Was Geflüchteten hilft „Ein Willkommens-Lächeln versteht jeder“

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Angebote für die Freizeit und Begleitung zu Behörden helfen Geflüchteten mehr als Mitgefühl und neugierige Fragen, weiß Hanna Keding. Foto:  

Wie  können Einheimische Ukrainern beistehen, ohne ihnen­ zu nahe zu treten­? Migrationsberaterin Hanna Keding vom AWO-Kreisverband Wunsiedel erklärt, was Neu­ankömmlinge im Fichtelgebirge ­ wirklich weiterbringt und was ihnen schadet.

 
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Welche Probleme belasten die Ukrainer, die in den Landkreis Wunsiedel geflüchtet sind?

Die Kriegsflüchtlinge kommen aus den unterschiedlichsten Situationen. Etliche sind verängstigt und traumatisiert. Viele konnten zwar ihre Heimat sehr schnell verlassen, aber ihre Angehörigen leben weiter dort. Das heißt: Wer selbst in Sicherheit ist, sorgt sich weiter um die Zurückgebliebenen – vor allem um Ehemänner und Söhne.

Eine gut gemeinte Begrüßung mit den Worten: „Schön, dass du da bist. Was willst du in Deutschland machen?“, ist deshalb nicht angebracht. Denn viele Ukrainer planen, möglichst bald nach Hause zurückzukehren. Aktuell befinden sie sich also in einer sorgenvollen Warteposition. Das ist ein deutlicher Unterschied zu Flüchtlingen aus Ländern wie Somalia, deren Ziel es ist, in Europa zu bleiben. Ukrainische Geflüchtete hoffen, dass es bei einem kurzfristigen Aufenthalt in Deutschland bleibt. Auch wenn dieser jetzt eventuell länger wird, als vielen lieb ist.

Wie sollen sich Einheimische verhalten, die im Kindergarten, in der Schule oder in der Nachbarschaft Geflüchteten begegnen?

Der Kontakt sollte ganz normal sein, wie mit allen anderen Mitmenschen. Ich merke selbst schnell, ob mir jemand sympathisch ist. Wenn ja, lächle ich und sage: „Mensch, du bist neu hier, wo kommst du her?“ Also genau so, wie ich es mit einer neuen Mutter aus München in der Kita machen würde. Ich gehe auch wirklich nur in einen Kontakt rein, wenn ich das gerne möchte.

Mit welchen Fragen lässt sich Kontakt aufbauen und Interesse signalisieren, ohne jemandem zu nahe zu treten?

Lächeln. Das ist viel wert. Um ein nettes Willkommenslächeln hinzubekommen, muss ich weder Russisch noch Ukrainisch sprechen. Dann kann ich sagen: „Mein Name ist Hanna, wie heißt du?“ Sich anzunähern ist ein wichtiger Einstieg, um zu gucken, wie das Gegenüber reagiert. Nachdem wir uns angegrinst haben, kann ich fragen: „Ich habe hier in der Kita drei Kinder – wie viele hast du? Meine heißen X, Y, Z – wie heißen deine?“ Damit überfordere ich niemanden, sondern merke, ob jemand reden will.

Wenn man sich besser kennt, kann man mehr fragen. Ohne Dolmetscher genügt fürs Erste eine Sprach-App wie Google Translate. Selbst das Gestikulieren reicht für den Anfang. Und Lächeln ist wirklich in jeder Sprache verständlich.

Welche Themen vermeiden Sie?

Neugierde ist berechtigt, aber niemand sollte im Leben dieser Menschen rumstochern. Also bitte nicht nach den Kriegserlebnissen oder dem psychischen Empfinden fragen, sondern lieber über das Hier, das Ankommen, reden. Öffnen Geflüchtete sich mir von selbst, muss ich wissen, ob ich das aushalten kann. Was mache ich, wenn mein Gegenüber weint oder einen Zusammenbruch hat? Jeder sollte seine Grenzen in Eigenverantwortung definieren. Zum Selbstschutz für alle Beteiligten gehört zu sagen: „Stopp: Ich kann dir zwar einen Schulrucksack und Kindersachen spenden oder dich zum Arzt und ins Landratsamt begleiten, aber ich kann keine psychologische Betreuung für dich übernehmen. Das tut mir leid und ist nicht böse gemeint.“ Die meisten Menschen kriegen das ganz gut hin.

Wenn bei mir als Gastgeberin die Tagesschau läuft, muss ich den Fernseher nicht ausmachen, nur weil mein ukrainischer Gast reinkommt. Erwachsene sind schlau genug, um sich zu selbst schützen. Natürlich verbietet es sich, zu einem Geflüchteten zu sagen: „Guck mal: die Leichen in Butscha, echt krass.“

Soll man ukrainische Familien nach Hause einladen oder tut ihnen das nur weh, wenn sie gerade ihr eigenes Zuhause verloren haben?

