Barwasser: "Ich bin oft ratlos"

Von Susanne Will
Erwin Pelzig ist die Kunstfigur von Frank-Markus Barwasser. Der Kabarettist erzählt im Interview, dass er oft ratlos ist. Momentan ist es die Flüchtlingswelle, die ihm Sorgen bereitet – er sieht darin eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Foto: Archiv/Andreas Harbach Foto: red

Im Dezember 2015 lief die letzte Folge von „Pelzig hält sich“, die Fans müssen aber nicht auf den Mann mit dem Handtäschli verzichten: Frank-Markus Barwasser hält die Kunstfigur auf den Bühnen am Leben. Am 26. Februar stellt sich Pelzig in der Bayreuther Stadthalle. Im Gespräch mit dem Kurier erzählt der kluge Kopf unterm Cord-Hut, warum er als Kabarettist derzeit viele Fragen hat – und kaum Antworten.

 
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Bücher, CDs, Auftritte, Kinofilme, Produktionsfirma – Sie sind ein sehr kreativer Mensch. Neigen Sie dazu, sich zu verzetteln?

Frank-Markus Barwasser: Verzetteln würde ich nicht sagen. Aber es stimmt, ich habe mich vor Jahren aus der Produktionsfirma, die beispielsweise „Vorne ist verdammt weit weg“ gemacht hat, verabschiedet, weil ich nicht mehr zum eigentlichen, kreativen Arbeiten gekommen bin. Ich bin da an Grenzen gestoßen.

Waren diese Grenzen auch der Grund, warum Sie sich vom ZDF-Pelzig verabschiedet haben?

Barwasser: Ich habe das Format bei ARD und ZDF 18 Jahre lang gepflegt – das ist für eine Sendung, die sich kaum veränderte, sehr lange. Da spürst du, wenn es Zeit wird, etwas anderes zu machen. Und ich gebe den Pelzig ja nicht auf, jetzt aber kann ich mich stärker auf den Erwin auf der Bühne konzentrieren.

Und was kommt nach dem Bühnen-Pelzig?

Barwasser: Das weiß ich noch nicht. Über die Zeit danach denke ich noch nicht so intensiv nach.

Stoff genug hätten Sie ja. Momentan ist die Zeit für Kabarettisten nicht die schlechteste…

Barwasser: …ich würde sagen, sie ist sehr anspruchsvoll. Im Hinblick auf die Flüchtlinge zum Beispiel würde ich auch nicht von einer Krise sprechen. Meine Überzeugung ist, wir stehen vor einer massiven Wende. Uns fliegen die Widersprüche der letzten Jahrzehnte um die Ohren. Die Realitätsverweigerung rächt sich jetzt.

Wie meinen Sie das?

Barwasser: Die Ursachen dieser Entwicklung sind sehr vielschichtig. Wir haben es hier nicht mit einer Naturkatastrophe zu tun, nach der aufgeräumt werden muss und dann können die Menschen wieder heim. Nehmen Sie Vorderasien. Seit Jahrzehnten brennt es dort. Diktatoren werden vom Westen mal gestützt, dann wieder gestürzt, Waffen werden geliefert, Stellvertreterkriege geführt, so wie jetzt in Syrien. Das ist ein Dampfkochtopf, der seit Jahren nicht nur, aber eben auch von uns auf Temperatur gebracht worden ist und jetzt explodiert. Dazu gesellt sich noch extreme soziale Ungleichheit, global wie regional. Wie naiv sind wir eigentlich, wenn wir glauben, wir könnten das Spitzengardinchen mal kurz zuziehen und dann wieder aufmachen, wenn alles vorbei ist?

Sie sind ratlos?

Barwasser: Ja, oft bin ich das, wie so viele andere auch. Das ist eine gewaltige gesellschaftliche Aufgabe – und das in einer Zeit, in der jeder schnelle Lösungen will. Das hier ist ein Generationenprojekt. Ich möchte nicht alarmistisch oder apokalyptisch sein. Aber es geht weit über alles hinaus, was wir bis jetzt erlebt haben. Und dann kommt eine AfD daher und überlegt, ob man an der Grenze auf Frauen und Kinder oder nur auf Frauen schießen darf! Ich begrüße es zwar, dass diese Leute endlich mal die Maske fallen lassen, aber auf welchem Niveau diskutieren wir eigentlich?

Fällt Ihnen dazu noch etwas ein?

Barwasser: Ja und nein. Viele erwarten von Kabarettisten Antworten, aber ich habe fast nur noch Fragen. Die müssen und sollen Kabarettisten auch formulieren. Es bedarf dabei einer großen Gründlichkeit und Dialektik. Es braucht auch den Streit, natürlich. Aber eben nicht so, wie er zum Beispiel in den sogenannten sozialen Netzwerken oft betrieben wird. Denkfaulheit, Rechtschreibschwäche und Internetanschluss, das ist manchmal eine etwas unglückliche Kombination. Nein, die Zeiten fürs Kabarett sind nicht besser, nicht schlechter – aber sie sind herausfordernder.

