Abitur nur noch ein Massenartikel

Von Norbert Heimbeck
Michael Lerchenberg, Regisseur und Kuratoriumsmitglied der Universität Bayreuth, sorgt sich um die Qualität des Studiums. Foto: Peter Kolb Foto: red

Das moderne Abitur berechtigt vor allem zum Einstellungstest als Banklehrling oder Versicherungskaufmann. Eine provokante These, die Michael Lerchenberg bei der Jahresfeier der Universität Bayreuth aufstellte. Der Luisenburg-Intendant bekam für seine Polemik über den „Bichi, bachi, Bachelor“ im größten Hörsaal der Uni anhaltenden Beifall.

 
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Die akademische Jahresfeier im November ist der Höhepunkt im Campusleben. Der Präsident zieht an diesem Tag Bilanz und ehrt herausragende Wissenschaftler. Die Studenten sagen, was ihnen am Herzen liegt. Und ein Festredner spricht über ein akademisches Thema. Vor mehreren hundert Zuhörern und Vertretern anderer bayerischer Universitäten verwies Uni-Präsident Stefan Leible auf erfreuliche Platzierungen der Uni Bayreuth in Ranglisten, die bundesweit, aber auch international die Lehre bewerten. Als Meilenstein in der Entwicklung der Universität stellte er das neue Institut für fränkische Landesgeschichte vor, das Bayreuth zusammen mit der Uni Bamberg auf Schloss Thurnau betreibt. Am Schluss seiner Rede wurde Leible ungewohnt politisch: Er warnte vor Populisten, die Sachverhalte „bis zur Unkenntlichkeit vereinfachen“. Diese seien nicht nur eine Gefahr für die Gesellschaft, sondern bedrohten auch die akademische Freiheit.

Skripte sollen digital und kostenlos sein

Niklas Wenzel ist Vorsitzender des Studentenparlaments. Er verwies unter anderem darauf, dass das Buddyprogramm der Studenten zur Betreuung von Asylsuchenden jetzt in die dritte Runde geht. Er lobte ausdrücklich das Engagement der Professoren: „Deren Arbeit hört nicht an der Campusgrenze auf.“ Viele würden sich auch in ihrer Freizeit für die Studenten einsetzen: „Vor diesem Hintergrund fallen Ausnahmen besonders auf.“ Harsche Kritik übte er an der Praxis von Professoren, Skripte für teures Geld zu verkaufen: „Es wirft kein gutes Licht auf die Universität, wenn Professoren sich unter Hinweis auf das geistige Eigentum weigern, digitale Versionen ihrer Skripte anzubieten.“

Anerkennung der Wirtschaft fehlt

Michael Lerchenberg ist nicht nur als Bruder Barnabas ein scharfer Satiriker. Als Intendant auf der Luisenburg hat er immer wieder Stellung zu strukturpolitischen Fragen der Region bezogen: „Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich ins Kuratorium der Universität berufen wurde,“ sagte er. Das lateinische Wort Kurator bedeutet soviel wie „einer, der Sorge für etwas trägt“. Oder der sich Sorgen um etwas macht. Lerchenbergs Sorgenkind ist die universitäre Ausbildung. Bekanntlich wurde 1999 die europaweit geltende Bologna-Reform verkündet. Sie sollte das Studium vereinheitlichen und durch die zweistufige Ausbildung zum Bachelor beziehungsweise Master jungen Leuten den Einstieg ins Berufsleben oder in eine wissenschaftliche Laufbahn ebnen. Dieses Ziel sei jedoch völlig verfehlt worden, sagte Lerchenberg: „Ein Chemie-Bachelor ist bloß ein Laborant. Selbst Maskenbildner - ein reiner Handwerksberuf - sind heute Bachelor.“ Die Anerkennung der Wirtschaft für den Abschluss sei gering. Das liege auch daran, dass der Bachelor „klammheimlich zum Ersatz unserer allgemeinen Hochschulreife mutiert“ sei. Das Abitur sei von „einem Schulabschluss für intellektuell Herausragende zu einem Massenartikel verkommen.“

Seine besondere Kritik galt der Tatsache, dass der Staat „systemrelevante Studiengänge wie Lehrer, Mediziner und Juristen“ nicht der Reform unterworfen habe: „Die schreiben weiterhin ihre Staatsexamen.“ Weiter monierte er, dass viele junge Leute zu Beginn ihres Studiums eigentlich noch ein Jahr bräuchten, um sich zu orientieren: „Mit 18 Abitur, mit 21 Bachelor, dann wissen viele erst, was sie nicht wissen.“ Wehrpflicht beziehungsweise Zivildienst seien eine wichtige Zeit der Orientierung gewesen: „Da konnte man auch soziales Empfinden ausbilden.“ Spontaner Applaus an dieser Stelle für den Redner.

Ob das Bologna-System, das „Schmalspurakademiker“ hervorbringe, eine Zukunft hat? „Ich rate den jungen Leuten, lasst Euch Zeit. Stürzt Euch nicht ins nächstbeste Studium“, sagte Lerchenberg: „Die jungen Menschen sind unsere Zukunft. Sie hätten Besseres verdient.“

Info: Der Titel von Lerchenbergs Rede „Bichi, bachi, Bachelor“ klingt nur wie ein Kinderreim. Tatsächlich heißt „bichi“ im Spanischen „nackt“, „bachi“ ist italienisch und bedeutet „schlechter Mensch“, sagte der Redner. Damit sei der Bachelor nackt, weil ohne wirkliches Wissen und schlecht, weil ohne anerkannten Studienabschluss.

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