Wenn mir eine Familie sympathisch ist, kann ich fragen: „Habt ihr Lust, euch mit uns auf dem Spielplatz zu treffen?“ oder „Wir gehen an die Eger und laden euch danach zu uns nach Hause ein.“ Aber das sollte man nur machen, wenn man sich sympathisch ist und bereits eine Verbindung durch erste Kennenlern-Schritte aufgebaut hat. Auch für Geflüchtete ist es schön, Kontakt mit Deutschen zu haben und bei einer lieb gemeinten Einladung unsere Normalität miterleben zu dürfen.

Wenn meine Kinder ukrainische Kinder zum Spielen mitbringen – wie gehe ich mit ihnen um?

Wie mit jedem anderen Menschen auch. Wichtig ist, sie nicht mit Fragen zu überrumpeln. Es kann schon sein, dass mich ihre leidvolle Geschichte interessiert, aber ich frage sie besser nicht nach den Hintergründen.

Was brauchen die Geflüchteten Ihrer Ansicht nach dringend?

Sie haben im Landkreis Wunsiedel zwar eine Unterkunft und sind versorgt, aber die Termine bei Ämtern und Behörden müssten viel niedrigschwelliger laufen. In Hof ist ein Antrag auf Asyl zwei Seiten lang, im Fichtelgebirge dreizehn Seiten.

Zwar tun alle ihr Bestes, aber Geflüchtete – egal, aus welchem Land – brauchen viel Begleitung. Wer Zeit hat, kann die Neuankömmlinge aufs Landratsamt und aufs Einwohnermeldeamt begleiten und ihnen helfen, den Ämterkram zu erledigen. Die meisten Ukrainer können nur kyrillische Buchstaben. Sie brauchen Dolmetscher, die sich auskennen. Zu den ersten Hürden zählt zudem die Schulanmeldung für die Kinder.

Problematisch ist auch, dass Neuankömmlinge im Fichtelgebirge zwar versorgt werden, aber kein Bargeld bekommen. Doch wer gewohnt ist, Geld in der Tasche zu haben, fühlt sich sehr nackig ohne Geld. In Rheinsberg in Brandenburg bekommt jeder unbürokratisch 300 Euro ausbezahlt. Das hilft dabei, sich zu fühlen wie ein Mensch.

Ist es okay, wenn Privatleute Geflüchteten einen Geldschein in die Hand drücken oder kommt das unpassend protzig rüber?

Ich rate grundsätzlich davon ab, Geflüchteten privat Geld zuzustecken. Es hat etwas Erniedrigendes und Beschämendes, jemandem 20 Euro in die Hand zu drücken und zu glauben, jetzt gehe es ihm besser. Im dümmsten Fall könnten außerdem Erwartungshaltungen entstehen.

Etwas anderes ist es, wenn ein Fotograf sagt: Ukrainer bekommen ihre Fotos bei mir kostenlos. Das ist selbstverständlich okay – ebenso wie zum Beispiel, eine SIM-Karte für eine Bekannte zu kaufen, die eine braucht. Sachspenden helfen immer weiter: Habe ich ein freundschaftliches Verhältnis zu einer Mutter, deren Kinder Schulsachen brauchen, ist es nett zu sagen: „Ich bezahle die Rechnung für die Stifte.“

Wer etwas spenden will, kann auch in der Schule anrufen und konkret fragen: „Welche Materialien fehlen den Neuankömmlingen noch?“ und sich eine Einkaufsliste diktieren lassen, aus der er auswählt, was er übernimmt. Ich kann aber ebenso gut bei der Tafel anrufen und fragen: „Stimmt es, dass ihr zu wenig Frischware habt? Hilft es euch, wenn ich drei Paletten Yoghurt besorge?“

Was können Fichtelgebirgler außerdem für die Neuankömmlinge tun?

Zunächst sollte ich selbst klar strukturiert sein und überlegen, was ich wirklich leisten kann und was nicht. Dann frage ich mein Gegenüber einfach: „Wie kann ich dir helfen?“ Aber die Antwort eines Geflüchteten kann auch lauten: „Ich brauche keine Hilfe.“ Schließlich steht den Familien ein funktionierendes Netzwerk zur Verfügung, das etlichen Neuankömmlingen erst einmal reicht.

Ich warne immer vor paternalistischen Phrasen wie: „Du brauchst Hilfe, es geht dir doch nicht gut. Ich kann mir vorstellen, was du jetzt brauchst.“ Nein – genau das kann ich eben nicht. Also sollte ich einfach zuhören, was mein Gegenüber sagt, um zu wissen, wo Bedarf da ist.

