Bruckners Fünfte beim Osterfestival

Von Frank Piontek
In nur einer Woche erspielte sich das Orchester der Internationalen Jungen Orchesterakademie Bruckners komplexe 5. Symphonie und gab ein gewaltiges Finale. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Er wolle, sagte er danach, die Symphonie nicht um 1000 Gulden noch einmal schreiben. Denn das Werk ist so komplex und in seinem kompositionstechnischen Anspruch so hoch, dass man auch heute noch die Anstrengung versteht, die selbst der um seiner Kunstmittel längst nicht mehr verlegene Anton Bruckner an den Tag legte, als er seine 5. Symphonie komponierte. Mit ihr kommt der Zyklus der Bruckner-Symphonien, an dem das Osterfestival und die Internationale Junge Orchesterakademie (IJOA) seit langem arbeiten, zu einem weiteren Höhepunkt.

 
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Gewiss, das Werk mag ungewöhnlich sperrig, ja – wenn man es unter dem Blickwinkel des unmittelbaren „Verstehens“ betrachtet – mit seiner merkwürdigen Motivkonstruktion, der deutlichen Demonstration des angewandten Kontrapunkts und aller nur möglichen Fugenhexereien schwierig sein. Unter der Leitung des jungen Dirigenten Matthias Foremny werden die schroffen Aspekte der Fünften allerdings nicht glattgebügelt. Im Gegenteil: Seine Interpretation in der Ordenskirche setzt auf strukturelle Klarheit.

Er betont die Generalpausen zumal des ersten Satzes, mit denen Bruckner seine Themenblöcke voneinander trennte, in radikaler Weise. Das Linienspiel des Finales wird dort, wo es nicht in äußerstem Forte herausklingt und -singt, geradezu skelettiert. Manch Passage schon des ersten Satzes evoziert das Bild einer Salzwüste; kein Wunder, dass manch Interpret in diesem exorbitanten Werk nicht irgendetwas „Katholisches“, sondern eine seltsame Menschenferne entdeckte. Doch wäre Bruckner nicht Bruckner (und wäre das Orchester der IJOA nicht das Orchester der IJOA), wenn zwischendurch nicht immer wieder die Inseln des puren lyrischen Wohlgefühls entstehen würden; nur, dass sie in dieser Symphonie eben blockhaft daherkommen. So sehr Foremnys Lesart und die Möglichkeiten des aus nicht weniger als 30 Nationen zusammengestellten Projektorchesters, das in einer Probenwoche sich den Bruckner heranspielen musste, selbst und gerade im Adagio aufs Analytische zu verweisen scheinen, so sehr geht man aufs Ganze. So hört man diesmal geradezu überdeutlich, wie viel Bruckner noch in Mahler steckt (das Scherzo!), und wie pathetisch großartig die letzten drei Minuten des unvergleichlichen Choralfinales schollern: Eine Musik, die einen so schönen wie erschreckenden Himmel aufreißt. Da entsteht zuletzt die größte Gänsehautmusik. Insofern passt das Werk des 19. Jahrhunderts doch recht gut in eine (Ordens-)Kirche.

Große Orchesterleistung

Setzt der Hörer in Rechnung, dass manch junger Musiker gewiss noch nie in seinem Leben in einem klassischen Symphoniekonzert, noch dazu in so etwas Extremem wie einer Brucknersymphonie saß, die manchen Instrumentalisten in manchen Passagen geradezu nackt klingen lässt (denn Bruckners Solopassagen und Duette sind in dieser Hinsicht entlarvend), so hat das Orchester Großes geleistet. Besetzt mit nicht weniger als 19 Blechbläsern und einer Kohorte von Kontrabässen erzwingt sich das Orchester eine Klangwirkung, die in einer größeren Kirche ausgewogener sein mag. In der vergleichsweise intimen und akustisch trocknen Ordenskirche kommt dafür zwar jede Phrase zum totalen Vorschein, doch fährt der gesamte Klang des Orchesters unmittelbarer ins Ohr und in das Herz als in, na, sagen wir: der Stadtkirche. Dass der Beifall diesmal nicht ganz so lang und euphorisch war wie der manch früherer Symphoniekonzerte der Orchesterakademie mag, trotz des gewaltigen Finales, der Tatsache zuzuschreiben sein, dass nicht jeder Platz der Kirche besetzt war – aber auch der Sperrigkeit des gesamten Werks; selbst Brahms, der extrem Konstruktive, klingt wesentlich leichter ins Ohr.

Doch wissen die Zuhörer, was sie an diesen jährlichen Projekten haben. Im Blick auf die musizierende Jugend vieler Nationen kann man nur wünschen, dass diese Projekte weitergeführt werden – gerade mit Werken, die ähnlich komplex sind wie Bruckners 5. Symphonie.

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