Richter Jochen Götz, Berichterstatter im Wiederaufnahmeverfahren, besticht durch genaue Aktenkenntnis im Fall Peggy Fall Peggy: Der Pfadfinder im Indizien-Dschungel

Von Manfred Scherer
Vorsitzender Richter Michael Eckstein und beisitzender Richter Jochen Götz. Foto: Wittek Foto: red

Er ist wahrscheinlich derjenige im Schwurgerichtssaal, der die über 14 000 Seiten Prozessakten am besten kennt: Jochen Götz, beisitzender Richter der Jugendkammer und Berichterstatter des Wiederaufnahmeverfahrens gegen Ulvi Kulac. Jochen Götz wird das Urteil in dem Fall schreiben.

 
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Der 34-jährige Götz kommt aus einer Juristenfamilie, sein Vater Gerhard (63) ist in der oberfränkischen Justiz eine Legende: Götz senior war mal Amtsgerichtsdirektor in Kulmbach, stellvertretender Landgerichtspräsident in Hof, war zuletzt in Bamberg am Oberlandesgericht. Sein Sohn ist drauf und dran, sein Meisterstück abzuliefern: Von allen Seiten bekommt er Lob dafür, wie er in diesem Wiederaufnahmeverfahren durch seine Aktenkenntnis wichtige Prozessthemen moderiert, Beweisthemen auf den Punkt bringt.

Jochen Götz hat ein Laptop vor sich stehen – er braucht meist nur wenige Tastenklicks, bis er in seiner digitalisierten Prozessvorbereitung die notwendige Aktenstelle mitsamt Seitenzahl und Datum gefunden hat.

Götz war bis November 2012 bei der Wirtschaftsstaatsanwaltschaft in Hof. Er kam zur Bayreuther Strafkammer, bevor klar war, dass er Richter jenes Gerichts werden würde, das Oberfrankens rätselhaftesten Kriminalfall im Zuge eines Wiederaufnahmeverfahrens bearbeiten würde. Dass Götz die Berichterstattung übernehmen musste, entschied sich erst wenige Monate vor Beginn des Verfahrens. Der ursprüngliche Berichterstatter Alois Meixner, der Mann, der die Entscheidung der Kammer, die Wiederaufnahme anzuordnen, maßgeblich vorbereitet hatte, war aus der Kammer wegbefördert worden. So musste Jochen Götz sich den Peggy-Prozessstoff in kurzer Zeit zu eigen machen. Das hat er so gut geschafft, dass man ihn den Pfadfinder des Gerichts im Akten-Dschungel nennen kann, das Laptop ist seine Machete, um den Weg durchs Dickicht zu finden.

Das Ziel, das das Gericht dabei verfolgt: Alle wichtigen Indizien und Aussagen, mit denen sich Indizien belegen oder widerlegen lassen, müssen in mündlicher Hauptverhandlung besprochen werden. Die so aufgestellte Indizienkette muss am Ende bewertet werden: Reichen die vielen Widersprüche für einen Freispruch im Zweifel für den Angeklagten oder wird Ulvi Kulac ein zweites Mal wegen Mordes verurteilt?

Jochen Götz wird dann ganz besonders aktiv, wenn es um die Möglichkeit geht, dass der Angeklagte bei den weiter gehenden Befragungen zu seinem umstrittenen Geständnis von den vernehmenden Kriminalbeamten mit dem Szenario aus der Tathergangshypothese beeinflusst worden sein könnte – auf fränkisch gesagt: dass solange mit Versatzstücken aus dem Szenario an den geistig Behinderten „hingeredet“ wurde, bis er die passenden Antworten gab. Alle Ermittler, die bei diesen Vernehmungen oder Tathergangsrekonstruktionen dabei waren, sagen: Es war nicht so.

Doch aus Vorhalten von Jochen Götz ergibt sich zumindest der Verdacht: Es könnte so gewesen sein. Zum Beispiel eine Vernehmung, die noch vor dem Geständnis am 2. Juli 2002 stattfand und in der die Ermittler Kulac vorhielten, er habe Peggy nach dem sexuellen Missbrauch vier Tage vor ihrem Verschwinden getroffen: Der vernehmende Beamte sagt: „Jetzt kann ich mir vorstellen, wenn mir das passiert wäre, was Ihnen passiert ist – ich hätte zumindest versucht, die Peggy einzuholen. Weil ich Angst gehabt hätte, wie Sie auch.“ Dann kommt zur Sprache, dass Peggy beim Wegrennen stürzte und sich das Knie verletzte. Weitere Frage des Beamten, per Vorhalt aus dem Protokoll in den Prozess gebracht: „Haben Sie denn keine Angst gehabt, wenn die Peggy heimkommt und blutet und zu Hause was sagt? Haben Sie keine Angst vor Peggys Stiefvater gehabt?“ Kulac antwortet in der Vernehmung: „Ich habe keine Angst gehabt. Ich hätte dem gesagt, dass ich mit Peggy Sexverkehr hatte und ich mich bei ihr entschuldigen wollte und sie beim Wegrennen gestürzt ist.“

In einem anderen Vorhalt geht es um den nie bewiesenen Verdacht, dass Kulac Blut von Peggy an seiner Jacke gehabt haben könnte. Der vernehmende Beamte fragt: „Wie kommt das Blut da hin?“ Kulac sagt: „Das kann nicht sein, ich habe die Peggy nicht angelangt.“ Der Beamte fragt: „Können Sie das vor Gott verantworten?“ Kulac sagt: „Ja“.

Es wird ein großes Indiziengebäude. Noch wird daran gebaut, übrigens auch von den Staatsanwälten Sandra Staade und Daniel Götz, die mehrfach dezidiert davon sprechen, dass sie den Fall „aufklären“ wollen. Der Prozess wird am 5. Mai fortgesetzt, dann soll unter anderem der Chef der ersten Sonderkommission aussagen und auch der Ermittler, der jetzt, fast 13 Jahre nach dem Verschwinden des Mädchens, bei der Bayreuther Kripo die Ermittlungen gegen drei weitere Verdächtige leitet.

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