Wer tatkräftig anbietet, seine eigene Freizeit zu teilen, kommt meistens gut an: „Immer mittwochs gehen wir miteinander wohin.“ Aber auch hier gilt: die eigene Belastbarkeit und die eigenen Grenzen im Auge behalten.

Darf man Mitgefühl zeigen?

Empathie hilft nicht weiter, sondern stigmatisiert die Opfer. Deshalb sollte man dem Automatismus widerstehen, voll in die Mitgefühl-Schiene reinzugehen. In erster Linie sitzen mir Menschen gegenüber, die nicht automatisch hilfsbedürftig sind, nur weil sie ihr Heimatland verlassen haben. Es sind starke Menschen – ich darf sie weder zu Flüchtlingen abstempeln, die nichts können, noch in ihnen nur potenzielle Fachkräfte für Deutschlands Arbeitsmarkt sehen.

Die Spendenbereitschaft ist hoch, aber wie sieht es mit der sozialen Einbindung der Ukrainer aus?

Um zur Ruhe zu kommen, braucht es auch soziale Kontakte. Wir alle können beitragen, diese herzustellen. Mich hat jetzt eine Gastgeberin angerufen, weil sich die Ukrainer, die bei ihr wohnen, Kontakt zu anderen Geflüchteten in Arzberg wünschen. Da habe ich gerne vermittelt.

In Wunsiedel ging es beim Helferkreis-Treffen darum, in welche Vereine man ukrainische Kinder schicken kann. Denn durch Kontakt findet sich der Zugang zur Gemeinschaft. Diesen Weg schaffen die Neuankömmlinge allerdings nicht allein, sondern nur mit der Unterstützung Ehrenamtlicher.

Gibt es genug professionelle psychologische Hilfe?

Nein. Wir haben schon seit 2014 viel zu wenig Hilfe für Geflüchtete. Die Angebote im Fichtelgebirge reichen ja nicht einmal für die Einheimischen. Geflüchtete, die kein Deutsch sprechen, brauchen Kriseneinrichtungen, in denen ein Therapeut Russisch oder Ukrainisch kann. Denn über innere Sorgen muss ich in meiner Muttersprache reden können. Doch die Hilfsmöglichkeiten sind im ländlichen Raum noch dünner gesät als in Großstädten, obwohl sie da schon gering sind.

Ist es spätestens jetzt auch an der Zeit, die eigenen Großeltern über ihre Flucht nach 1945 zu befragen oder rührt das Traumata auf?

Jede Enkelin sollte ihre Großmutter fragen: „Was hast du von 1933 bis 1945 gemacht?“ Denn ich muss weder die eigene Verwandtschaft noch die Ukrainer aktiv vor der Erinnerung an Kriegserlebnisse schützen. Was ich unterlassen sollte, ist zu bohren. Das ist ein großer Unterschied. Es hilft niemandem, Sachen totzuschweigen, aber es hilft ebenso wenig, zu stochern und ins Detail zu gehen, wenn jemand psychisch belastet ist. Das ist ein Drahtseilakt.

Was mache ich, wenn mich der Umgang mit psychisch belasteten Geflüchteten, die sich mir öffnen, überfordert?

Wer es sich nicht zutraut, diesen Drahtseilakt hinzukriegen, sollte bei einem freundlichen Lächeln bleiben. Es gibt im Fichtelgebirge natürlich auch Ukrainer, die traumatisiert, psychisch kaputt oder stark belastet sind. Ehrenamtliche, die allein nicht weiterkommen, oder Geflüchtete, die Unterstützung brauchen, können sich im Landkreis Wunsiedel an die Beratungsstellen für Flüchtlinge und Migration bei der AWO, der Diakonie und der Caritas wenden. Wir sind geschult darin, mit Menschen aus Kriegssituationen umzugehen.

So geht’s
„Mein Name ist Hanna – und wie heißt du?“ – „Ich habe drei Kinder hier in der Kita, wie viele hast du?“ – „Wollt ihr mit auf den Spielplatz oder zum Einwohnermeldeamt?“ – „Wie kann ich dir helfen?“ – „Ich bezahle die Rechnung für die Schulstifte.“ – „Mittwoch habe ich Zeit, da können wir miteinander etwas unternehmen.“
So lieber nicht
„Du brauchst Hilfe, dir geht es schlecht. Ich weiß genau, was dir guttut.“ – „Was willst du in Deutschland machen?“ – „Was hast du im Krieg schlimmes erlebt?“ – „Psychisch bist du bestimmt völlig am Ende, erzähl doch mal.“ – „Schau, die Leichen von Butscha sind im Fernsehen – echt krass.“ – „Hier hast du 20 Euro. Jetzt geht es dir bestimmt besser.“

Das Gespräch führte

Brigitte Gschwendtner

Autor

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