Zu Besuch im Neuen Weg, wo die Stadt ein bisschen türkischer ist als sonst Klein-Istanbul in Bayreuth

Von Katharina Wojczenko
Der Ömer Akargül (rechts) betet in der türkischen Moschee in der Friedrich-Puchta-Straße auf Arabisch vor. Zur Moschee gehört ein türkischer Supermarkt. Foto: Ronald Wittek. Foto: red

Bayreuth ist nicht Köln. Nicht einmal Nürnberg. Aber auch hier gibt es Ecken, die türkischer sind als andere. So wie das Viertel zwischen Bahnhofsstraße und Casselmannstraße, das alte Bayreuther als Neuer Weg kennen. Wir haben die Menschen dort besucht.

 
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Zwei Barbiere, zwei Friseurgeschäfte, eine Autowerkstatt, mehrere Imbisse, ein Restaurant, ein Supermarkt, zwei türkische Kulturvereine, zwei Moscheen – eine türkisch, eine arabisch – und die Liste ist wahrscheinlich nicht vollständig.

Dass im Neuen Weg heute noch viele Türken leben und arbeiten, geht auf zwei seit Jahrzehnten verschwundene Betriebe zurück, sagt der Historiker Norbert Aas: die Neue Baumwollspinnerei und die Bayerlein-Spinnerei. Beide hatten Anfang des 20. Jahrhunderts in der Casselmannstraße Arbeiterwohnungen gebaut. In den späten 1960ern und 70ern seien diese damals unsanierten, aber billigen Wohnungen für Deutsche wenig attraktiv gewesen. Wohl aber für die türkischen Gastarbeiter, die die Industrie brauchte. Das hat bis heute Folgen.

Karl-Marx-Straße, SPD, Moschee

„Es ist eine sonderbare Mischung mit den großbürgerlichen Häusern in der Karl-Marx-Straße und den Arbeiterhäusern in der Schulstraße“, sagt Aas. In der Friedrich-Puchta-Straße sitzt seit 1913 die SPD – und seit 1989 eine türkische Moschee. Was der Stadtteil biete, richtet sich nach den Menschen, die dort wohnen, sagt Aas.

Und noch etwas merke man heute noch: Über Jahrzehnte war es nicht so wichtig, dass die Kinder Deutsch lernten. So gab es seit den 70er Jahren an der Graserschule rein türkische Klassen. Elif Bilgin (40), die früher in der Casselmannstraße wohnte, gehörte Anfang der 90er Jahre zum letzten Jahrgang. „Wir hatten nur Deutsch und Mathe auf Deutsch“, erinnert sie sich. Die restlichen Fächer unterrichteten Lehrer aus der Türkei. Als sie aus der Schule kam, war ihr Deutsch schlecht. Richtig gelernt habe sie es erst, als sie anfing, in Bad Berneck zu arbeiten.

Die Eltern wollten keine Türkenklassen mehr

Die Türkenklassen gab es damals in allen größeren oberfränkischen Städten, sagt Gerhard Knopf, pensionierter Schulrat. Auch andere Gastarbeiterkinder hatten muttersprachlichen Ergänzungsunterricht. Spezielle Klassen gab es in Bayreuth nur für türkische Kinder. Etwa fünf seien es an der Graserschule gewesen.

Die Lehrer verdienten deutlich mehr als in ihrer Heimat, konnten meist kein Deutsch, bekamen einen Grundkurs und durften fünf Jahre bleiben. Die meisten waren verheiratet und hatten Familie in der Türkei. Dass die Praxis mit den getrennten Klassen aufhörte, ging von den türkischen Eltern aus, sagt Knopf. Sie wollten ihre Kinder auf das Leben in Deutschland vorbereiten – und nicht in der Türkei.

Wenig Leerstände, wenig Parkplätze

Als Aas 1981 nach Bayreuth kam, zog er in die Friedrich-Puchta-Straße. Ende der 80er Jahre hätten einige kleine Läden geschlossen und seien in der Regel in Wohnungen umgewandelt worden. Das sei seit zehn Jahren anders. Wo einer aufhört, zieht ein anderer Laden ein. Aas weiß aus dem Stand kein leerstehendes Geschäft im Viertel. Er geht gerne dort spazieren und freut sich, dass es lebendig ist. So lebendig, dass man selbst bei ihm oben in der Adolf-von-Groß-Straße „tagsüber kaum einen Parkplatz findet“.

Der Imbiss

Hasan Özer (37) hat vor drei Monaten den Imbiss neben der Autowerkstatt übernommen. Zuvor hatte er stundenweise bei seinem Vorgänger gearbeitet. „Hier ist die Miete niedriger als in der Stadt“, sagt Özer. Er arbeitet täglich außer montags. Vorher gab es im Imbiss nur Döner. „Das haben alle“, sagt er. Deshalb verkauft er auch Fleischspieße, Suppen, Nachtisch. In der Türkei hat er Koch gelernt. 2002 kam er nach Deutschland, lernte seine Frau kennen, die in Dortmund geboren und Türkin ist. Seit vier Jahren leben sie mit ihren drei Kindern in Bayreuth. Ursprünglich wollten sie nach Dortmund zurück. „Aber mit Kindern lebt es sich hier besser.