Ihre Fragen als Erwin Pelzig kamen oft aus dem Hinterhalt – der Frank-Markus Barwasser konnte sich gut hinter dem Pelzig verstecken.

Barwasser: Das gab es auch schon früher, dass sich Menschen im TV mit Kunstfiguren unterhalten haben. Das Besondere war vielleicht die Figur Pelzig. Der Anspruch war schon immer, etwas zu erfahren, die Zeit nicht zu verblödeln, den Gast vielleicht mal von einer anderen Seite kennenzulernen und ihn nicht nur zu benutzen, um sich selbst zu erhöhen.

Das haben Sie geschafft. Haben Sie auch Absagen kassiert?

Barwasser: Ja, einige. Wobei es selten vorkam, dass sich jemand grundsätzlich nicht mit dem Pelzig unterhalten wollte, sondern es waren oft Terminprobleme.

Sie gingen so gut informiert in die Sendung, dass man meinen konnte, Sie würden täglich mit dem Gesprächspartner Kaffee trinken. War die Maschinerie hinter Pelzig, die dem Journalisten Barwasser zuarbeiteten, riesig?

Barwasser: Nein, ganz und gar nicht. Eigentlich waren es mit mir vier Personen. Einer kümmerte sich um die Einladungen und hat dafür den Flugplan der Lufthansa auswendig gelernt, denn gerade für Berliner Politiker war es manchmal schwierig, schnell nach München und schnell wieder wegzukommen. Ein anderer legte die Dossiers zu den Gästen an. Die waren bis zu 200 Seiten stark. Die Bücher, die mancher Gast geschrieben hatte, wollte ich allerdings selber lesen. Und mit einem Kollegen habe ich viel über die Solo-Texte diskutiert. Klar, als Autor lag es schon sehr stark in meiner Hand, dafür hatte ich auch alle Freiheiten. Aber der Aufwand für die Sendung war schon gewaltig…

…aber dafür war jede Sendung ein Unikat.

Barwasser: Ja.

Mit wem hätten Sie gerne ein weiteres Glas Bowle getrunken?

Barwasser: Mit Sigmar Gabriel. Oder mit den Bahnern Hartmut Mehdorn oder Rüdiger Grube. Oder mit einem anderen Chef eines Dax-Unternehmens. Aber diese Manager gehen selten in Talkshows. Ein falsches Wort und der Aktienkurs des Unternehmens rauscht nach unten.

Hätten Sie die AfD eingeladen?

Barwasser: AfD und Pegida finde ich als Phänomen interessant, deren Funktionäre dagegen nicht. Beim ehemaligen Parteivorsitzenden Lucke hatte ich allerdings mal über eine Einladung nachgedacht, ja. Nach den jüngsten Ausfällen seiner Ex-Partei würde es mir aber sehr schwergefallen sein.

Sie würden nicht zurückschießen?

Barwasser: Wenn, dann nur verbal! Aber einige Zeit sah es ja nicht danach aus, dass diese Partei so stark wird, wie es jetzt scheint. Da wollte ich schon mal abwarten, wie sich das entwickelt. Jetzt ist damit zu rechnen, dass sie in Parlamente einzieht. Okay, warum auch nicht? Wenn es diese Strömung in der Bevölkerung gibt, warum soll es sich dann nicht auch parlamentarisch abbilden? Sonst wird diese vermeintliche Opferrolle nur noch verstärkt. Außerdem hat man das bei rechtsextremen Parteien schon oft gesehen: jede parlamentarische Verantwortung hat solche Herrschaften letztlich als primitiv und unfähig entzaubert.

Könnte es sein, dass die Menschen Kabarettisten brauchen, die gerade jetzt derlei Parteien neu einordnen?

Barwasser: Ach je, was heißt „brauchen“? Kabarett ist eine Kunstform. Manche wollen das, andere nicht. Das Kabarett hatte schon immer eine aufklärerische Funktion, aber über seine Wirkung sollte man sich keine Illusionen machen. Man sollte aber schon anstreben, nicht nur die eigene Gemeinde um sich zu versammeln, in der man sich gegenseitig bestätigt. Das ist ja sozusagen der Geburtsfehler des Kabaretts. Ich habe mal eine Reportage über eine Pegida-Demonstration gesehen. Da stand eine etwa 80 Jahre alte Frau mit einer Kerze in der Hand und sprach über ihre Ängste. Das hat mich sehr gerührt. Die Frau hatte einfach nur Angst vor dem, was gerade passiert, weil sie es nicht versteht. Und jetzt läuft sie den falschen Propheten hinterher, weil die einfache Antworten geben auf komplizierte Fragen. Kann man diese Frau zurückgewinnen? Wie muss ich sie dafür ansprechen? Bei einem Bachmann ist die Frage müßig, da ist alles zu spät. Aber diese alte Frau, um die sollte man sich bemühen. Nur, geht die ins Kabarett?