Wie es zu Erdbeben in der Region kommt

Von
Grafik: Jens Skapski Foto: red

Am Montag hat die Erde in der Region so stark gebebt, dass mancherorts die Gläser im Schrank geklirrt haben. Schwarmbeben, die ihren Ursprung im Egerer Graben in Tschechien haben, haben am Montagabend wieder die Erde zittern lassen. Einer, der über jede Erdbewegung informiert ist, ist Joachim Wassermann vom Erdbebendienst Bayern und leitender Seismologe am Geophysikalischen Observatorium in Fürstenfeldbruck. Im Interview erklärt er, was da gerade unter der Erde im deutsch-tschechischen Grenzgebiet los ist.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

In den vergangenen Tagen hat in der Region die Erde gezittert. Herr Wassermann, wie oft bebt in Bayern die Erde?

Joachim Wassermann: Es gibt in Bayern rund 200 Ereignisse im Jahr, die wir auswerten können. Das konzentriert sich hauptsächlich auf drei Regionen. Nordostfranken mit dem bayerischen Vogtland und der Fernwirkung vom tschechischen Vogtland, dann eine Region im Frankenjura und der Alpenbogen. Wahrscheinlich sind es deutlich mehr Ereignisse, aber die sind so klein, dass wir sie nicht mehr auswerten können.

 

Die Beben registrieren Sie mit Ihren Messstationen?

Wassermann: Im Moment haben wir 26 Stationen im bayerischen Erdbebennetz. Wir haben dann noch ein paar Schwerpunkte, die der Tiefengeothermie im Raum München geschuldet sind. Das sind um die zehn weitere.

 

Seit wann werden in Bayern diese Messstationen betrieben?

Wassermann: Angefangen hat das 1905 mit einer Hauptstation in München und einigen Außenstationen, darunter eine in Hof. Nach dem Krieg ist das ein bisschen eingeschlafen. Mein Vorvorgänger im Amt hat das mit den ersten Messungen gerade in Nordostfranken wiederbelebt. Denn das schwarmhafte Auftreten der Beben ist schon ziemlich lange bekannt, nur hat man es nicht verstanden. Der große Schritt war 2001, als wir die 26 Stationen finanziert bekamen. Das Ziel ist weniger der Katastrophenschutz, sondern hauptsächlich die Information der Bürger.

 

Seine Messgeräte richtet der Erdbebendienst Bayern hauptsächlich in Wasserhochbehältern ein. Auch die Stationen in Manzenberg in Marktredwitz und Vielitz bei Selb befinden sich in Wasserbehältern. Warum eigentlich?

Wassermann: Die Wasserbehälter werden, weil sie schwer sind, relativ tief gegründet: Fünf bis sechs Meter ist für uns ein perfektes Fundament, damit ist der Kontakt zum Fels gegeben. Ein anderer Grund ist, dass wir natürlich auch Kommunikation und Strom haben wollen. Dann sind die Wasserbehälter meist weit entfernt von Siedlungen. Das ist gut, weil wir nicht die menschliche Aktivität aufnehmen wollen. Das Hintergrundrauschen soll so klein wie möglich sein. Die Standortwahl bereitet uns momentan ein wenig Kopfzerbrechen, denn die Betreiber von Windkraftanlagen suchen sich genau die Standorte aus, wo wir seit 20 Jahren sitzen. Da kommen wir uns ins Gehege.

 

Wie genau funktionieren Seismometer?

Wassermann: Die Aufgabe der Seismologie ist, eine Bewegung im Raum festzustellen. Nun ist es so, dass sich der ganze Raum bewegt und ich einen festen Punkt darin brauche, um die Bewegung feststellen zu können. Klingt trivial, ist es aber leider nicht. Denn wenn sich alles bewegt, bewegt sich auch jedes Messgerät. Die Idee beruht auf der Trägheit der Masse. Das ist wie beim Autofahren. Wenn sie bremsen, fliegt irgendetwas nach vorne. So ähnlich ist es beim Seismometer: An einer Feder hängt eine Masse. Die Feder ist mit dem Boden verbunden. Bewegt sich der Boden, bewegt sich auch die Feder, aber die Masse bleibt erstmal stehen und wird dann ein bisschen später nachgezogen. Das System ist sehr einfach und deswegen so unschlagbar. Es ist leicht zu konstruieren und mathematisch leicht zu beschreiben, das ist für die Auswertung wichtig.

