Bamberger Chirurg soll sich an zwölf Patientinnen vergangen haben Chefarzt vor Gericht

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 Foto: red

In einer Woche beginnt in Bamberg der Sensationsprozess gegen den Chirurgen Heinz W.: Er soll sich an zwölf Patientinnen vergangen haben. Wer ist dieser Mann? Was genau wird ihm vorgeworfen? Eine Bestandsaufnahme.

 
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Der Chefarzt, ein Monster. Zwölf Frauen hat er angelogen, sediert, an ihnen manipuliert, bei einigen sogar etwas eingeführt, von allem hat er Fotos gemacht. Junge Frauen waren es, schlanke, teils noch Schülerinnen, eine sogar mit Model-Maßen. Heinz W. (49), dem angesehenen Chefarzt im Bamberger Klinikum, dem Star seines Fachs, angeklagt wegen mehrfacher Vergewaltigung, Körperverletzung und sexueller Nötigung drohen bis zu 15 Jahre Haft. Lebenslänglich hat er schon jetzt: Er ist ruiniert. Die Provinz, aus der er kommt und wo er groß geworden ist, hat ihn fallen gelassen. Einen Perversen, enttarnt – nicht nur – durch die Wucht von 95 Seiten Anklage, sondern nicht zuletzt auch durch die Flut der ungehemmt den Skandal, die Vorverurteilung und die sofortige Bestrafung betreibenden Darstellungen des Falles nicht nur in den Medien. Doch wer ist der Mann? Warum ist er zu dem vermeintlichen Monster geworden? Es bleibt ein Rätsel – dessen Lösung auch sein könnte, dass er gar nicht pervers ist.

Als die Medizin-Studentin Romana S. (26, Medizinstudentin im Praktischen Jahr) sich mit ihrem Mittagessen zu den anderen Ärzten setzen wollte, hatte sie das Ende von Heinz W.s Karriere und das Ende seines bisherigen Lebens bereits eingeläutet. Aber noch haben die Ärzte die junge Frau geschnitten, nicht Heinz W.: Sie standen auf, als sie kam. Sie wollten nicht glauben, was die junge Frau da seit zwei Tagen behauptete. S. sprach von „Erinnerungslücken“, die sie während und nach einer Untersuchung bei Heinz W. hatte. Selbst ihrem Freund und anderen war das an jenem Montagabend im Juli vergangenen Jahres aufgefallen. Sie fuhr in eine andere Klinik, wollte ihr Blut untersuchen lassen. Aber wonach sollte die Ärztin dort suchen? Die Studentin traf sich noch mitten in der Nacht mit einem Verwandten, der Internist ist. Er nahm ihr Blut ab, schickte es gleich ins Labor. Das Ergebnis: Spuren von Midazolam, ein starkes Beruhigungsmittel, hypnotische Wirkung, der Patient bleibt ansprechbar, kriegt aber nichts mit, kann sich später an nichts erinnern. In den nächsten Tagen versuchte Heinz W., mit S. zu sprechen. Wollte er retten, was nicht mehr zu retten war? S. hatte da schon eine Anzeige erstattet, auch wegen sexuellen Missbrauchs. Kurz darauf machte Heinz W. Urlaub am Meer. Mit Strafverfolgung, gar wegen Vergewaltigung, scheint er nicht gerechnet zu haben.

Er galt als einer der Besten 
seines Fachs

Seine Kollegen wollten es noch nicht glauben. W., der als einer der besten seines Fachs galt, war Chefarzt durch und durch. Er schob die Betten selbst in den OP, wenn keiner da war, bediente sogar die Kaffeemaschine selbst. Er galt als strenger, aber guter Chef, der den Leuten was abverlangte. Wenn er anfängt, über sein Fach zu sprechen, wirkt er wie ein Professor, ein besessener. Aber auch wie einer, der weiß, was er kann in der Gefäß-Chirurgie. Seine Hände hat er hoch versichert.

Und noch was kann er: Verantwortung und Disziplin. Seine Laufbahn ist tadellos. Strenges Elternhaus, Vater Jurist, Abitur, bei der Bundeswehr ein guter Soldat, Offizier der Reserve, Studium, „nicht auffällig“, sagen Kollegen von damals, Doktorarbeit über „Einfluss verschiedener Prothesenmodelle auf biomechanische Eigenschaften des Beckenknochens“, dann Stationen in der Unfall-Chirurgie, der Chirurgie in Erlangen, seit zwölf Jahren verheiratet, zwei Kinder (acht und elf), seit 2005 Chefarzt am Klinikum Bamberg, Mitglied in internationalen Fachgremien, mehrfach ausgezeichnet. Ganz oben.

