71 Prozent für Flüchtlings-Obergrenze

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71 Prozent der Menschen in Bayern halten nach einer neuen Umfrage eine Obergrenze für Flüchtlinge für notwendig. Auch Freie-Wähler- und SPD-Anhänger sind mehrheitlich dafür, wie aus der Erhebung im Auftrag der Landtags-CSU hervorgeht, die am Dienstag auf deren Winterklausur in Wildbad Kreuth vorgestellt wurde. Lediglich unter den Grünen-Anhängern sind die Befürworter einer Obergrenze in der Minderheit.

 
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Die anhaltend hohe Zahl von Flüchtlingen macht der Umfrage zufolge zwei Drittel aller Bayern große oder sogar sehr große Sorgen. 31 Prozent sagen dagegen, sie hätten angesichts der Entwicklung nur geringe oder gar keine Sorgen.

64 Prozent der Menschen sind laut Umfrage dafür, dass Integration sich an den Spielregeln der hiesigen Gesellschaft, also der hiesigen „Leitkultur“, ausrichten müsse. 29 Prozent bevorzugen dagegen eine multikulturelle Gesellschaft, in der Migranten nach ihren eigenen Traditionen und Normen leben können. Nur bei den SPD-Anhängern ist eine Mehrheit von 66 Prozent für eine - in der Frage so definierte - multikulturelle Gesellschaft.

Eine Vollverschleierung von Frauen lehnen demnach 77 Prozent der Bayern strikt ab. Auch bei den Grünen sind es noch 62 Prozent. Das Institut „policy matters“ hatte vom 4. bis 11. Januar insgesamt 1016 Menschen in Bayern telefonisch befragt.

Die CSU möchte das Thema Flüchtlinge auf ihrer derzeitigen Klausur in Wildbad Kreuth noch weiter diskutieren und sieht das Votum aus der Umfrage als Bestätigung. Dazu gehört auch die Ablehnung von Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik. Die Kanzlerin kommt am Mittwoch bereits zum zweiten Mal nach Kreuth.

Brandbrief an die Kanzlerin

In einem Brandbrief an Kanzlerin Merkel fordern mehr als 30 CSU-Landtagsabgeordnete einen Kursschwenk in der Flüchtlingspolitik - und die Festlegung einer Obergrenze für die Zuwanderung. "Mehr als 200.000 Zuwanderer pro Jahr – seien es Bürgerkriegsflüchtlinge oder Asylsuchende – kann Deutschland nicht verkraften", heißt es in dem Schreiben, das Merkel bei ihrem Gastauftritt auf der CSU-Fraktionsklausur am Mittwochabend in Wildbad Kreuth übergeben werden soll. "Wir haben die große Befürchtung, dass ohne eine schnelle Begrenzung in 2016 noch weit mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden als im Jahr 2015." Das Schreiben lag der Deutschen Presse-Agentur im Wortlaut vor.

Die Gruppe von mehr als 30 Abgeordneten - die, die 2013 neu in den Bayerischen Landtag gewählt wurden - beschreibt in teils drastischen Worten, wie schlecht die Stimmung in der Bevölkerung angeblich sei. "Was uns zu diesem Brief bewegt, ist die tiefe Sorge um die Zukunft unseres Landes", heißt es gleich zu Beginn. Und: "Das Stimmungsbild in der Bevölkerung ist so schlecht wie nie zuvor. Die Ängste vor der Zukunft, mittlerweile aber auch die Verzweiflung und die Wut der Bürger, sind mit Händen greifbar. Tag für Tag erreichen uns die Bitten unserer Bürger, die Politik möge jetzt endlich handeln!"

Die CSU-Abgeordneten warnen Merkel eindringlich und betonen: "Wir haben größte Befürchtungen, dass es spürbare Leistungskürzungen für die Bürger geben wird, um die großen Herausforderungen der Flüchtlingskrise zu bewältigen. Das würde die Solidarität der Bevölkerung zerstören, letztlich extreme Parteien stärken und damit die Demokratie insgesamt gefährden." Das könne man nicht hinnehmen.

