Studiobühne zeigt Klassiker von Goethe

Von Michael Weiser
Der edle Wilde und die heimwehkranke Griechenprinzessin: Martin Betz und Claudia Iberle. Foto: Regina Fettköther Foto: red

Schiller fand's nicht eben einfach, und er als Regisseur musste es wissen. Goethes "Iphigenie auf Tauris" wurde dennoch zu einem Klassiker der Theaterliteratur - weil es um die immer aktuelle Frage geht, wie's mit wahrer Humanität bestellt ist. Nun macht sich die Studiobühne daran, das Drama zu entstauben. Und Regisseur Dominik Kern erzählt, wie er's anstellt.

 
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Autor: Johann Wolfgang von Goethe; Dramaturg und Uraufführungsregisseur der überarbeiteten Fassung: Friedrich Schiller, damals, 1802, noch ohne das „von“ im Namen. Ein Traumpaar!

Schiller allerdings beschränkte sich nicht darauf, die „Iphigenie auf Tauris“ einfach mal so in Szene zu setzen. Er äußerte auch Kritik. Und hatte seine eigenen Vorstellungen, wie man dem Zuschauer die Arbeit des Begreifens etwas erleichtern könnte. „Orest selbst ist das Bedenklichste im Ganzen; ohne Furien ist kein Orest, und jetzt da die Ursache seines Zustands nicht in die Sinne fällt (...), so ist sein Zustand eine zu lange und zu einförmige Qual“, schrieb er. Überhaupt, dieses Psychologisieren: Es gehöre zum „Charakter dieses Stücks, dass dasjenige, was man eigentlich Handlung nennt, hinter den Kulissen vorgeht“.

Eine lange Vorgeschichte

Ein Charakter, mit dem sich auch Dominik Kern befassen muss. Er setzt die „Iphigenie“ gerade für die Studiobühne in Szene, Premiere ist am kommenden Samstag. Und Kern fasst die Schwierigkeiten so zusammen: „Die ,Iphigenie’ ist arm an äußerer Handlung. Und die Vorgeschichte wesentlich länger als die eigentliche Geschichte.“

Wie vermittelt man ein Drama, das dem berühmten Eisberg ähnelt, dessen größerer Teil sich unter Wasser befindet? „Wir bieten zum Beispiel Einführungsvorträge an“, sagt Kern, „ich werde vermitteln, was man für das Stück wissen muss.“

Was man wissen muss - in drei Kapiteln

Da wäre erstens die Geschichte mit Tantalus, der den Göttern Nektar und Ambrosia stiehlt und den Unsterblichen als krönende Untat seinen eigenen Sohn Pelops zur Speise vorsetzt. Die verärgerten Gäste bestrafen den Tantalus nicht nur mit den gleichnamigen Qualen des Hungers und Durstes, sondern belegen seine Familie mit einem Fluch, der generationenlang Mord und Totschlag nach sich zieht.

Da wäre zweitens Tantalos-Nachfahr Agamemnon, der Griechenfeldherr, dessen Flotte die Götter die Ausfahrt zu Trojas Küste verwehren. Es sei denn, Agamemnon opfert ihnen seine Tochter Iphigenie. Agamemnon schickt sich an, das Verlangte zu tun – und im letzten Moment zeigen sich die Götter gnädig und entrücken Iphigenie ins Land der Taurer.

Drittens: Die Griechin wird in der fernen Fremde Hohepriesterin und schafft das Brauch des Menschenopfers ab. Sie erfreut sich der Verehrung der Taurer und ihres Königs Thoas. Doch ist sie krank vor Heimweh und verzehrt sich, „das Land der Griechen mit der Seele suchend“.

Wahre Größe? Wie sieht die aus?

An diesem Punkt endlich setzt das Drama ein, das Iphigenie und Häuptling Thoas am Ende vor die schwerste Entscheidung stellt: Wird sie, die Priesterin, der Neigung oder der Pflicht gehorchen? Und wird er, der Barbar, am Ende zu wahrer menschlicher Größe fähig sein?

Aber auch der informierte Zuschauer ist nicht vor Längen gefeit, wenn’s auf der Bühne um Seelenergründung geht. „Wir versuchen, die alte Geschichte zu entstauben“, verspricht Kern. „Wir haben Mittel und Wege gefunden, mehr Aktion zu behaupten.“ „Aktion behaupten“, wenn schon das Drehbuch keinen Thriller vorsieht – das könnte bedeuten: Video, Licht und Schattenspiel geben dem Zuschauer Augenfutter und erläutern, was sonst „hinter der Kulisse“ bleiben müsste. Ein „kurzer Abend“ aber werde es dennoch nicht, sagt Kern, „weil nonverbale Kommunikation, Musik und Schweigen eine Rolle spielen“. Kern setzt bewusst auf Stille: „Ich bin der Überzeugung, dass das gut tut“. Das nicht an klassische Sprache gewöhnte Ohr benötige Pausen, um Goethes Sprache verarbeiten zu können.

Aktuell wie eh und je

Kern will den Thoas in den Mittelpunkt stellen. „So, wie er sich entscheidet, wird wahrscheinlich der Verlust der Herrschaftslinie die Folge sein“, sagt Kern. „Um so größer ist sein Verzicht. Er beweist hier eine unfassbare Größe.“ Der wahre Mensch kann auch in der Fremde leben? Wie’s scheint, ist griechischer Stoff auch in dieser Beziehung aktuell wie eh und je.

INFO: Johann Wolfgang von Goethe, „Iphigenie auf Tauris“, Regie Dominik Kern, Premiere 5. März, 20 Uhr, danach am 11., 12. und 26. März. Weitere Termine im April.

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