Zwischen Hochkultur und Ballermannmusik Bayreuth bibbert sich ins Glück

Von Manfred Scherer
Erlösung beim Public Viewing am Volksfestplatz: Bei der Weltmeisterschaft hat die deutsche Mannschaft gerade gewonnen und die fans flippen aus. Foto: Andreas Harbach Foto: Andreas Harbach - Hagenstrasse 19b - 95448 Bayreuth - mobil 0170 8655 275 - kontakt@andreasharbach.de - www.andreasharbach.de

Es hätte so schön sein können. Doch anstatt einer lauen Sommernacht lässt ein gefühlter Wintereinbruch die Bayreuther bei den Großereignissen des Sommeranfang-Wochenendes zittern: Blaue Regenüberzieher und Trinklieder sorgen für Wärme und ein Fußball, der 2800 Kilometer weiter weg eine krumme Kurve fliegt, fürs Happy End.

 
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BAYREUTH.

Das Hochkultur-Ereignis: Das Klassik-Open Air der Sparda-Bank am Markt wurde um drei Stunden vorverlegt, damit das Feld rechtzeitig geräumt ist für das Public Viewing des Fußballspiels in Sotschi. Hunderte Bayreuther wollen den Kunstgenuss, den die Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach bietet. Das Konzert läuft eine halbe Stunde, als ein Eiswind Nieselregen über den Markt treibt. Die Musikfreunde sind gerüstet: Viele haben Decken dabei und viele haben diese leichten, blauen Kapuzencapes übergezogen, die die Stadt Bayreuth besorgt hat und die fleißige Mitarbeiter des Kulturamtes verteilen. Gabriele Röhler, die Chefin des Kulturamtes: „Die Leute sind dankbar.“ Das Konzert ist, wie auch schon die Open Airs der vergangenen vier Jahre, umsonst. Stephan Kunz der Vertriebsleiter der Sparda-Bank, sagt: „Wir als Genossenschaftsbank wollen damit der Gemeinschaft etwas zurückgeben.“ Bezahlen könne die Bank ihren Teil der Kosten für das Orchester und die Solisten, die Sopranistin Sooyeon Kim und den Tenor Randall Bills, aus Erlösen des Sparda-Bank-Gewinnsparvereins. Die Thüringen Philharmonie hört sich, verstärkt durch eine exzellente Lautsprecheranlage, perfekt an – das Flattern der blauen Regencapes im Wind ist nur in den Pausen zwischen den Musikstücken zu hören. Das Programm bietet im ersten Teil Stücke von Giuseppe Verdi, Giacomo Rossini oder Gaetano Donizetti. Zum zweiten Teil hat Sängerin Sooyeon Kim sich einen Pelzumhang übergezogen und nach Stücken von George Gershwin, Andrew Lloyd Webber oder Leonard Bernstein gibt es als Zugabe das Trinklied aus Verdis Oper „La Traviata“. Fast überall, wo dieser Klassik-Gassenhauer erklingt, klatschen die Zuhörer mit – auch am Markt in Bayreuth ist das so und einige tanzen in ihren blauen Regencapes sogar Walzer.

Die Mallorcaparty: Das zweite „Kultur“-Großereignis des Tages ist nicht umsonst. 35 Euro kostet eine Tageskarte, an der Abendkasse muss man noch zehn Euro bezahlen, um die Größen der Ballermann-Partymusik zu hören: Mickie Krause, Ikke Hüftgold, Lorenz Büffel, Ingo ohne Flamingo, Rick Arena, Almklausi, Honki und Discjockey Chris Arena sind die Künstlernamen. Die Kunst dieser Sänger und Unterhalter besteht darin, Stimmung zu machen und die vorwiegend jungen Leute zum Trinken zu animieren. Das ist bei der Eiseskälte am nicht gerade überfüllten Volksfestplatz richtig harte Arbeit, aber die Trinklieder – sie sind künstlerisch von anderer Art als das aus Verdis „La Traviata“ – funktionieren auch: Hier wird nicht Sekt oder Weißwein getrunken wie beim Klassikkonzert am Markt, sondern Bier, Longdrinks und Sangria aus Eimern. Fünf Frauen aus Betzenstein haben sich die Ballermann-Party als Höhepunkt des Tages auserkoren: Daniela Deubzer wird in drei Wochen ihren Sohn Kevin unter die Haube bringen. Kevin wird Lisa heiraten. Lisa feiert ihren Junggesellinnenabschied in Bayreuth. Sie, ihre künftige Schwiegermutter und ihre Freundinnen Ulla, Julia und Silvia ziehen mit einem Bauchladen umher und bieten diverse Sachen zum Verkauf an, im wesentlichen Scherzartikel. Daniela Deubzer sagt: „Hier feiern die Leute richtig ab und geben für Lisas Aussteuer schon mal 10 oder 20 Euro, obwohl die Sachen aus dem Bauchladen ja bei weitem nicht so viel wert sind. Drinnen in der Stadt hatten wir damit keinen Erfolg.“ Wer was kauft aus dem Bauchladen, darf sich aus Lisa Maleroverall ein Herz herausschneiden.

Apropos Herz: Oben auf der Bühne bahnt sich ein erster Höhepunkt an. Stephan Scheler macht seiner Freundin Lisa Hauenstein aus Hummeltal einen öffentlichen Heiratsantrag. Sie sagt ja. Ein Kuss folgt.

Auf das zweite Happy End müssen die Besucher der Mallorcaparty lange warten: In Sotschi macht Fußball-Ballermann Toni Kroos mit dem Siegtor dem Bibbern in Bayreuth ein Ende. Die Party geht ab. Glückswärme breitet sich aus.

So stimmt's: In einer ersten Version des Berichts haben wir eine Formulierung verwendet, die nahe legt, dass die Sparda-Bank das Konzert im Alleingang finanziert. Das ist falsch: Kulturamtsleiterin Gabriele Röhler teilt mit, dass der „wesentliche“ Beitrag der Bank nur etwa 50 Prozent der Kosten abdecke. Zudem seien die blauen Regencapes ein Service der Stadt. Was das Konzert kostet, wollten weder die Sparda-Bank noch Röhler beantworten.

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