28. Januar 1986: Challenger-Katastrophe

Von Jens Schmitz und
 Foto: red

Es sollte ein Festtag werden. Millionen Menschen auf der ganzen Welt verfolgten live den 25. Start eines Spaceshuttles – und wurden dann Zeugen einer Katastrophe. Die Explosion der „Challenger“ vor genau 30 Jahren war das bis dahin größte Unglück der Raumfahrtgeschichte.

 
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Wenige Ereignisse haben sich so ins kollektive Gedächtnis der USA eingegraben, dass die meisten Zeitzeugen noch wissen, wo sie die Nachricht vernommen haben. Die Ermordung von Präsident John F. Kennedy war ein solcher Eckpunkt, oder der Einsturz des New Yorker World Trade Centers. Und jener 28. Januar 1986: Vor 30 Jahren hatten sich überall im Land Schulklassen vor dem Fernseher versammelt, um den Start der Raumfähre Challenger mitzuerleben – neben sechs weiteren Besatzungsmitgliedern war erstmals eine Lehrerin mit an Bord. Christa McAuliffe sollte aus dem All für die Raumfahrt werben. Manche Kinder hatte die Nasa direkt ins Kennedy Space Center nach Florida eingeladen. Was sie dort an einem klirrend kalten Dienstagmorgen zu sehen bekamen, war aber kein Bilderbuchstart, sondern die größte Katastrophe der bisherigen Raumfahrtgeschichte: 73 Sekunden nach dem Abheben brach der Spaceshuttle in 16 Kilometern Höhe auseinander. Feuerbälle zerrissen den makellos blauen Himmel, weißer Qualm zeichnete ein unwirkliches V-Zeichen ans Firmament. CNN-Kommentator Tom Mintier hoffte wie viele andere noch, dass sich nur die Starthilfsraketen abgesprengt hätten und die Raumfähre hinter den Schwaden wieder auftauchen würde. Aber sein ratloses Schweigen und die sinkenden Spuren über dem Meer machten bald jede Hoffnung zunichte. Auf den Straßen des Landes hielten zahlreiche Autofahrer an, um das Unbegreifliche aus dem Radio zu verstehen.

Die Explosion im Video:

Eine tragische Nebenrolle spielte an jenem Tag auch Steve Nesbitt, der offizielle Nasa-Sprecher. Nesbitts Aufgabe war es, alle 15 Sekunden die Flugdaten der „Challenger“ zu kommentieren. Und so las er von seinem Computerschirm Daten eines Raumschiffs ab, das zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr existierte: „Eine Minute 15 Sekunden. Geschwindigkeit 2900 Fuß pro Sekunde. Höhe neun Nautische Meilen. Distanz zum Startplatz sieben Nautische Meilen.“ Dann, so erinnerte sich Nesbitt, blickte er auf den Platz neben sich, wo ein Fernsehgerät lief. Und sah das, was Millionen Amerikaner auch sahen – dieses V am Himmel. „Und ich dachte: Oh Mist. Da läuft irgendetwas schief.“ Nach einer fast ewig erscheinenden Pause von 15 Sekunden, als noch niemand wusste, was jetzt eigentlich passiert ist, sagte Nesbitt die Worte, die als Untertreibung des Jahrhunderts in die Geschichte eingingen: „Die Flugkontrolle beobachtet die Situation sehr genau. Offenbar eine schwere Fehlfunktion.“

 

Der amerikanische Pioniergeist im All hatte schon vorher Menschenleben gekostet. Kein Desaster hat die Nasa aber so erschüttert wie der Verlust ihrer zweiten Raumfähre. Präsident Ronald Reagan, der am Abend im Kongress zur Lage der Nation sprechen sollte, wandte sich statt dessen aus dem Weißen Haus an die Bevölkerung. Er setzte eine Untersuchungskommission ein, während das Shuttle-Programm für 32 Monate pausierte.

Die Ergebnisse waren für die Behörde wenig schmeichelhaft: Grund für die Explosion war das Versagen zweier Dichtungsringe an einer der beiden seitlichen Feststoffraketen. Bereits bei den meisten der vorausgegangenen 24 Shuttleflügen hat es hierbei Auffälligkeiten gegeben. Doch bislang war alles gut gegangen; auch wenn einer der Gummiringe durchgebrannt war, hielt noch der andere. Und so wurde das Problem als weniger schwerwiegend angesehen. Schließlich befand sich die Nasa mit ihren Shuttles im Wettbewerb um Satellitentransporte, und jede Änderung an der Raumfähre kostete Zeit und Geld.

