Arbeiten ohne Ende

Von Andreas Gewinner
Schraubt seit 1951, also seit 65 Jahren: Alfred Heser vom gleichnamigen Warmensteinacher Autohaus. Morgens ist er der Erste, abends der Letzte. Auch mit 79 Jahren ist der Kfz-Meister noch immer das Herz seines Betriebes und sein Wissen und Können unverzichtbar. Aber ein Ende ist absehbar.Foto: 
Hildegard Heser Foto: red

Sie sind 70 oder 80 oder noch älter.  Und sie arbeiten seit 50, 60 oder mehr Jahren. Und es sind mehr, als man meint.  Wir suchten arbeitende Alte. Und wurden in Warmensteinach fündig. Unter anderem bei Alfred Heser. Er arbeitet seit 1951 voll. Warum er und andere auf die Rente mit 63 pfeifen und einfach weiterabeiten.

 
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Vor 65 Jahren hatte Alfred Heser seinen ersten Arbeitstag, als er im väterlichen Betrieb begann. 1960 ging aus diesem ein VW-Autohaus hervor. Bis heute geht Alfred Heser (79) jeden Wochentag in die Arbeit, kommt um halb acht und geht erst gegen 18 Uhr nach Hause.

Was hält einen Menschen sechseinhalb Jahrzehnte im Beruf, wo andere längst ihren wohlverdienten Ruhestand genießen? „Der Kontakt zu den Kunden“, sagt Heser, „Zuhören. Sich auf die verschiedensten Menschen einstellen. Und die Befriedigung, den Fehler gefunden zu haben und ein Auto wieder zum Laufen zu bringen.“ Das sind die Dinge, die sich in mehr als einem halben Jahrhundert nicht geändert haben.

Früher weniger Papier

In der Welt des Automobils hat sich sonst seit 1951 fast alles geändert. Als Heser begann, wurde mehr repariert als ausgetauscht. Heute ist die Elektronik viel wichtiger. Und Papier gab es früher weniger, das Kaufmännische war einfacher.

Wie oft kommt es vor, dass jemand mit über 65 noch arbeitet? Die Mehrzahl der über 65-Jährigen, die noch arbeiten, dürften Selbstständige sein, die die Agentur für Arbeit nicht erfasst. Aber es gibt auch Angestellte, die jenseits der 65 noch arbeiten. Der Anteil der Voll- und Teilzeitbeschäftigten ist in ganz Bayern zwischen 2011 und 2015 von 0,5 auf 0,7 Prozent gestiegen. Etwas geringer ist die Zahl im Bereich der Agentur für Arbeit Bayreuth-Hof: 0,4 und 0,6 Prozent. Identisch sind die Werte für die Stadt Bayreuth. In den Landkreisen Bayreuth und Kulmbach ist der Anteil der Beschäftigten über 65 Jahre jeweils von 0,4 Prozent (2011) auf 0,7 Prozent (2015) gestiegen. Die Zahlen kommen von der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit. Bemerkenswert: Jeweils mehr als die Hälfte der arbeitenden Senioren tun das noch in Vollzeit. Für den Anteil der über 65-Jährigen unter den Selbstständigen, die noch arbeiten, gibt es laut der Industrie- und Handelskammer Bayreuth keine Informationen.

Anteil hat sich verdoppelt

Der Anteil der erwerbstätigen 65- bis 70-Jährigen hat sich seit 2000 mehr als verdoppelt, so der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Er kommt zu wesentlich höheren Zahlen als die Bundesagentur für Arbeit. Bundesweit arbeitet demnach noch jeder Sechste in dieser Altersgruppe. Eingeschlossen sind hier aber auch 65-Jährige, die den Renteneintritt (derzeit: 65 Jahre und fünf Monate) noch nicht erreicht haben. Diese machen jedoch weniger als ein Fünftel der arbeitenden Alten aus. Am höchsten ist die Beschäftigungsquote in Baden-Württemberg; Bayern liegt an vierter Stelle. In Bayern stieg der Anteil von zehn auf 17,8 Prozent. Am höchsten ist der Anteil in Passau (31,3 Prozent), am niedrigsten in Fürth (10,1 Prozent). Nicht viel höher ist er in Erlangen-Höchstadt, Wunsiedel, Coburg und Schweinfurt (11,2 bis 11,9 Prozent).

Der Verband versucht sich auch an einer Antwort auf die Frage, ob Alte arbeiten, weil sie wollen und können. Oder weil sie müssen. Eine eindeutige Antwort gibt es nicht: „Ein wichtiger Faktor ist die Wirtschaftskraft. In starken Regionen gibt es insgesamt mehr Arbeit – so auch für Ältere. In Boomregionen haben Rentner wegen der höheren Lebenshaltungskosten zudem ein größeres Interesse an einer Arbeit. Auch Pendler beeinflussen die Statistik: Sie treiben die Beschäftigungsquote in boomenden Städten nach oben, während sie in den angrenzenden Kreisen absinkt.“

Doch für Alfred Heser ist nach sechseinhalb Jahrzehnten der Ruhestand in Sicht. Im Laufe des Jahres will er die Geschäfte an seine Tochter Claudia Schöbel übergeben.