Herrmann stellt Ultimatum für funktionierende Grenzkontrollen

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will Flüchtlinge künftig unmittelbar an der Grenze zurückweisen, wenn die Kontrollen an den EU-Außengrenzen nicht innerhalb weniger Wochen funktionieren. Es gehe zwar nicht um eine komplette Schließung der Grenzen auch für den Wirtschaftsverkehr oder Touristen, sagte Herrmann am Dienstag am Rande der CSU-Fraktionsklausur in Wildbad Kreuth. "Es geht darum, dass wir keine Flüchtlinge mehr unkontrolliert in unser Land lassen." Und wenn jemand aus einem sicheren Nachbarland komme, dann sei dieser "unmittelbar abzuweisen. Das ist keine Erfindung der CSU, sondern geltendes deutsches Recht."

"Wir brauchen eine klare Beachtung des geltenden EU-Rechts an den Außengrenzen", betonte Herrmann. Und wenn die EU die Kontrolle, die Erfassung und die Abnahme von Fingerabdrücken aller Flüchtlinge nicht binnen Wochen garantieren könne, dann müsse Deutschland handeln.

Personell steht dem nach Ansicht Herrmanns nichts entgegen: «Wenn der Bund will, dann ist das rein praktisch durch Bundespolizei mit Unterstützung der Länder auch umsetzbar.» Die Forderung von CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer, auch einen Bundeswehreinsatz an der Grenze zu ermöglichen, nannte er politisch richtig. Dafür brauche es aber eine Grundgesetzänderung, und so lange könne man nicht warten.

Diskussion um bayerische Leitkultur

Ebenfalls mit der Flüchtlingsfrage soll auf der Klausur noch eine bayerische Leitkultur diskutiert werden. Der Vorsitzende der CSU-Grundsatzkommission, Markus Blume, will demnach in Wildbad Kreuth Eckpunkte für die Definition einer „Leitkultur“ vorlegen. Im Kern gehe es auch um das Bekenntnis zur deutschen Sprache, die Akzeptanz von Traditionen und eine Definition von Toleranz. Zuwanderer sollen in Bayern durch eine Verfassungsänderung zur Achtung deutscher Grundwerte verpflichtet werden. Welche Grundwerte das sind und wie man sie formuliert, soll in Wildbad Kreuth aber nur andiskutiert werden, hieß es am Montag.

Sollte das Vorhaben die für eine Verfassungsänderung im Landtag nötige Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlen, will die CSU eine Volksbefragung initiieren. „Allein die Debatte wird uns gesellschaftlich weiter bringen und eine klare Erwartungshaltung an die Migranten formulieren“, sagte Kreuzer. Zuletzt hat die CSU mit Thema und Begriff "Leitkultur" 2010 für Schlagzeilen gesorgt.

dpa/red

Hintergrund Leitkultur:

(kfe). Der Begriff ist seit 2000 im Repertoire der politischen Diskussion, direkt im Zusammenhang mit Flüchtlingen und als Gegen-Wort zu Multikulturalismus, aber er ist eigentlich noch älter und meint etwas noch Umfassenderes.

Die CSU hat ein Bekenntnis zur "deutschen Leitkultur" bereits seit September 2007 in ihrem Grundsatzprogramm. Ebenfalls 2007 griff der damalige CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla den Begriff für das CDU-Parteiprogramm auf - im CDU-Grundsatzprogramm gibt es seit Anfang Dezember 2007 den Begriff „Leitkultur in Deutschland“. Laut CSU-Zeitung Bayernkurier definierte 2010 der damalige Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrindt, die deutsche Leitkultur als "das Christentum mit seinen jüdischen Wurzeln, geprägt von Antike, Humanismus und Aufklärung."

Mitten in der Diskussion um den Begriff "Leitkultur" 2010 veröffentlichte der Journalist und Kulturwissenschaftler Mark Terkessidis sein Buch "Interkultur" bei Suhrkamp, in dem er nahelegt, warum es nicht gut ist, dass Menschen nur auf ihre Herkunft und damit ihre Kultur reduziert werden, eben wweil sich Kulturen vermischen und damit auch die deutsche Kultur verbndert wird, andererseits aber auch nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass Multikulturalität "als unverbindlich-tolerantes Nebeneinander" verstanden wird. Terkessidis sagte schon damals, Integration habe in Deutschland nicht wirklich stattgefunden, wenn es um tatsächliche Teilhabe von Menschen in allen Bereichen des Lebens ginge und plädierte für radikal neue Begriffe und Bewertungen. Und er machte darauf aufmerksam, dass sich Deutschland ja erst seit 1998 (auch) als Einwanderungsland definiere.

 

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