An jenem verhängnisvollen 28. Januar hatte der Hersteller der Feststoffraketen davor gewarnt, sein Produkt bei Frost zu verwenden, aber der Start fand dennoch statt. Der Flug wurde bereits mehrfach verschoben, und die Nasa-Manager fragten angesichts der Warnung genervt, wann sie denn überhaupt starten sollen. Und so nahm die Katastrophe ihren Lauf; die Besatzung war bereits verloren, als die „Challenger“ die Startrampe verließ. Ein seitlicher Feuerstrahl aus einer der Feststoffraketen bohrte sich durch die vor Kälte starren Dichtungsringe, schweißte ein Loch in die Außenwand des großen Außentanks. Die Rakete löste sich von der unteren Halterung, drehte sich um die obere Aufhängung und bohrte sich mit ihrer Spitze weiter oben in den Tank. Der große Behälter, das Rückgrat der Shuttle-Konfiguration, zerbarst, die „Challenger“ stand plötzlich bei mehrfacher Schallgeschwindigkeit quer im Fahrtwind und zerbrach in unzählige Teile.

Die Besatzungsmitglieder müssen die Katastrophe zumindest einige Sekunden lang bei Bewusstsein erlebt haben, möglicherweise sogar bis zum Aufschlag der später geborgenen Mannschaftskabine aus rund 60 Kilometern Höhe. Vom Shuttle selbst fehlt bis heute knapp die Hälfte des Materials.

Es dauerte zweieinhalb Jahre, bis das Programm wieder aufgenommen wurde. Als die „Discovery“ am 29. September 1988 in Cape Canaveral fehlerfrei abhob, war das für die Nation auch eine Art Traumabewältigung. Aber die Nasa war nicht aus dem Schneider: Am 1. Februar 2003, fast genau 17 Jahre nach dem Verlust der „Challenger“, zerbrach der Spaceshuttle „Columbia“ beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Erneut kamen alle sieben Astronauten ums Leben. Und wieder bescheinigte die Untersuchung der Weltraumagentur Mängel beim Management und fatale Sicherheitskompromisse. Das Shuttle-Programm wurde nun insgesamt in Frage gestellt – es galt als unsicher und zu teuer.

 

Nächstes Ziel: Der Mars

Endgültig eingemottet wurde es aber erst 2012 unter Barack Obama. Der 44. US-Präsident hatte 2010 ein Programm angekündigt, das die Raumfahrt in Erdnähe an die Privatwirtschaft abtreten sollte. Er beendete die Pläne seines Vorgängers George W. Bush, auf dem Mond eine Basis zu errichten, und kooperierte für bemannte Flüge zur Internationalen Raumstation bis auf Weiteres mit Russland. Angesichts zunehmender Spannungen ist diese Partnerschaft in den vergangenen Jahren allerdings unbequem geworden. In Washington ist man deshalb erfreut, dass die von der Nasa beauftragten Firmen SpaceX und Boeing Fortschritte machen. Sie sollen für bis zu 6,8 Milliarden Dollar Space-Taxis entwickeln, testen und schließlich Astronauten zur ISS fliegen – bis zu zwölf Mal. Frühere Shuttle-Einsätze kosteten den Steuerzahler rund eine Milliarde Dollar pro Mission.

SpaceX ist ein Steckenpferd des Paypal-Gründers Elon Musk, der auch dem Elektroauto-Hersteller Tesla vorsteht. Boeing kooperiert mit Blue Origin, einem Start-up des Amazon-Präsidenten Jeff Bezos. Beiden sind in den vergangenen Monaten Missionen gelungen, bei denen sie Treibstufen nach dem Start auf die Erde zurückholten. Das Ende der Wegwerfrakete würde Reisen ins All drastisch verbilligen.

Die Nasa selbst dagegen soll sich auf neue Herausforderungen konzentrieren: Der amtierende Präsident hat das Ziel ausgegeben, zwischen 2030 und 2040 einen bemannten Flug um den Mars sicher zurückzubringen. Aber auch eine Landung auf dem Roten Planeten erwartet Obama noch zu seinen Lebzeiten. Die Familien der Opfer von 1986 weiß er da hinter sich: Das von ihnen gegründete „Challenger Center“ mit Sitz in Washington weckt auf drei Kontinenten in Kindern Interesse für Wissenschaft und den Pioniergeist der Raumfahrt.

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