Angeklagter will im Prozess erklären, dass die Vorwürfe einen medizinischen Hintergrund haben Missbrauchsprozess in Bamberg: Chefarzt plädiert auf unschuldig

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Alles zu medizinischen Zwecken, sagt der ehemalige Chefarzt des Bamberger Klinikums Horst W. (49). Angeklagt ist er wegen Vergewaltigung. Seine Anwälte Klaus Bernsmann und Katharina Rausch haben eine Erklärung abgegeben. Foto: Lapp Foto: red

Hat er die Frauen missbraucht oder war es doch Medizin? In einem der spektakulärsten Prozesse des Jahres steht der ehemalige Chefarzt Heinz W. (49) vor dem Bamberger Landgericht. Er soll während seiner Zeit als Gefäßchirurg am Bamberger Klinikum zwölf Frauen sediert, sie missbraucht und davon noch Aufnahmen gemacht haben. Er bestreitet das und führt medizinische Gründe an.

 
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Grauer Anzug, leicht lächelnd. Schweigend trat er mit seinen Verteidigern aus dem Aufzug - ohne Hand- und Fußfesseln. Sein Gesicht verbarg er auch nicht hinter einem Aktenordner: W. will sich verteidigen, hält sich für unschuldig. Alles sei mit medizinischem Hintergrund geschehen, so ließ er es dieser Zeitung bestätigen. Darauf deutete auch seine erste Erklärung vor Gericht hin: Er legte seinen Werdegang vom Sohn eines Amtsgerichtsdirektors zum Chefarzt dar. "Ich habe versucht, die schonendsten Verfahren für Patienten herauszufinden, um das Leiden zu mindern."

Als Oberstaatsanwalt Bernd Lieb die Anklage verlas, saß W., akkurater Haarschnitt, tadellos sitzende dunkle Krawatte, aufrecht am Tisch. Er schrieb und schrieb, seine Notizen füllten viele Blätter seines Ringbuches. Der Sohn eines Amtsgerichtsdirektors zeichnete seinen Weg vom Abitur über den Weg zum Elite-Soldaten, zum Medizinstudenten und zum international geachteten Arzt. Er ist gewohnt zu reden, über Medizin zu reden, und er fällt schnell in eine Dozenten-Rolle. Und noch auf der Anklagebank ist er Chef-Arzt durch und durch.

Dabei soll er gerade diese Position missbraucht haben. Den zwölf Frauen, alle sehr schlank zwischen 17 und 28 Jahren, soll er eine medizinische Studie bei einer großen Forschungsgesellschaft vorgegaukelt haben. Er suchte angeblich nach einem Weg, gegen Thrombosen bei sehr schlanken Frauen vorzugehen. Diese Studie, das steht fest, hat es nicht gegeben. Zwei Frauen führte er sogenannte Butt Plugs ein, Sexspielzeug, das zum Weiten von Körperöffnungen verwendet wird. Aufnahmen, die er selbst gefertigt hat, zeigen: Während er diese Gegenstände einführt spricht er von „Bluetooth-Sonden“. Auch von sich selbst hatte er zuhause Aufnahmen gemacht, während er sich diese einführte.

Ein Fall wiegt in der Öffentlichkeit besonders schwer. W. soll das 18 Jahre alte Patenkind seiner Frau zum Musical-Besuch eingeladen haben. Starlight-Express in Bochum. Doch statt des versprochenen Doppelzimmers hatte W. für sich und die junge Frau ein Doppelzimmer gebucht. Eines, in das er vorher heimlich Video-Kameras installiert hatte. Auf den Aufnahmen war zu sehen, wie das Patenkind seiner Frau nur in Unterwäsche auf dem Bett lag und W. sich mit einem „stabförmigen Gegenstand“ an ihrem Bauch und Beinen zu schaffen machte. Zu ihrem 19. Geburtstag soll er ihr nach Informationen dieser Zeitung eine Kiste mit Vibratoren geschenkt haben.

Vier der zwölf Frauen waren mit ihren Anwälten im Gerichtssaal und hörten zu – und beobachteten ihren angeblichen Peiniger. Auch Romana S. (26), die mit ihrer Anzeige den Prozess ins Rollen gebracht hatte. Eine dunkelhaarige Frau, auch sie auffallend schlank, das schwarze Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Sie saß in der ersten Reihe. In einem Interview hatte sie angekündigt, dem Angeklagten in die Augen schauen zu wollen. Ihr ging es nach der „Behandlung“ im vergangenen Juli nicht gut. Ihr war übel und sie konnte sich an nichts mehr erinnern, beim Tanzkurs mit ihrem Freund merkten das auch andere. Sie traf sich mit ihrem Vater, einem Internisten, gegen Mitternacht auf dem Parkplatz einer Autobahn. Der nahm eine Blutprobe seiner Tochter und sandte sie an ein Labor in München. Ergebnis: Es waren Reste eines starken Sedativums. Romana S. zeigte den Chefarzt an – wenige Wochen später saß er in Untersuchungshaft.

Im Verlauf der 21 Verhandlungstage bis Ende Mai will er das mit detaillierten medizinischen Ausführungen erklären. Schon jetzt mutmaßen Prozessbeobachter, dass die angesetzten Verhandlungstage nicht reichen werden. W. sprach von neuen Wegen, die er im Laufes seine Medizinerlaufbahn gesucht habe. Die Fotos, so W. gleich zu Beginn des Prozesses, habe er ausschließlich zu Schulungszwecken gemacht. Außerdem seien nicht alle, die in er Anklage vorkamen, von ihm gemacht.

Die Verteidiger sehen ihren Mandanten als „vorverurteilt“. Es gebe nicht viele Verfahren, bei denen dieser Begriff besser passte, heißt es in einer Erklärung, die dieser Zeitung vorliegt. Arbeitgeber, Kollegen und Medien hätten sich „bei erster Gelegenheit den so schnell wie nur möglich öffentlich gemachten Vorwürfen kritiklos angeschlossen“. Die Anwälte kritisierten auch, dass die angeblich missbrauchten Frauen hinter verschlossenen Türen vernommen werden, die Hauptzeugin aber in der Zeitschrift Stern ein Exklusiv-Interview gab. „Warum wird die Unschuldsvermutung von so vielen derart missachtet“, heißt es in der Erklärung weiter. Die Anwälte fürchten, dass jetzt kein faires Verfahren mehr gegen W. möglich sei.

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