 

Der Kulturverein

Wenn man nicht weiß, wo er ist, läuft man am türkischen „Kültürverein“ vorbei. So steht es an der Tür. Hinter der abgeklebten Fensterfront im ehemaligen Kaufhaus Knopf verbirgt sich ein Reich, das vor allem Männer bevölkern. „Aber nicht nur“, sagt Imdat Sonkaya (50), der Vorsitzende. Auch einige Deutsche sind dabei. Hier stehen Sitzgelegenheiten, ein Billardtisch, Spielautomaten, an der Wand hängt ein Fernseher. Für Fußball. Wo ist die Kultur? „Wir spielen Karten und unterhalten uns über Politik“, sagt Nihat Sonkaya (59), Bruder des Vorsitzenden und „Teemeister“ des Vereins. Darüber, was in der Zeitung steht, was in Bayreuth und der Türkei passiert, über die Probleme der Mitglieder.

Der Vater der beiden kam 1970 nach Deutschland, seine Söhne später. Nihat war 17 und fing gleich an zu arbeiten. Sein Bruder Imdat ging hier in die Schule. „Ich kann nicht so gut Deutsch“, sagt Nihat Sonkaya. Das ärgert ihn. Weil es im Verein nicht nur ihm so geht, helfen die, die es besser können, den anderen, wenn sie Briefe nicht verstehen. Imdat Sankaya hat als Busfahrer viel Kontakt mit Menschen. Dass sein Deutsch besser ist, habe aber einen anderen Grund, sagt er verschmitzt: „Ich hatte schöne deutsche Freundinnen.“

 

Die Werkstatt

Die Familie ist für Ilyas Gel (30) nie weit weg. Der Kfz-Mechaniker arbeitet in der Werkstatt seines Bruders Yilmaz. Schräg gegenüber hat seine Schwester einen ihrer beiden Friseursalons. Ein paar Straßen weiter wohnt die ganze Familie in einem Haus. „Hier in der Straße ist es nicht ruhig. Das ist als Standort für die Werkstatt super.“ Zwar sei weniger Platz als im Industriegebiet. Dafür kommen täglich jede Menge Autos vorbei. „Wenn Feierabend ist, stehen sie an der Ampel im Stau und sehen uns.“

Aufgewachsen ist Yilmaz mit fünf Geschwistern in der Neuen Heimat. Die Heimat seiner Eltern, Trabzon, kennt er nur aus dem Urlaub. „Dafür ist es schön. Aber ich bin froh, wenn ich wieder in Bayreuth bin. Das ist eine andere Welt.“ Bayreuth sei eine schöne Stadt. „Wenn du weg bist, merkst du erst, wie sauber und aufgeräumt es hier ist. Man kann sich nicht verlaufen.“

Er hat einen deutschen und einen türkischen Pass. Sein Deutsch klingt fränkisch. Sein Türkisch sei „akzeptabel“. Trotzdem ist er überzeugt: „Kein Mensch würde zu mir sagen: Du bist Deutscher.“ Begraben werden will er in der Türkei.

 

Der Barbier

Am Ende zückt Ilkay Et (32) das Feuerzeug. Das Kopfhaar ist geschnitten. Jetzt macht er Ohren- und Nasenhaaren den Garaus. Zitronenwasser ins Haar massiert, fertig. Seit fünf Jahren arbeitet er im Viertel als Friseur, vor drei Jahren hat er sich als Barbier selbstständig gemacht. Zu ihm kommen Deutsche, Italiener, Türken, Araber, sagt er. Viele Worte verliert er nicht. Dafür richtet er manchmal für seine Kunden und Freunde morgens Frühstück im Laden her. Einfach so. Die Gastfreundschaft ist ihm wichtig.

 

Die Moschee

In einem Hinterhof in der Friedrich-Puchta-Straße befindet sich Bayreuths ältestes muslimisches Gotteshaus. Die Moschee des Islamischen Kulturzentrums wurde 1974 in der Bürgerreuther Straße gegründet und zog 1989 in die ehemalige Marmorfabrik. Zum Freitagsgebet kommen 100 bis 150 Menschen, sagt der Geistliche Ömer Akargül mit Hilfe eines Dolmetschers. Dann wird die arabische Predigt ins Deutsche und Türkische übersetzt.

Akargül stammt aus der Südtürkei und predigt seit Juni fünf Mal am Tag in Bayreuth. Vorher war er neun Jahre in Weiden und fünf Jahre in Nürnberg tätig. „Zu uns können alle kommen, Arme, Reiche, aus jedem Land“, sagt er. Die Frauen beten unten, die Männer oben. Die meisten sind Türken. Für Kinder gibt es Religionsunterricht. Mustafa Demirez kommt seit mehr als 20 Jahren jeden zweiten Tag hierher, um zu beten und Leute zu treffen. Oft außerhalb der Gebetszeiten. Er wohnt um die Ecke.

Manchmal stehen neben dem Regal für die Schuhe Tüten. Dann hat jemand im türkischen Supermarkt nebenan eingekauft, der seit 1990 zur Moschee gehört. „Wir essen ganz anders als die Deutschen“, sagt Demirez. Damals war es schwer, in Bayreuth Fladenbrot, getrocknete Hülsenfrüchte, scharfe Paprika, Schafskäse, Okra, Tee und Wurst ohne Schweinefleisch zu bekommen.

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