„Wir schauen weiter in die Zukunft als es die Autobauer tun“, sagt Gerlicher. Kürzlich begleitete er Ministerpräsident Winfried Kretschmann als Teil einer Delegation in die USA. Dort sah Gerlicher autonome Taxis, die durch San Francisco fahren und ließ sich erklären, wie fahrerlose Lieferdienste von Uber Eats den Kunden ihre Pizza nach Hause bringen. „Wir sind da hintendran“, sagt Gerlicher. „Unsere Forschung an Künstlicher Intelligenz in Baden-Württemberg ist exzellent, aber wir haben Probleme wegen der Teststrecken für autonome Fahrzeuge. Meistens sind keine Kameras im öffentlichen Raum erlaubt.“ Auch in England schüttelt man den Kopf über die deutschen Bedenken beim Datenschutz: Dort führt eine Teststrecke mitten durch London.
Bosch entwickelt einen intelligenten Boden
In der Arena 2036 stehen täglich neue Ideen auf dem Prüfstand: Aus welchem Projekt lässt sich eine Geschäftsidee für die Mobilität von Morgen entwickeln? Javier Stillig interessiert sich dabei nicht für die Glaubenskriege und Grabenkämpfe, die sich um die Restlaufzeit von Verbrennungsmotoren drehen. Stillig arbeitet bei Bosch-Rexroth als Fachreferent für die „Fabrik der Zukunft“. Seine Vision: Große Produktionsstätten sollen künftig mit einem intelligenten Boden ausgestattet werden.
Stillig blickt auf eine schachbrettförmige Fläche, deren Funktionen er mit seinem Tablet steuern kann. Während er von einem quadratischen Kästchen zum nächsten läuft, folgen ihm auf dem Boden rote Farbelemente, die seinen Weg nachzeichnen – der intelligente Boden reagiert auf das Gewicht des Bosch-Mitarbeiters. „Die einzelnen Platten des Bodens lassen sich wie Lego-Stecksysteme miteinander verbinden“, sagt Stillig und definiert auf seinem Tablet eine Zone auf dem Schachbrett, die Menschen nicht betreten dürfen. Die Idee dabei: hier könnten in der Fabrik beispielsweise Roboter arbeiten, von denen menschliche Arbeiter Abstand halten sollten, um sich nicht zu verletzen.
Javier Stillig bettet seine Arbeit in den gesellschaftlichen Wandel ein. „Ich habe mir einst den Golf 1 gekauft, der viele Jahre fast unverändert auf den Markt kam.“ Diese langen Produktzyklen sind Geschichte. „Bei heutigen Automobilen handelt es sich fast um Einzelfertigungen“, sagt Javier Stillig. Jedes Auto entspringt individuellen Kundenwünschen. „Darauf müssen wir bei der Produktion eine Antwort finden“, so Stillig. „Die Fabrik der Zukunft muss hochgradig wandlungsfähig sein. Nur Decken, Wände und Boden sind fixe Elemente, alles andere ist mobil.“
Und so zeigt der Bosch-Mann blinkende Punkte, die in den Boden eingelassen sind. Dahinter verbirgt sich ein induktives Ladesystem ohne Kabel – wenn sich Fabriken künftig in ihrem Aufbau immer schneller wandeln, um veränderten Marktanforderungen gerecht werden zu können, muss auch die Energie rasch überall zur Verfügung stehen. Für Roboter, die als Assistenten menschliche Arbeiter begleiten oder für neue Produktionseinheiten. Stillig glaubt an seinen intelligenten Boden mit dem Steckkasten-Prinzip: „Die Automobilhersteller und die Zulieferer merken schon jetzt, dass sie mit ihren bisherigen Fertigungskonzepten an Grenzen stoßen.“
Entwickeln Google und Apple eigene Autos?
Ideen aus der Arena 2036 sollen helfen, den Gründergeist bei den deutschen Autobauern wieder zu wecken. Chinesische Newcomer wie Geely und Nio fordern Mercedes und Co. genauso heraus wie eines Tages vermutlich auch Google und Apple. Peter Fröschle läuft durch die Forschungsfabrik auf dem Campus, vorbei an Roboterarmen von Kuka und an Maschinen des Laserspezialisten Trumpf.
Fröschle hat nach Stationen bei Mercedes die Arena 2036 vor zehn Jahren aufgebaut. Der 57-Jährige lächelt, wenn er an Elon Musk und dessen gigantische Pläne denkt. Und darüber, wie bedrohlich dies für hiesige Hersteller wird. „Die Deutschen müssen immer erst einmal die Auswirkungen zu spüren bekommen, bevor sie aktiv werden“, sagt er mit Blick auf den Wandel der Kernindustrie im Südwesten: „Wir müssen schauen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen.“
Mit Betriebsräten und der IG-Metall im Gespräch
Die Veränderung in den Fabriken hat für Fröschle nicht nur etwas mit Technik zu tun. „Wir laden regelmäßig Betriebsräte und Leute von der IG-Metall zu uns ein. Natürlich gibt es dort Unsicherheit, aber wir können den Leuten am Band viel davon nehmen, wenn wir ihnen zeigen, was in der Fabrik der Zukunft auf sie zukommt.“ Auch künftig würden viele Leute mit Handfertigkeiten gebraucht. Nun geht es auch darum, wie sich Roboter als mobile Assistenten der Arbeiter nützlich machen können.
Peter Fröschle glaubt fest daran, dass das Automobil in der Wirtschaftsregion Stuttgart nicht nur eine goldene Vergangenheit hat. Sondern auch eine aussichtsreiche Zukunft. Beides soll die Arena 2036 miteinander verbinden. An ihrer Fassade dominieren silberne Lamellen. Ein wenig erinnern sie an den klassischen Kühlergrill eines Mercedes.