkssiedlung auf dem Bindlacher Berg hatte bereits einen stolzen Namen: "Neubürgerreuth". Dort sollten die vertriebenen Glasmacher aus Gablonz im Sudetenland nach Ende des Zweiten Weltkrieges unterkommen und ihre Produktion fortführen. Doch die amerikanischen Streitkräfte beanspruchten das Areal für eigene Zwecke und vertrieben die Glasmacher quasi ein zweites Mal - nach Weidenberg.

 
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Nun aufgetauchte Unterlagen belegen dieses weithin unbekannte Kapitel regionaler Zeitgeschichte detailliert. Der angehende Volksschullehrer Johannes Mayer hatte sich in seiner Zulassungsarbeit im Mai 1967 mit dem Thema intensiv beschäftigt. Seine 200-seitige wissenschaftliche Arbeit trägt den sperrigen Titel "Die Aufnahme und Eingliederung heimatvertriebener Zuwanderer nach dem 2. Weltkrieg in Stadt und Landkeis Bayreuth." In einem Kapitel beschäftigte sich Mayer auch mit der Ansiedlung auf dem Bindlacher Berg. Schon bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges sei bei maßgeblichen Vertretern der Gablonzer die Überlegung nach einer eigenen Siedlung gereift, um eine Zerstreuung der Unternehmer, der Arbeiter und der Heimarbeiter zu vermeiden. Der ideale Ort für eine Sammelsiedlung sei auf dem Gelände des ehemaligen Luftwaffenflugplatzes auf dem Bindlacher Berg gefunden worden, schrieb Mayer.

17 winterfeste Baracken

Das Areal habe zum sogenannten Reichsvermögen gehört, langwierige privatrechtliche Verhandlungen mit Eigentümern seien nicht zu befürchten gewesen. Das Flugplatzgelände war für die militärischen Einrichtungen bereits mit Straßen erschlossen und kanalisiert. Zudem war das Areal 1937/38 mit einer "Siedlung" aus 17 winterfesten Großbaracken bebaut worden. Sie dienten während der NS-Zeit dem Personal des Fliegerhorstes als Unterkunft.

Otto Fleischmann, einer der führenden Kopfe der Gablonzer, berichtete, bereits am 5. Februar 1946 hätten das Arbeitsamt Bayreuth und der Regierungspräsident in Ansbach erstmals vorgeschlagen, die Gablonzer Glas- und Schmuckwarenindustrie in den Landkreis Bayreuth zu verlagern. Diese Ansiedlung sei auch durch den Oberbürgermeister und Landrat von Bayreuth sowie der IHK befürwortet worden. Am 13. Februar 1946 hatte der Regierungskommissar für das Flüchtlingswesen in Ober- und Mittelfranken in Ansbach festgelegt, die geschlossene Ansiedlung der Gablonzer Industrie in den Gemeinden Warmensteinach, Oberwarmensteinach, Fichtelberg und Weidenberg durchzuführen.

Sechs Firmen in Betrieb

Die entscheidende Sicherung des Projektes brachte der Beschluss des Bayerischen Ministerrates vom 2. Mai 1946, "dass alle Gablonzer Firmen und Arbeiter im oberfränkischen Raum anzusiedeln sind". Damit sei das Projekt "Neubürgerreuth" entgültig gesichert worden, schrieb Mayer in seiner Zulassungsarbeit. So wurden unverzüglich heimatvertriebene Schmuckhersteller am ehemaligen Flugplatz Bindlacher Berg angesiedelt. Dabei handelte es sich um folgende Firmen: Max Bernt, Albin Hübner, Gustav Hübner, Reinhard Kaulfuß, Gustav Pochmann und Rudolf Stumpfe. Die Firmen beschäftigten zusammen 34 Arbeiter, 210 Heimarbeiter und setzten während ihrer Bindlacher Zeit jährlich rund 258 000 Mark um. Vom Umsatz entfielen mindestens 95 Prozent auf den Export. 

Der damalige Bayreuther Landrat Pittroff, einer der großen Unterstützer, wählte für die Siedlung den Namen "Neubürgerreuth". Das war auch eine Anspielung auf den nahegelegenen Bayreuther Stadtteil Bürgerreuth. Für die neue Siedlung gab es 1946 sogar ein eigenes Dienstsiegel. Die Bauabteilung des Landratsamtes Bayreuth hatte Wohn- und Arbeitsstätten projektiert. Bald wurden massive Unterkünfte gebaut, die später teilweise innerhalb des amerikanischen Kasernenbereichs standen.

Amerikaner beschlagnahmten das Areal

"Doch in diese verheißungsvollen Anfänge fielen nun die ersten Belastungen", schilderte Mayer. Die amerikanische Armee versteifte sich aus strategischen Gründen auf das Kasernengelände Bindlach.  Der "Kalte Krieg" hatte begonnen. Die Besatzungsstreitkräfte hatten die Verfügungsgewalt über das frühere Vermögen des Deutschen Reiches. Auch in den Kommunalverwaltungen hätten sich die Bedenken gegen eine massierte Ansiedlung einer einheitlichen Industriegruppe gemehrt. Bei einem Konjunkturrückgang drohe Arbeitslosigkeit, da ein Ausweichen auf andere Branchen nicht oder nur schwer möglich sei, lauteten die Argumente. Der Flugplatz Bindlacher Berg wurde von den Amerikanern im Sommer 1946 beschlagnahmt, die neuen Gebäude wurden gesprengt. 

Die bereits vorhandenen Fachleute begannen abzuwandern. Die Hersteller und Facharbeiter des Glassektors seien nach Weidenberg, Warmensteinach und Fichtelberg gezogen, hätten dort durch die gegründeten Firmen wieder Arbeit gefunden. Ende 1953 zählte die Gablonzer Industrie im Raum Bayreuth 200 Betriebe mit 2500 Beschäftigten, bilanzierte Mayer. 

Edeltraut Schmidt (76) aus Weidenberg ist eine der letzten Zeitzeuginnen. Sie ist in Gablonz geboren und kam nach der Vertreibung im September 1945 im Herbst 1946 im Alter von sechs Jahren mit Familienangehörigen in einer Baracke auf dem Bindlacher Berg unter. Im früheren Krankenhaus auf dem Bindlacher Berg hätten die Gablonzer Glaswaren produziert, etwa Aschenbecher, Parfümflaschen oder Schalen, erinnerte sie sich. Nach der  Beschlagnahmung des Areals durch die Amerikaner, sei ihre Familie am 22. Dezember 1951 mit einem Lastwagen nach Weidenberg umgezogen. Auf dem Bindlacher Berg habe sie sich "gefühlt wie auf einer Einöde", in Weidenberg habe es hingegen ein Kino, ein Schwimmbad und viele Geschäfte gegeben. "Hunger hatten wir auf dem Bindlacher Berg keinen, die Lagerspeisung war sehr gut", berichtete sie.     

Übrigens: Die unbekannte Zulassungsarbeit befand sich im Nachlass von Otto Fleischmann, der führender Mann der Gablonzer und Weidenberger Bürgermeister von 1960 bis 1972 war. Klaus Hübner aus Weidenberg, der aus einer sudetendeutschen Familie stammt, hat sie für die Nachwelt aufbewahrt und unserer Zeitung zur Verfügung gestellt.

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