Keine Schweinehunde, vielmehr arme Schweine
Das Drama, für das Janacek Dostojewkis Auszüge "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" fast wortwörtlich verwendet hat (in Castorfs Inszenierung mit Stellen etwa aus dem "Spieler" angereichert), hat keine Handlung im eigentlichen Sinne. Vielmehr entführt Janacek das Publikum in einen tiefen Kreis der Hölle, in einem grauslichen Gemälde, das sich um die Erzählungen einzelner Häftlinge herum aufbaut. Es geht Janacek nicht um Anklage des Strafvollzugs, seine Häftlinge haben ja Schuld auf sich geladen und zeigen Einsicht und Reue. Es sind aber keine Schweinehunde, vielmehr arme Schweine, die doch auch noch an diesem letzten aller vorstellbaren Orte einen Funken Göttliches in sich bewahren. Die einzelnen Figuren aber sind bei all dem Trubel in Castorfs Inszenierung schwer zu unterscheiden.
Einige immerhin fallen dann doch auf. Der närrische Skuratov zum Beispiel, dem Charles Workman große Innigkeit verleiht (was seine Figur nicht davor bewahrt, anschließend wieder verprügelt zu werden); oder der etwas tapsige Gorjancikov, mit dem sich Peter Rose stimmlich fast auf der selben Höhe bewegt wie Bo Skovhus als Siskov: ein fast schon lyrischer Bariton, der seiner Erzählung über seine Eifersuchtstat eindrucksvollen Schmerz beimischt. Platzmajor Christian Rieger ist ein metallisch auftrumpfender Lagerkommandant, der spielerisch überragend beunruhigend an Ammon Göth erinnert.
Ein großartiges Stück Musik
Aber: Im sich drehenden Gedränge des Castorf-Theaters schleifen sich Unterschiede und Handlungsstränge ab. Was war da los? Man bewies Selbstbeherrschung, wenn man danach nicht einfach mal kurz mit offenem Mund dastand. Der Hang der russischen Literatur zur Nennung beim Vaternamen tat ein übriges zum Bilderwirbel. Wer weiß denn von Beginn an, dass Petrovic eigentlich der jüngst eingelieferte Gorjancikov ist? Verwirrend, das.
Ein enges Mit- und Gegeneinander, das allerdings in seiner Gleichzeitigkeit der unterschiedlichsten Lebensentwürfe Dostojewskis Schilderung durch die Hintertür wieder einlöste. So wie das auch Janaceks Musik tut: Ein Nebeneinander von Idylle, Burleske, Dissonanz, Tragisches direkt neben dem Humoristischen, Himmlischem neben Irdischem. Ein großartiges Stück Musik. Simone Young dirigierte nach der ursprünglichen, nicht abgemilderten Fassung der Partitur, mit Gespür für Farben, zunächst aber wenig Dynamik. Insgesamt gelingt ihr mit dem aufmerksamen Orchester und dem fein geführten Chprs der Staatsoper ein greller Bilderbogen, mit schroff nebeneinandergesetzten Blöcken. Und wir wissen nun, dass das Orchester auch Amboss und Kette kann.
So, wie das in München klang, muss man sich wirklich wundern: darüber, dass das "Totenhaus" tatsächlich so etwas eine Rarität ist.
INFO: Nächste Termine Sa, 26. Mai, Mi, 30. Mai, So, 3. Juni, Di, 5. Juni, Fr, 8. Juni.
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