Forscher aus Bayreuth und Würzburg entwickeln Reparaturgewebe für zerstörte Körperteile Biotinte aus Spinnenseide

Von Norbert Heimbeck
Ihre neueste Forschungsarbeit gilt als medizinischer Durchbruch: Prof. Thomas Scheibel und Doktorandin Kristin Schacht experrimentieren am Lehrstuhl Biomaterialien der Uni Bayreuth mit Spinnenseide.Foto: Harbach Foto: red

Ein neues Herz aus dem 3D-Drucker? Das ist noch Zukunftsmusik, aber ein Ohr hat Professor Thomas Scheibel in seinem Labor an der Uni Bayreuth schon mal gedruckt. Aus Biotinte, die er aus Spinnenseide gewann.

 
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„Unsere Forschungsergebnisse machen uns zuversichtlich, dass sich durch den Einsatz von Spinnenseide als Biotinte völlig neue Perspektiven für die regenerative Medizin erschließen“, sagt Scheibel: „Es wäre möglich, Zellstrukturen zu züchten, die funktionsunfähiges Herzmuskelgewebe ersetzen. Und auch im Hinblick auf die Reparatur zerstörter Nervenbahnen oder Hautpartien zeichnen sich hochinteressante Möglichkeiten ab.“

3D-Druck ist eines der heißesten Technikthemen derzeit: Kostengünstig und schnell lassen sich damit alle möglichen Dinge herstellen. Künstliche Organe aus Biotinte gelten als Durchbruch in der medizinischen Forschung. Thomas Scheibel ist Inhaber des Lehrstuhls Biomaterialien an der Uni Bayreuth und hat das Forschungsprojekt zusammen mit dem Würzburger Prof. Jürgen Groll (Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin) realisiert.

Er erforscht seit vielen Jahren die Eigenschaften von Spinnenseide. Medizinisch anwendbar wird sie unter anderem durch die Tatsache, dass sie keine Immunreaktionen im menschlichen Körper auslöst. Ausgangspunkt der neuesten Forschungsarbeiten: „Wir haben nach Lösungen gesucht, beschädigtes Körpergewebe zu ersetzen,“ sagt Scheibel. Drei Ansätze gab es: Bei Herzinfarkt wird das Muskelgewebe irreparabel geschädigt, auch bei Nervenschäden ist oft keine Regeneration möglich, bei Hautschäden ist das körpereigene Reparatursystem nur bei kleineren Schäden erfolgreich. Um neue Gewebestrukturen aufzubauen, braucht man ein poröses Gerüst, in dem lebende Zellen arbeiten können. Statt wie bislang häufig Schweinevenen für das Gerüst zu verwenden, sollte nun Spinnenseide mit lebenden Zellen zum Einsatz kommen.

Das Forschungsteam in Bayreuth und Würzburg konnte nun nachweisen, dass eine Biotinte auf der Basis von Spinnenseide allen anderen bisher getesteten Materialien überlegen ist. Ein Gel, in dem Spinnenseidenmoleküle und lebende Zellen gemischt sind, „fließt“ im Druckkopf des 3D-Druckers, so dass auch feine Gerüststrukturen auf einer Oberfläche aufgetragen werden können; hier verfestigt sich das Gel sofort. Der Grund für diesen blitzschnellen Wechsel von „flüssig“ zu „fest“ liegt darin, dass sich die Spinnenseidenmoleküle in ihrer Struktur umlagern – ein Mechanismus, den auch die Spinne bei der Faserproduktion nutzt, erklärt Scheibel: „Das ist so ähnlich wie bei Zahnpasta – in der Tube ist sie fest, im Moment, in dem man zudrückt, wird sie flüssig und auf der Bürste wird sie sofort wieder fest.“

Der Wissenschaftler rechnet damit, dass es bis zur breiten Anwendung nur wenige Jahren dauern wird: „Wir arbeiten daran, ein Stückchen Herzmuskel im Labor zu aktivieren. Das könnte in drei bis vier Jahren klappen.“ Beim Nervengewebe könnte es schon in zwei bis drei Jahren soweit sein. Optimistisch ist Scheibel auch deshalb, weil im Experiment 97 Prozent der menschlichen Zellen überlebten.

Info: Das Forschungsgebiet von Thomas Scheibel und Jürgen Groll heißt „Biofabrikation“. Es ist ein Baustein des Bayerischen Polymerinstituts, einer engen Kooperation der Universitäten Bayreuth, Würzburg und Erlangen-Nürnberg.

Vielseitige Spinnenseide

Spinnenseide ist ein faszinierendes Forschungsobjekt: Sie besitzt außergewöhnliche Eigenschaften. Dazu zählt beispielsweise eine besondere mechanische Belastbarkeit. Aber auch positive Effekte im Bereich der Wundheilung konnten nachgewiesen werden. Spinnenseide hat keine zelltoxischen Wirkungen, wird nur langsam abgebaut und löst keine Immunreaktionen aus.

Spinnenseide ist dünner als menschliches Haar, der Durchmesser der Fäden liegt meist zwischen einem und fünf Mikrometer. Spinnenseide ist dabei fünfmal so reißfest wie Stahl, besitzt aber eine Elastizität wie Gummi. Das Material ist für eine Vielzahl von Anwendungen attraktiv: Staubfilterung und Luftreinhaltung, Folien für Verpackungen und Anwendungen in der pharmazeutischen Industrie, etwa als Ummantelung von Tabletten. Thomas Scheibel stand an der Spitze einer Forschergruppe, der es gelungen ist, Brustimplantate aus Silikon mit einer dünnen Haut aus biotechnologisch hergestellten Spinnenseidenproteinen zu überziehen. Das Risiko medizinischer Komplikationen verringert sich durch Verwendung dieser beschichteten Implantate erheblich.

Thomas Scheibel wurde 1969 in Regensburg geboren. Im November 2007 übernahm er die Leitung des neu eingerichteten Lehrstuhls Biomaterialien an der ingenieurwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth. Er gilt inzwischen als einer der führenden Wissenschaftler bei der Entschlüsselung der Spinnenseide und der Herstellung dieses Materials mit biotechnologischen Methoden.

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