Alle Probanden verspürten daraufhin Wut. Sie wurden gebeten, ihre Gedanken zur Rückmeldung aufzuschreiben. Anschließend sollte eine Gruppe den Zettel in einem Mülleimer oder einem Schredder entsorgen, eine zweite Gruppe sollte ihn in einer Box oder einem Ordner auf dem Schreibtisch verwahren.
Wut wandert in den Müll
Über Fragebögen wurde das emotionale Befinden der Männer und Frauen vor und direkt nach der Bewertung sowie nach dem Wegwerfen oder Behalten des Papiers erfasst. Bei denen, die ihr Papier in den Mülleimer warfen oder schredderten, schwand die Wut den Ergebnissen zufolge bis zum emotionalen Ausgangszustand. Bei denen, die den Zettel aufbewahrt hatten, nahm die Wut in geringerem Maße ab, wie die Forscher berichten.
Das Schreiben und Vernichten wirke bei Wut offenbar ähnlich, wie ein Teddybär als Trost oder bei Angst wirken könne, so die Forscher. Ein Objekt wegzuwerfen, das mit negativen Emotionen wie Wut verbunden sei, könne dabei helfen, diese loszuwerden. "Jeder, der einen Stift und ein Stück Papier hat, kann diese Methode anwenden." Unklar sei bisher, ob sich das Konzept auch digital umsetzen lasse - ob es also auch helfe, seine Wut auf dem Smartphone oder Laptop niederzuschreiben und den Text dann zu löschen.
Memo im Meeting
Kawai sieht einen praktischen Nutzen als schnelle, einfache Maßnahme etwa für Geschäftsleute: Sie könnten in stressigen Situationen den Grund momentanen Ärgers notieren und das Memo dann wegwerfen. Interessant sei das Ergebnis auch mit Blick auf eine japanische Kulturtradition, die unter dem Namen Hakidashisara am Hiyoshi-Schrein in Kiyosu praktiziert werde. Bei dem jährlichen Fest werden demnach kleine Scheiben zerschlagen, die wütend machende Dinge darstellen. Teilnehmer berichteten dabei von einem Gefühl der Erleichterung, so die Forscher.
In andauerndem Wütend-Sein zu verharren, ist ungesund - unter anderem wird Untersuchungen zufolge das Herz-Kreislauf-System belastet. Bei einem akuten Wutanfall könne intensive Bewegung helfen, sich selbst wieder runterzubringen, erklärte Möhler: die Treppe hoch und runter zu laufen, einen Boxsack zu nutzen oder - so man in einem Meeting feststeckt - alle Muskeln ganz fest anzuspannen. Manchen Menschen helfen auch Kältereize wie kaltes Wasser auf Gesicht oder Armen, das Flitschen eines Gummibandes am Handgelenk oder ein starker Geschmacksreiz etwa durch ein scharfes Bonbon. Zu den ungesunden Strategien der Wutbewältigung zählten das Rauchen und Alkoholkonsum.
Wut kommt oft aus der Kindheit
Dass manche Menschen schnell wütend werden, ist Möhler zufolge keineswegs allein auf ererbtes Temperament zurückzuführen. Oft liege die Ursache in der Kindheit, sei in Erfahrungen mit Gewalt, Misshandlung, Vernachlässigung oder dem Aufwachsen mit drogenabhängigen oder psychisch kranken Elternteilen begründet. "Je mehr solchen Stress man in der Kindheit erlebt, desto anfälliger ist man unter anderem auch für Wutanfälle." Dieser Zusammenhang bleibe über Jahrzehnte, wahrscheinlich sogar lebenslang sichtbar.
Bedenklich sei vor diesem Hintergrund, dass sich bei Kindern und Jugendlichen im Zuge der Corona-Pandemie psychische Auffälligkeiten verdoppelt hätten. "Es gibt mehr schwierige Gefühle und häufiger eine ungesunde Art, sie auszudrücken." Bisher sei dieser negative Pandemie-Effekt Studien zufolge überraschenderweise auch nicht geschwunden.