Castorfs Totenhaus-Maschine

Von Michael Weiser

Janaceks letzte Oper, ein Ausnahmefall an den deutschen Opernhäusern: Frank Castorf hat an der Bayerischen Staatsoper "Aus einem Totenhaus" inszeniert und München einen guten Abend beschert. Mit Simone Young am Pult, die Janaceks schroffe Brüche nicht weichzeichnet, aber auch das Gefühl für seine Innigkeit hat.

 
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An Frank Castorfs Inszenierung von Leos Janaceks letzter Oper "Aus einem Opernhaus" ist mehrerlei bemerkenswert, darunter manches, was mit dem Stück an sich gar nicht so viel zu tun hat. Zum Beispiel, dass man den Regisseur (der sich viel Zeit ließ, bis er an die Rampe trat) selten so aufgeräumt gesehen hat. Es galt in München allerdings auch keinen Sturm abzureiten; ein, zwei Buhs, das war's an artikulierter Abneigung. Der Rest war, wenn schon nicht Jubel, so doch sehr lauter und andauernder Beifall. Der aus der Volksbühne exilierte Theaterfürst scheint am anderen Ende der Republik angekommen zu sein, in etwas mehr als einem Monat bringt er in München die nächste Inszenierung auf die Bühne: Moliéres "Don Juan", nur ein paar Meter weiter, am Resi nämlich.

Das zweite: Frank Castorf ist offenbar in jenem gesegneten reifen Regiealter angekommen, das eher an Abgeklärtheit denn an Abgenutztheit denken lässt. Der Mann recycelt mit dem "Totenhaus" eigene Ideen, aber nicht einfach so, sondern in neuem Zusammenhang. Als Zeichen, die er legt, die aber nicht unbedingt irgendwo hinführen müssen, so wie die Pepsi-Leuchtreklame. Oder wie die Häftlinge, die sich kostümieren wie zum Totensonntag, zum Dia de los Muertos: Den Hang zu süd- und mittelamerikanischer Funeralfolklore lebte Castorf bereits bei der "Götterdämmerung" aus. Hier sind es vermutlich lebende Tote. Würde auch passen.

Grüße aus Bayreuth

Vielleicht haben Frank Castorf und sein Bühnenbaumeister Aleksandar Denic in ihrer zwanzigsten gemeinsamen Arbeit auch einfach nur wieder herausgekramt, was ihnen besonders gefällt. In diesem Falle also: einen Lagerkomplex, der aber ziemlich an das Ölarbeiter-Lager aus der Bayreuther "Walküre" erinnert, und das Waldvögelchen aus dem "Siegfried". Wobei ersteres einfach gut aussieht, das mit dem Vögelchen über das lustige Eigenzitat hinaus sogar als mehrfache Anspielung zu versehen ist: Ein "Paradiesvogel" kommt im Libretto vor, ein Adler auch, und irgendwie hat der junge Aljeja - dessen Hosenrolle Evgenyia Sotnikkova mit bewundernswerter Leichtigkeit ausfüllt - ja auch etwas von einem Vögelchen.

Ein Lager, klar - aber was sonst?

Aleksandar Denic hat also wieder mal einen typisch Castorfschen Überwältigungskomplex auf die Bühne des Nationaltheaters gezimmert, drehbar, mit vier bespielbaren Seiten, und noch ein bisschen düsterer als sonst. Denics Bau ist die kalte Hölle eines Straflagers, und wenn irgendwann die Scheinwerfer im Hintergrund haarscharf über die Kanten der Kulissen hinweg ins Publikum hineinleuchten, fühlen sich die Besucher wie eingesperrt und vom Suchscheinwerfer erfasst.

Die Überwältigungsmaschinerie wird, wie schon beim Bayreuther "Ring", wie schon beim "Baal" und beim "Schweijk" lange nachwirken. Weil diese Überwältigung mit verschachtelter Architektur, eindrucksvollen Effekten, Videoleinwänden und Nahaufnahmen vom sonst auch nicht mehr richtig sichtbaren Geschehen einhergeht, stellt sich Überforderung ein. Lager, klar! Aber was sonst?

Keine Schweinehunde, vielmehr arme Schweine

Das Drama, für das Janacek Dostojewkis Auszüge "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" fast wortwörtlich verwendet hat (in Castorfs Inszenierung mit Stellen etwa aus dem "Spieler" angereichert), hat keine Handlung im eigentlichen Sinne. Vielmehr entführt Janacek das Publikum in einen tiefen Kreis der Hölle, in einem grauslichen Gemälde, das sich um die Erzählungen einzelner Häftlinge herum aufbaut. Es geht Janacek nicht um Anklage des Strafvollzugs, seine Häftlinge haben ja Schuld auf sich geladen und zeigen Einsicht und Reue. Es sind aber keine Schweinehunde, vielmehr arme Schweine, die doch auch noch an diesem letzten aller vorstellbaren Orte einen Funken Göttliches in sich bewahren. Die einzelnen Figuren aber sind bei all dem Trubel in Castorfs Inszenierung schwer zu unterscheiden.

Einige immerhin fallen dann doch auf. Der närrische Skuratov zum Beispiel, dem Charles Workman große Innigkeit verleiht (was seine Figur nicht davor bewahrt, anschließend wieder verprügelt zu werden); oder der etwas tapsige Gorjancikov, mit dem sich Peter Rose stimmlich fast auf der selben Höhe bewegt wie Bo Skovhus als Siskov: ein fast schon lyrischer Bariton, der seiner Erzählung über seine Eifersuchtstat eindrucksvollen Schmerz beimischt. Platzmajor Christian Rieger ist ein metallisch auftrumpfender Lagerkommandant, der spielerisch überragend beunruhigend an Ammon Göth erinnert.

Ein großartiges Stück Musik

Aber: Im sich drehenden Gedränge des Castorf-Theaters schleifen sich Unterschiede und Handlungsstränge ab. Was war da los? Man bewies Selbstbeherrschung, wenn man danach nicht einfach mal kurz mit offenem Mund dastand. Der Hang der russischen Literatur zur Nennung beim Vaternamen tat ein übriges zum Bilderwirbel. Wer weiß denn von Beginn an, dass Petrovic eigentlich der jüngst eingelieferte Gorjancikov ist? Verwirrend, das.

Ein enges Mit- und Gegeneinander, das allerdings in seiner Gleichzeitigkeit der unterschiedlichsten Lebensentwürfe Dostojewskis Schilderung durch die Hintertür wieder einlöste. So wie das auch Janaceks Musik tut: Ein Nebeneinander von Idylle, Burleske, Dissonanz, Tragisches direkt neben dem Humoristischen, Himmlischem neben Irdischem. Ein großartiges Stück Musik. Simone Young dirigierte nach der ursprünglichen, nicht abgemilderten Fassung der Partitur, mit Gespür für Farben, zunächst aber wenig Dynamik. Insgesamt gelingt ihr mit dem aufmerksamen Orchester und dem fein geführten Chprs der Staatsoper ein greller Bilderbogen, mit schroff nebeneinandergesetzten Blöcken. Und wir wissen nun, dass das Orchester auch Amboss und Kette kann.

So, wie das in München klang, muss man sich wirklich wundern: darüber, dass das "Totenhaus" tatsächlich so etwas eine Rarität ist.

INFO: Nächste Termine Sa, 26. Mai, Mi, 30. Mai, So, 3. Juni, Di, 5. Juni, Fr, 8. Juni.

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