Ohne offensive Legendenbildung mit Mut zur Lüge hätte das Ganze nie begonnen. Das erinnert an den Getränkekonzern Coca-Cola, der 1931 die Figur des Weihnachtsmanns erfand, um einen Markenbotschafter für seine eigenen Getränke zu haben. Der im Englischen als „Santa Claus“ bekannte alte Mann mit rotem Anzug und weißem Rauschebart sieht in seiner Farbkombination aus wie das Logo auf Colaflaschen. Aber die Werbelegende sagt, es habe ihn schon immer gegeben – und das glauben heute viele Leute auf der ganzen Welt.
Weihnachten ist in Japan ein exotisches Fest
In Japan ist so eine kommerziell erfolgreiche Legendenbildung schwieriger. Das sowieso kaum religiöse Land hat nur eine kleine christliche Bevölkerung. Der Name „Jesus“ klingt exotisch, Weihnachten ist ein exotisches Fest. Kaum jemandem würde einfallen, für so einen in der japanischen Kultur wenig wichtigen Anlass aufwendig zu kochen. Das liegt schon daran, dass die Weihnachtstage keine öffentlichen Feiertage sind.
So musste Kentucky Fried Chicken mit einer erfundenen Tradition kommen. Als 1970 die erste Japan-Filiale in Nagoya eröffnete, stand der Subunternehmer Takeshi Okawara bald kurz vor der Pleite. Die Kunden verstanden schon das weiß-rote Design der Fast-Food-Kette falsch und vermuteten ihren lokalen Traditionen entsprechend einen Friseur- oder Schokoladenladen. Erst als Okawara eines Tages um Weihnachten herum von einem der wenigen katholischen Kindergärten eingeladen wurde, kam die Wende.
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„Die Nonne des Kindergartens wollte eine Weihnachtsfeier für die Kinder organisieren“, erinnert sich Okawara in einem Podcast des US-Nachrichtendienstes Business Insider. „Ich hatte sowieso keine andere Wahl. Also habe ich das Weihnachtsmannkostüm angezogen und ein Lied erfunden: ‚Kentucky Weihnachten, Kentucky frohe Weihnachten, irgendwie so, und habe getanzt. Und die Kinder liebten es!“
Natürlich essen Amerikaner Truthahn und kein Hühnchen
In Nagoya machte Okawaras Auftritt die Runde, auch andere Kindergärten fragten ihn an. So kam der Unternehmer auf eine Idee: Warum nicht frittiertes Hühnchen einfach zum typischen Weihnachtsgericht erklären? Auf den Verpackungen ersetzte Okawara das Gesicht von KFC-Gründer Harland Sanders durch das des Weihnachtsmanns. Das Geschäft funktionierte bald so gut, dass einige Jahre später der öffentliche Rundfunksender NHK Okawara interviewte.
Der fragte ihn, ob man auch in den USA zu Weihnachten Fried Chicken esse. Gegenüber Business Insider gesteht Okawara: „Ich wusste natürlich, dass die Leute dort nicht Hühnchen essen, sondern Truthahn. Aber ich habe einfach Ja gesagt. Es war eine Lüge.“
Ein bisschen bereue er das noch heute, hat Okawara mehrmals zugegeben. Zugleich hat sich seine Legende über ein halbes Jahrhundert gehalten. Auch diesmal dürften sich viele Menschen in Japan, die im Corona-Jahr kaum zu westlichen Weihnachtsmärkten reisen konnten, an diese vermeintliche Tradition halten – und sich dann mal wieder ganz weihnachtlich fühlen.