 

Aus diesen Aufzeichnungen lesen Sie die Magnitude auf der nach oben offenen Richterskala ab.

Wassermann: Die Lokalmagnitude, die wir bestimmen, geht auf Charles Richter zurück. Nach oben offen ist so ein Ding. Wir zeichnen Amplituden auf, die auf die Entfernung zum Erdbebenherd korrigiert sind. Die Magnitude ist ein logarithmisches Maß für die seismische Energie eines Erdbebens. Diese Formel, der Zehnerlogarithmus, ist nach oben und nach unten offen. Nach unten bereitet das keine Probleme, nach oben wird es schwierig. Magnitude-zehn-Beben sind wahrscheinlich noch drin. Das größte auf der Erde gemessene Beben hatte eine Magnitude von 9,5. Größer ist schwierig, weil es die Tektonik gar nicht hergibt. Es gibt wahrscheinlich eine geologische Deckelung der Magnitude nach oben. Neben der Richter-Skala gibt es auch eine Skala der Intensität, die ganz klar zwischen einer und zwölf Stufen hat. Die beschreibt die Auswirkung eines Erdbebens an dem Ort des Betrachters.

 

Aber so richtig schwere Beben betreffen uns nicht. Das größte in der zurückliegenden Woche hatte eine Magnitude von 3,9, das am Montag von 4,2.

Wassermann: Naja, Schwarmbeben können schon Magnitude fünf erreichen. Das stärkste war bisher 1985/86 mit Magnitude 4,5 gewesen. Mehr ist schwer vorstellbar, komplett auszuschließen ist es nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erdbeben auftritt, das noch kräftiger wird als fünf, ist sehr gering. Das ist tektonisch nicht drin. Aber man muss ein bisschen aufpassen. Es ist unwahrscheinlich, aber ganz auszuschließen ist es nicht.

 

Warum ist es denn so wichtig, Erdbeben aufzuzeichnen?

Wassermann: Zum einen sind wir als Forscher daran interessiert, den Mechanismus zu bestimmen, der überhaupt dazu führt. Diese Schwarmhaftigkeit der Beben ist ein sehr interessantes Phänomen. Das gibt es in der einen Region, woanders gibt es ein Hauptbeben und Nachbeben. Wir möchten die Dynamik des Erdinneren bei uns verstehen. Je genauer man hinsieht, desto komplizierter wird es. Schwarmbeben sind häufig verbunden mit Fluidbewegungen im Untergrund. Im Egerer Graben steigt Kohlendioxid und Wasser von der tieferen Kruste auf und dringt in die Störungszonen ein. Dabei „schmiert“ es, unwissenschaftlich ausgedrückt, die Erdbebenzonen. Damit wird etwas vom Druck genommen, der auf den beiden Gesteinsschichten lastet, und dann können diese langsam aneinander „vorbeischrappen“.

 

Lässt das auch Rückschlüsse auf andere Phänomene zu?

Wassermann: Ja, bei Vulkanen ist das ganz ähnlich. Erdbeben sind ein schönes Labor, um auch Vulkaneruptionen besser zu verstehen. Ein ganz neues Ding ist die induzierte Seismizität, sprich Tiefengeothermie oder andere Verfahren, bei denen Flüssigkeiten in den Untergrund verpresst werden. Auch die können Beben auslösen, die wir aber über natürliche Vorgänge besser einordnen können. Und natürlich geht es auch darum, die Bevölkerung zu informieren. Bei schadensbringenden Ereignissen sind unsere Erkenntnisse auch für Versicherungen wichtig.

Autor

Bilder