Wunsiedel ist Technologievorreiter Ganz Deutschland blickt auf die Wasserstoffregion

In Deutschland wird zwar an einigen Standorten, wie auf dem Bild in Hamburg, Wasserstoff produziert, aber kaum kohlenstoffdioxidfreier, wie es in Wunsiedel vorgesehen ist. Foto: /dpa/Daniel Bockwoldt

Der Landkreis und vor allem die Stadt Wunsiedel sind Vorreiter einer Zukunftstechnologie. Forscher und Unternehmen von weither wollen kooperieren.

 
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Wunsiedel - Dass sich Ministerpräsident Markus Söder von der Rede eines anderen beeindrucken lässt, kommt nicht häufig vor. Vor Kurzem allerdings konnte der Landesvater nichts anderes entgegnen, als dass er verstanden habe und kommen werde. Und zwar nach Wunsiedel. Zuvor hatte der Vorstandsvorsitzende des Erlangener Weltunternehmens Siemens, Roland Busch, vor der CSU-Landtagsfraktion regelrecht von Wunsiedel geschwärmt und die Politiker aufgefordert, das 9300-Einwohner-Städtchen zu besuchen, um zu lernen. Zu lernen, wie die Zukunft der Energieversorgung im Zeitalter nach der Kohle und nach der Atomkraft aussehen kann.

Wunsiedel und mittlerweile der gesamte Landkreis setzten auf eine dezentrale Energieversorgung aus regenerativen Quellen. Das allein ist nicht mehr spektakulär. Dass nun auch noch die Wasserstoff-Technologie dazukommen wird, allerdings umso mehr.

Am Dienstag hat sich im Landratsamt zudem die „Interessengemeinschaft H 2 Fichtelgebirge“ gegründet (H 2 steht für Wasserstoff). Sie soll die Forschung der Wasserstofftechnologie und den Einsatz von Wasserstoff in unterschiedlichen Anwendungen unterstützen. Mit dabei sind außer zahlreichen regionalen Unternehmen auch etliche von weit außerhalb des Fichtelgebirges. So etwa Siemens.

Andreas Schmuderer, Leiter des Bereichs dezentrale Energiesysteme in dem 293 000 Mitarbeiter zählenden Unternehmen, freut sich, dass der Konzern in der Interessengemeinschaft H 2 Fichtelgebirge dabei sein darf. Siemens hält 45 Prozent der Anteile an dem Unternehmen Wun H 2, das ab 2022 im Energiepark kohlenstoffdioxidfreien Wasserstoff in großem Stil produzieren wird. Für den Energie-Experten mit weltweiten Erfahrungen wird in Wunsiedel nicht weniger als die Geschichte der Energiezukunft geschrieben. „Wir als Technologiekonzern wollen die vielen in Wunsiedel gelernten Dinge über Bayern hinaus nach Europa hinaus tragen. Wunsiedel ist für uns der Baukasten, mit dem wir zeigen können, wie die Dekarbonisierung der Welt gelingen kann.“

Politiker müssen schlucken

Angesichts solcher Worte aus berufenem Mund musste so manch einer der anwesenden Kommunalpolitiker schlucken – immerhin ist Siemens nicht irgendwer, sondern ein sogenannter Global Player.

Das ist das Unternehmen Rießner Gase aus Lichtenfels zwar nicht, aber ein gestandener Mittelständler, der Gase an große Kunden aus der Industrie verkauft. Für Firmenchef Thilo Rießner war es keine Frage, sich mit seinem Betrieb an der Interessengemeinschaft zu beteiligen. Auf Wunsiedel ist er aus einem rein geschäftlichen Grund aufmerksam geworden. „Wir waren auf der Suche nach einer Wasserstoff-Quelle für die Industrie. Und als sich die Möglichkeit bot, uns an der Wasserstoffproduktion Wun H 2 zu beteiligen, haben wir zugegriffen.“

