Wie Kaminer vom prallen Leben erzählt

Von Gordian Beck
Einfach ein guter Erzähler: Wladimir Kaminer im Zentrum. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Bekannt geworden ist er durch "Russendisko". Aber auch abseits des Chaos der Nachwendezeit ist Wladimir Kaminer ein ganz überragender Erzähler. Wie er jetzt auch in Bayreuth bewies.

 
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„Ich fahre auf allwöchentliche Lesereise. Dieses Mal stehen Bayreuth, Heroldsberg, Bad Salzungen und Gotha auf dem Plan. Und sonntags lese ich in Berlin, in BKA.“ – so Wladimir Kaminers Blog-Eintrag, gerade mal zwei Tage alt.

Inspiriert klingt das nicht, eher nach Mühsal, nach Arbeit. Ganz klar, Lesereisen sind anstrengend, fordern, kosten Energie. Man hat es Kaminer am Mittwochabend bei seinem Auftritt im Zentrum nicht angesehen. Nicht im Saal, nicht vor seiner Zuhörerschaft, nein, in der Pause, als er im Foyer hinter dem Büchertisch kauerte, um die ihm angereichten Bücher, CDs und Plakate zu signieren. Da wirkte er müde, abgespannt. Auf der Bühne, jedoch, war davon, wie gesagt, nichts zu sehen, nichts zu spüren. Da gab Kaminer einen mustergültigen Conférencier. Schwungvoll, launig und dabei stets den Kontakt zum Publikum suchend. Dass im Europasaal gerade einmal eine knappe Hundertschaft an Zuhörern versammelt war, schien ihm nichts auszumachen. Ein Profi, eben. Und darüber hinaus ein begnadeter Geschichtensammler. Der diese zudem so erzählen kann, als hätte er sie gerade für diesen einen Abend zusammengetragen.

Frei von der Leber weg

In der Konsequenz war also beste Unterhaltung geboten, speziell, wenn Kaminer einfach so, augenscheinlich frei von der Leber weg, aus seinem Leben erzählte. Von seinen pubertierenden Kindern, von seiner reiselustigen Mutter, die im Alter von 84 Jahren die Welt entdeckt, aber Angst vor Treppen hat, von ihn besuchenden Russen, von seinem Schrebergarten, den er aufgrund „spontaner Vegetation“ verlassen musste, von seinem neuen Garten in einem Dörfchen 70 Kilometer nördlich Berlins. Ein abgeschiedener Ort, der seit kurzem allerdings von Syrern bevölkert wird, die man, gleichwohl keine Infrastruktur vorhanden ist, dort einquartiert hat. Für Kaminer, den Geschichtensammler, ein gefundenes Fressen. Weil diese „große Tragödie“, so Kaminer, einiges an Erzählenswertem abwirft. Schließlich sei eine Tragödie nur dann tragisch, wenn man ihr direkt in die Augen schaue.

Spaß mit der finnischen Saunagesellschaft

Kaminer tut dies nicht, konzentriert sich stattdessen auf das, was ist. Den Alltag, etwa. Der für beide Seiten, deutsch wie syrisch, Neues bereit hält. Die Erkenntnis, beispielsweise, das ein bei Syrern hinterlegtes Paket von diesen als Spende betrachtet werden kann. Gemäß der Erfahrung, dass Deutsche alles einpacken, was nur einzupacken ist. Auch Spenden. Was aber schwer auszudeutschen ist, wenn die Sprache als Mittler nur bedingt zur Verfügung steht. „Syrer packen aus“, hat Kaminer diese Geschichte genannt. Und könnte dergleichen noch viele erzählen. An Stoff mangelt es ihm wahrlich nicht.

Kostproben gab es an diesem Abend daher zuhauf. Kleine Häppchen, die Appetit machen sollen, auf das, was demnächst von Kaminer auf dem Büchermarkt erscheinen könnte. Pläne hat er, Projekte auch. Bücher über seine Mutter, über Putin oder die finnische Saunagesellschaft. Sie versprechen Spaß und vergnügliche Lesestunden.

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