Ab Donnerstag tagen die Verkehrsexperten Bald Tempo 80 auf Landstraßen?

Von Thorsten Gütling
Eineinhalb Jahre ist es her, da starben bei einem schweren Verkehrsunfall bei Eschenmühle, nahe Obernsees, vier Menschen. Kreuze und Kerzen zeugen heute noch von der Tragödie. Ob ein geringeres Tempo, wie von Verkehrsexperten gefordert, den Unfall verhindert hätte, ist strittig. Foto: red

Der Verkehrsgerichtstag in Goslar fordert: Auf Landstraßen mit nur zwei Spuren soll künftig nur noch 80 Stundenkilometer schnell gefahren werden. Ab Donnerstag diskutieren die Experten darüber. Das Erstaunliche: Fahrlehrer und Ersthelfer im Landkreis Bayreuth stellen die Sinnhaftigkeit infrage.

 
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2013 starben bundesweit 1934 Menschen bei Unfällen auf Landstraßen. In Oberfranken immerhin 63. Das sind 60 Prozent aller Verkehrstoten. Dazu kommen 265 Schwerverletzte. Schuld war in beinahe jedem zweiten Fall überhöhte Geschwindigkeit. Zahlen aus dem vergangenen Jahr liegen noch nicht vor. Experten schätzen, dass sie gestiegen sind.

Dringenden Handlungsbedarf sieht daher Christian Kellner, der Hauptgeschäftsführer des Verkehrsgerichtstages. Im Vorfeld der Veranstaltung, die am Donnerstag in Goslar beginnt, plädiert er für ein Tempolimit von 80 Stundenkilometern auf allen Landstraßen mit weniger als sechs Metern Breite. Auf allen also, die weniger als drei Spuren haben. Kellner sagt: Viele Landstraßen sind für die allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern nicht gebaut. Und er steht mit dieser Meinung nicht allein da. Gewichtige Unterstützung erhält er vom Auto Club Europa (ACE). Dessen Sprecher sagt: Landstraßen sind oft zu schmal und in einem zu schlechten Zustand. Ganz ähnlich äußert sich auch die deutsche Verkehrswacht.

Bauamt: Viele sanierungsbedürftige Straßen

Kurt Schnabel, Leiter des Staatlichen Bauamts Bayreuth, kann das nicht abstreiten. „Rund 40 Prozent des Staatsstraßennetzes in Oberfranken sind sanierungsbedürftig“, sagt er. Darüber hinaus gebe es viele weitere Straßenzüge, die nicht den geltenden Richtlinien entsprächen, etwa zu enge Kurven hätten oder zu schmal seien. „Realistischerweise muss man aber sagen, dass die in den nächsten zehn Jahren keine Chance haben, gemacht zu werden.“

Das heiße aber nicht, dass in der Region nichts passiere. Momentan im Bau sei etwa die Ortsumgehung Melkendorf, noch in diesem Jahr sollen die Verfahren für den Ausbau der Landstraßen zwischen Creußen und Speichersdorf und zwischen Ramsenthal und Harsdorf beginnen.

Fahrlehrer: "Das ist zu einfach."

Einer aus der Region, der der Tagung in Goslar beiwohnen wird, ist Ingo Jeray. Jeray betreibt Fahrschulen in Bayreuth und Eckersdorf und ist im Vorstand des Landesverbandes bayerischer Fahrlehrer. Der Fahrlehrer sagt: „Jetzt einfach auf allen zweispurigen Landstraßen ein Tempolimit zu verhängen, wäre zu einfach.“ Zu überlegen sei vielmehr, die Straßen in Kategorien einzuteilen. Tempo 80 könnte dann dort gelten, wo eine Leitmarkierung fehle. Jeray sagt aber auch: „Das Problem sind ja die, die sich nicht an die Regeln halten. Wer rasen will, der wird auch rasen.“

Kritisch sehen die Tempolimitpläne auch diejenigen, die täglich mit den Folgen der Raserei konfrontiert werden. Weil sie Verunglückte aus ihren Wracks schneiden oder ärztlich versorgen müssen. Wie der Notarzt Stefan Eigl. Grund für die Unfälle sei keine zu lasche Regelung, sondern schlicht Unvernunft, sagt er. „Natürlich tut es weh, einen Schwerverletzten zu sehen, aber man muss auch ein bisschen an die individuelle Verantwortung des Menschen appellieren.“ Eigl hielte es für sinnvoller, die Geschwindigkeit stärker zu kontrollieren, statt sie zu senken. „Wir müssen heute mobil sein, wollen schnell von A nach B kommen. Und dazu sind die Landstraßen nunmal da.“

Feuerwehr: "Rasen ist nur eine von vielen Unfallursachen."

Ganz ähnlich sieht es Sven Kaniewski, Sprecher beim Kreisfeuerwehrverband. Er sagt: Unfälle haben viele Ursachen und überhöhte Geschwindigkeit ist nur eine davon. Unachtsamkeit, Selbstüberschätzung, Materialfehler oder eine unglückliche Verkettung verschiedener Ursachen seien die anderen. Selbstverständlich seien die Verletzungen bei einem Unfall mit hoher Geschwindigkeit schlimmer, sagt Kaniewski. Aber auch hier komme es auf mehrere Faktoren an: Alter und Zustand des Fahrzeugs und vor allem: die Stelle des Aufpralls. „Wer bei 80 km/h mit der Fahrerseite an einen Baum knallt, kann schwerer verletzt sein, als nach einem Frontalunfall bei 100 km/h“, sagt Carolin Rausch vom Kreisfeuerwehrverband. Und die Feuerwehrfrau sagt auch: „Ich persönlich finde, dass ich bei 150 Stundenkilometern konzentrierter fahre, als wenn ich mit 100 dahinplätschere.“

Übrigens: Auch das Bayerische Innenministerium hält vom flächendeckenden Tempolimit wenig. „Dass eine Straße nicht breit genug ist, reicht für ein generelles Tempolimit nicht aus“, sagt Ministeriumssprecher Michael Siefener. Erst, wenn eine enge Kurve, eine gefährliche Einmündung oder schlechter Fahrbahnbelag dazukämen, sei eine Geschwindigkeitsbegrenzung sinnvoll und schon jetzt üblich. „Bei generellen Limits wird sich die Akzeptanz der Autofahrer eher in Grenzen halten.“

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