Alles deutet darauf hin, dass Wasserstoff mit seinen vielen Einsatzmöglichkeiten die Zukunft gehört – so er aus regenerativer Energie hergestellt wird. Der Geschäftsführer der Stadtwerke Wunsiedel SWW, Marco Krasser, der in der hochrangigen Runde vom Bürgermeister der Festspielstadt, Nicolas Lahovnik, als „Spiritus Rector“ des Energiezukunfts-Konzeptes bezeichnet wurde, gab sich bescheiden und beschränkte sich in seinem Beitrag auf die technischen Zusammenhänge. So habe die SWW neben Lithium-Ionen-Speicher und Holz-Wärme auch das Molekül, also Wasserstoff, als Energiespeichermedium entdeckt. „Wir sehen im Wasserstoff den elementaren Langzeitspeicher.“ Mit den in Wunsiedel entstandenen und entstehenden Anlagen könnten die Sektoren Wärme, Strom und Verkehr verknüpft werden.

Schlüsseltechnologie für die Energiezukunft

Was der Elektroingenieur Krasser eher technisch darstellte, ist für eine ganze Reihe von Unternehmern derart interessant, dass sie sich dem Wunsiedler Weg anschließen wollen und auch der Interessengemeinschaft H 2 Fichtelgebirge beitreten.

Thielo Rießner etwa sieht im grünen Wasserstoff einen Schlüsselfaktor, wie die Industrie die Dekarbonisierung bewältigen könne. Da Kohlendioxid-Emissionen in Zukunft für Unternehmen teurer würden, werde diese Technologie immer wichtiger.

In Wunsiedel ist im ersten Schritt der Aufbau einer Produktionskapazität von 1000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr geplant. In einer zweiten Ausbaustufe könnten es 2000 Tonnen werden. Dies wäre ziemlich genau ein Prozent des bereits heute bestehenden Bedarfs.

Eine richtige Groß-Anlage, die weit größere Mengen produzieret, wird es in Wunsiedel trotz des technischen Vorsprungs nicht geben. Wie Krasser auf Nachfrage der Frankenpost sagte, liegt in dezentralen Lösungen die Zukunft. „Wir haben im Landkreis nun mal begrenzte Möglichkeiten zur Gewinnung regenerativer Energie, die wiederum für die Elektrolyse notwendig ist.“ Wunsiedel sieht sich demnach vielmehr als Beispielgeber für andere Regionen.

Einer, der dem Beginn der Wasserstoffproduktion in Wunsiedel entgegenfiebert, ist Karsten Ecker, Geschäftsbereichsleiter Logistik der Edeka Nordbayern-Sachsen-Thüringen. Das Unternehmen beliefert in diesem Raum 900 Märkte und will mittelfristig eine kohlenstoffdioxidfreie Logistik aufbauen. „Hierfür sehen wir im Wasserstoff den Schlüssel.“ Wie berichtet, baut Edeka in Marktredwitz das aktuell modernste Lager des Unternehmens und investiert dafür knapp 300 Millionen Euro. Möglichst zügig will Edeka nun auch ihre Lkw-Flotte auf Wasserstoff-Antriebe umrüsten.

Einem klimaneutralen und sauberen Fernverkehr hat sich auch das Vilshofener Unternehmen Maier-Korduletsch verschrieben. Die Niederbayern sind schon vor einiger Zeit auf Wunsiedel aufmerksam geworden und beteiligen sich wie eine Reihe anderer an der Interessengemeinschaft H 2 Fichtelgebirge. Maier-Korduletsch ist zudem Mitglied im Next Mobility Accelerator Consortium, dem auch noch Shell und die Paul Unternehmensgruppe angehören. Letzteres Unternehmen rüstet bis nächstes Jahr die ersten Lastwagen auf Wasserstoffantrieb um. Ab 2023 startet dann die Serienproduktion mit hunderten solcher Lastwagen.

Consortium-Mitglied Shell baut in Passau eine erste Shell-Tankstelle für Wasserstoff. Mittelfristig soll ein ganzes Netz entstehen. Wunsiedel sehen die Niederbayern als wichtigen Versorgungspunkt für die Tankstellen. „Denn Wasserstoff ist die einzige Chance, mit der die Reichweite und das Gewicht der Lastwagen in Einklang zu bringen sind.“

Übrigens: Markus Söder hält Wort. Er kommt zum Baubeginn der Wasserstoffproduktion nach Wunsiedel.

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