Er zählte zur lokalen Prominenz, war in zahlreichen Vereinen, auch dort, wo die sind, die es geschafft haben, er wurde hofiert – und jetzt schweigt man, sobald sein Name fällt. Mit einem, der ganz unten ist, mit einem Sexualtäter will man nichts mehr zu tun haben. Öffentlich jedenfalls nicht. Zwei Stunden nach Bekanntwerden der Vorwürfe war sein Foto von der Internetseite des Klinikums verschwunden, am nächsten Tag war er entlassen, der Oberbürgermeister entschuldigte sich pflichtgemäß, eine Krankenversicherung hat er nicht mehr. Die Klinik hat jeder der Frauen bereits 15.000 Euro Entschädigung gezahlt. Für so jemanden gilt die Unschuldsvermutung nicht.

Nicht für jemanden, der mit seiner Nikon seit 2008 heimlich Fotos davon macht, wie er jungen Frauen, die er zuvor betäubt haben soll, die Schlüpfer auszieht und an ihrem Intimbereich hantiert. Nicht für jemanden, der jungen Frauen Plugs einführt, Sexspielzeug zum Weiten von Körperöffnungen, PVC-, phthalatfrei, antibakteriell, angeblich um Blutgefäße besser sehen zu können. Und nicht für jemanden, der einige der Frauen mit dem Beruhigungsmittel im Blut noch heimfahren ließ. Nicht für jemanden, der von einer Studie sprach, die es offiziell nicht gab. Nicht für Heinz W.

Lautloseres Vorgehen hätte 
die Frauen geschont

Die Frauen haben nichts mitbekommen. Allenfalls gibt es Erinnerungslücken, fehlende Tampons nach den Untersuchungen, das komische Gefühl des „Herumfummelns“, dass da etwas nicht richtig gewesen sein könnte, nicht schlüssige Erklärungen von W. Es ist paradox, aber traumatisiert wurden die Frauen erst durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, ohne die sie nie etwas erfahren hätten, nicht durch W.

Die Ermittler schlugen laut zu. Schnell hatte der Staatsanwalt die Zahl der Fotos zusammengezählt: Es kursierten Zahlen in Höhe von mehr als einer Million. Zur Anklage kommen nach Informationen dieser Zeitung etwa 90 Fotos. Mit einem öffentlichen Aufruf und einer Telefon-Hotline suchten die Ermittler nach angeblichen Opfern. Ein lautloseres Vorgehen hätte die Frauen geschont, heißt es auf Seiten der Verteidigung. Vor Gericht will er alles erklären, vor allem die medizinischen Details. Er bleibt dabei: Alles zu medizinischen Zwecken. „Könnte es nicht doch sein?“, fragt Klaus Bernsmann (68), einer seiner drei Verteidiger. W., ein besessener Forscher? Einer, der ungewöhnliche, ja verbotene Wege zu gehen bereit ist? Einer mit einer außergewöhnlichen Idee, die quer zur Schulmedizin liegt? Nirgends auf den Fotos und Filmen sei W. erregt, er trage Handschuhe und Kittel, tippe auf seinem Computer. Junge, schlanke Frauen mit dem Risiko von Thrombose in späteren Jahren? „Ein Forschungsloch“, sagen Experten – aber nicht laut. Die meisten Frauen waren seine Patientinnen, hatten Gefäßleiden. Also doch Wissenschaft anstatt sexuelle Befriedigung? Haben die Ermittler erschöpfend nach dieser Möglichkeit gesucht? W.s Anwälte hüllen sich in Schweigen. Aber es klingt nach einem klaren Nein. Die vor Gericht alles entscheidende Frage wird sein: Ging es wirklich um sexuelle Handlungen im Sinne des Strafgesetzbuches? Auch dazu schweigen die Anwälte.

W.s Frau, selbst Ärztin, hält zu ihm, besucht ihn regelmäßig in der Untersuchungshaft. Auf Anfrage dieser Zeitung widerspricht sie Trennungsgerüchten. Der Prozess, der am 7. April vor dem Landgericht Bamberg beginnt, wird weitgehend hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die Frauen sollen geschützt werden in ihrer Intimsphäre. Um den Schutz von W. geht es längst nicht mehr.

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