Wilhelmine, die Schauspielerin

Von Michael Weiser

Wilhelmine von Bayreuth war Fürstin, Intendantin, Komponistin und Autorin. Eine, von der man viel lernen kann - auch über die Kunst der Verstellung, findet Günter Berger, der am Donnerstag, 3. Mai, um 11 Uhr in der Buchhandlung Breuer & Sohn seine Wilhelmine-Biographie vorstellt. Über die Strategie des Briefeschreibens, Wilhelmines Menschenbild und die heikle Frage, ob die Fürstin einen Knacks davongetragen hat: ein Gespräch mit Günter Berger.

 
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Wilhelmine war eine Spötterin und eine Selbstdarstellerin. Wie verlässlich sind ihre Memoiren?

Berger: Das ist ein wichtiger Punkt, den ich in meiner neuen Biografie zu beleuchten versuche. 2007, als ich die Neuübersetzung der Memoiren herausgebracht habe, habe ich im Nachwort schon darauf hingewiesen, dass man sie als literarischen und nicht als historischen Text lesen sollte. In der Neuausgabe dieser Memoiren-Übersetzung, die gerade erschienen ist, habe ich das untermauert. Der Herausgeber der Briefe in deutscher Übersetzung, Gustav Berthold Volz, hat es so geschildert: Ihre Memoiren seien ein Lügenberg, in denen sie Vater und Bruder in ein schlechtes Licht setze, aber ehrlich sei sie in ihren Briefen. Aber auch das ist Blödsinn.

 

Inwiefern?

Berger: Weil der Brief per se eine Gattung ist, in der Strategien verfolgt werden, selbst wenn es sich um Briefe zwischen Geschwistern handelt. Der Brief versteht sich in dieser Zeit als schriftliche Verlängerung der Konversation. In der höfischen Konversation kommt es niemals auf Aufrichtigkeit an. Das ist ein bürgerlicher Wert, der bei Hofe nichts gilt. Aufrichtig sein, heißt Depp sein. Bei Hof gilt das Auftreten, und auftreten heißt auch und gerade schauspielern. Es kommt darauf an, dass man das Gegenüber durchschaut und sich nicht in die Karten schauen lässt. Im Brief ist dieses Spiel insofern verschärft, weil das Gegenüber das Minenspiel nicht ergründen kann. Wenn man sich den Briefroman im 18. Jahrhundert ansieht, etwa die „Gefährlichen Liebschaften“ von de Laclos: wie da Briefe strategisch eingesetzt werden, um zu hintergehen und betrügen. Ich will nicht sagen, dass in jedem Brief nur Unwahrheiten stehen. Das wäre Unsinn. Aber Briefe sind in dieser Zeit noch keine Herzensergüsse. Wo Friedrich aufrichtig ist: in seinen Wutbriefen, wegen der Marwitz-Affäre oder wegen des Erlanger Journalisten Groß, dessen Zeitung Friedrich verboten haben will. Wilhelmine schreibt ganz frech, sie kenne diese Zeitung gar nicht.

 

Der "Lieblingsbruder" reiste nach Bayreuth, wenn er musste

 

Die ach so enge Beziehung zwischen Wilhelmine und Friedrich: Legende oder Wahrheit?

Berger: Wahrheit auf keinen Fall. Man muss sehen, dass die beiden altersmäßig einander am nächsten waren. Für Wilhelmine war der geborene Gesprächspartner also Friedrich. In der Tat haben sie gemeinsame Interessen, in der Musik und in der Philosophie beispielsweise. Diese Interessen führten zu einem intensiven Austausch von Briefen und auch Persönlichkeiten zwischen Berlin und Bayreuth. Wie das Verhältnis beschaffen war, sieht man auch daran, wie wenig und aus welchen Gründen Friedrich in Bayreuth war: immer nur aus politischen Gründen, wenn es was zu regeln gab. 

 

Die beiden haben gemeinsam immerhin ein Trauma erlebt: Friedrich musste nach  seiner gescheiterten Flucht die Hinrichtung seines Freundes Katte ansehen, Wilhelmine wurde deswegen nach Bayreuth verheiratet.

Berger: Mit dem Trauma hab ich‘s nicht so. Eine historische Psychologie halte ich für ausgesprochen schwierig. Das war eine völlig andere Formation von Gesellschaft als heute, was sich auch auf die einzelnen Mitglieder dieser Gesellschaft auswirkte. Was sie aus heutiger Sicht von ihrem Vater Friedrich Wilhelm ertragen musste, versteht man allzu schnell als Auslöser für die Kälte, die sie gegenüber ihrer eigenen Tochter zeigt. Wenn man sieht, wie distanziert im Adel Eltern und Kinder waren, muss man große Abstriche machen. Zu oft projizieren wir unsere Vorstellungen ins 18. Jahrhunderte zurück.

 

Der Mensch, eine Beute des Schicksals

 

Leben heißt, eine Rolle zu spielen:  Gab es für Wilhelmine, die ja immerhin ein Drama namens „L’huomo“ geschrieben hat, den freien Menschen? 

Berger: Das würde ich eher nicht sehen, im ganz großen Gegensatz zu Rousseau. Sie ist ihrem Bruder da sehr ähnlich. Friedrich definiert den  Menschen als vom Schicksal hin- und hergetrieben. Gerade er, der selber oft Schicksal spielte.

 

Wilhelmine wird als emanzipierte Frau gefeiert…

Berger: Das Wort „emanzipiert“ halte ich für verfehlt.

 

Wie modern war Wilhelmines Frauenbild?

Berger: Sicher nicht modern. Die Schlösserverwaltung hat kürzlich Briefe angekauft. Wilhelmine schreibt da an Voltaire, dass es zu wenig Frauenrollen gebe. Ich habe meine Skepsis geäußert, wie ernst man diese Stelle im emanzipatorischen Sinne nehmen kann. Briefe mit Voltaire austauschen, das heißt zu scherzen. Da darf man Aussagen nicht auf die Goldwaage legen. Wenn sie sagt: Mehr Rollen für Frauen!, dann kann das gar nicht ganz ernst gemeint sein. Voltaire ist als Theaterautor einer derer, denen man am wenigsten vorwerfen kann, Frauen Hauptrollen vorzuenthalten. 


Zur Person: Günter Berger war bis 2012 Professor für Romanische Literaturwissenschaft an der Uni Bayreuth. Er ist Autor von Publikationen zur französischen Kultur und Literatur der Aufklärung, so veröffentlichte er ausgewählte Briefe zwischen Friedrich II. und Wilhelmine sowie die Memoiren der Markgräfin in deutscher Übersetzung heraus. Im Pustet-Verlag ist von ihm vor wenigen Tagen eine Biografie erschienen: "Wilhelmine von Bayreuth. Leben heißt eine Rolle spielen", 240 Seiten, 24,95 Euro.

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