Es gibt noch viel mehr

Doch Alfred Heser ist bei weitem nicht der einzige Warmensteinacher, der bisher keinen Ruhestand kannte.

Manfred Röthel (Fotografenmeister): Am 1. April 1929 hat Hermann Röthel sein Geschäft bei der Gemeinde Warmensteinach angemeldet. Es besteht heuer nunmehr seit 87 Jahren. Nachdem sein Sohn Manfred Röthel die Volksschule 1952 beendet hatte, trat er mit ins Geschäft ein und absolvierte eine Fotografenlehre bei Foto Junker in Wunsiedel. Danach legte er die Prüfung als Fotografenmeister ab. In den 50er Jahren verbrachte man die meiste Zeit in der Dunkelkammer, um schwarz-weiße Bilder zu fertigen. Die Hauptaufgaben waren Passbilder, Hochzeitsaufnahmen sowie Reportagen.   Es war eine schöne Zeit. Als Sportfotograf war er bei den vielen Wintersportveranstaltungen in Warmensteinach hautnah dabei – und auch bei Politikerbesuchen stand er in nächster Nähe, etwa bei den Bundespräsidenten Karl Carstens, Richard von Weizsäcker, Bundeskanzler Willy Brandt und vielen Ministern. Manfred Röthel war 30 Jahre als Prüfungsmeister für Gesellenprüfungen tätig. Mit 78 Jahren und 64 Berufsjahren steht er immer noch gerne im Laden.

 Horst Nickl (Braumeister): Nach Abschluss der Volksschule in Oberwarmensteinach erlernte Horst Nickl das Brauerhandwerk. 1961 legte er die Meisterprüfung ab. Nachdem er 1976 bereits als Gesellschafter in die Brauerei Hütten eingetreten war, übernahm er 1981 den Betrieb. Mittlerweile ist die Familie Nickl in der dritten Generation erfolgreich im Brauwesen und im Bierzeltverleih tätig. Mit nunmehr 79 Jahren ist Horst Nickl noch immer unermüdlich im Betrieb tätig und unterstützt die junge Generation mit seinem vielfältigen Wissen. Allein zu Hause würde er nach eigenem Bekunden durchdrehen.

 Josef Trepl (Baumeister): Josef Trepl wurde am 4. Mai 1935 geboren. Er versucht seit Jahren, einen fähigen Nachfolger zu finden. Da ihm dies bisher nicht gelungen ist, macht er deshalb weiter. Aber auch, weil es ihm Spaß macht und er sein Geschäft selbst aufgebaut hat. Er ist immer noch für den Kunden da – selbst an Sonn- und Feiertagen.

Katharina Fischer (Gästepension): Katharina Fischer lernte im elterlichen Betrieb Metzgereiverkäuferin. Sie schlachtete sogar mit. Im Jahr 1970 machte sie sich selbstständig und baute im Reisigbach einen Pensionsbetrieb auf, den sie in den Folgejahren immer mehr vergrößerte. Katharina Fischer hat Freude an der Arbeit und am Umgang mit Menschen. Sie ist auch im Alter von 85 Jahren immer noch sehr aktiv. Solange es ihre Gesundheit zulässt, will sie weiter für ihre Gäste da sein.

Anton Reichenberger (Hotel Bergblick): Eigentlich war Anton Reichenberger, geboren am 26. Mai 1934, gelernter Schneidermeister von Beruf. Nach einer Umschulung in einem Hotel in Bischofsgrün war er ab 1961 im Hotel- und Gaststättenbetrieb tätig. Nach dem Tod seines Vaters 1971 übernahm er den elterlichen Betrieb. Sohn Hubert übernahm das Hotel Bergblick 2006. Anton erklärt, dass er so lange mitarbeiten werde, bis er umfalle – denn Personal koste viel Geld und er sei das Sparen gewöhnt.

Annemarie Reichenberger (Hotel Bergblick): Annemarie Reichenberger, die Schwester von Anton Reichenberger, wurde im Januar 80 Jahre alt. Seit nunmehr 64 Jahren ist sie im Familienbetrieb mit tätig. Im gesamten Hotelbetrieb ist sie bis heute nicht wegzudenken. Nach eigener Aussage kann sie sich ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen.

Arno Herrmann (Winkelhof): Am 19. November 1939 geboren, studierte er Lehramt und war als Grund- und Hauptschullehrer tätig. Von Kindesbeinen an musste er auf dem elterlichen Bauernhof, der seit 1830 im Familienbesitz ist, mithelfen. Die Freude an der Landwirtschaft, die er auch heute noch empfindet, hat er von seinem Großvater geerbt. So fühlt er sich nach eigener Aussage dem „Berg“ verpflichtet und ist immer noch Herr über 40 Rinder, Pferde, jede Menge Kleintiere und seine Felder und Wiesen.

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