So helfen Tagebücher Komapatienten

Von Peter Rauscher
Jessica Diehm und Andreas Thanner, stellvertretende Stationsleiter auf der Intensivstation im Klinikum Bayreuth, waren die Organisatoren des Bayreuther Intensivsymposiums. Foto: red Foto: red

Patienten auf Intensivstationen können noch Jahre später an seelischen Störungen leiden, weil aus der Zeit ihres Komas möglicherweise nur Erinnerungen an wirre Träume geblieben sind. Degegen können Intensivtagebücher helfen, wie sie auch am Klinikum Bayreuth geführt werden.

 
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Einen Traum aus seiner Zeit im Koma auf der Intensivstation im Klinikum Bayreuth hat Christian Spörl nicht vergessen: Er sah ein Haus mit vielen Fenstern, hinter denen Gesichter waren. Es stellte sich später heraus, dass diese Gesichter Ärzten, Pflegern und dem Verursacher des Unfalls gehörten, der Spörls Krankenhausaufenthalt verschuldet hatte. Als er aber nach fünf Tagen aus dem  künstlichen Koma erwachte, konnte er sich an diesen Unfall und die Ereignisse danach nicht erinnern. „Man erwacht und weiß erst einmal nicht, wo man ist. Überall piept und blinkt es, und man ist voller Medikamente.“

30 Meter durch die Luft geschleudert

Spörl ist der Polizist, der im April 2017 im Alter von 28 Jahren auf der A 70 bei der Absicherung eines Schwertransports von einem Auto erfasst und 30 Meter durch die Luft geschleudert wurde. Am Donnerstag berichtet er auf dem Dritten Bayreuther Intensivsymposium seine Geschichte vor sichtlich beeindruckten rund 200 Zuhörern. Er ist ein gutes Beispiel für die Leistungsfähigkeit der Intensivmedizin: Trotz Verlusts der Sehkraft auf einem Auge und Einschränkungen bei der Beweglichkeit eines Armes kann er demnächst seinen Polizeidienst wieder aufnehmen.

Gliedmaßen geklaut

Sein Traum aber gibt ihm bis heute Rätsel auf. Wie kam es zu diesen Eindrücken, obwohl er im Koma war? Peter Nydahl, Pflegeforscher aus Kiel, berichtet von noch viel drastischeren Komaträumen:  Ein Patient habe ihm berichtet, in seinen vier Wochen im Koma habe er geträumt, dass ihm Gliedmaßen abgenommen und arabisch aussehenden Menschen angenäht worden seien. Und dass er bei einer Oscarverleihung Fotos von seinem Sohn gemacht habe. „Für den Patienten war das die Realität“, sagt Pflegeforscher Nydahl.

Schlimme Spätfolgen

Geholfen habe ihm, dass auf seiner Intensivstation in Schleswig-Holstein ein so genanntes Intensivtagebuch geführt wurde. Die Idee kommt aus Skandinavien. Erst seit wenigen Jahren wisse man, dass Intensivpatienten oft noch Jahre später an Posttraumatischen Belastungsstörungen, Ängsten und Depressionen leiden könnten, auch Angehörige könnten betroffen sein. Der Grund: Intensivpatienten wissen nicht, was mit Ihnen passierte, als sie im Koma lagen, sie können schlimme oder wirre Komaträume nicht deuten und einordnen und oft nicht zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden. So habe sich später herausgestellt, dass der Patient in Schleswig-Holstein offenbar Ängste wegen seiner absoluten Bewegungslosigkeit hatte und dass er möglicherweise durch Gespräche am Krankenbett von der Oscarverleihung gehört habe.

Tagebuch ist gute Pflege

Heilung setzt voraus, dass man versteht“, sagt Nydahl. Intensivtagebücher könnten von Pflegenden und Angehörigen gemeinsam geführt werden. Sie sollten die Umstände der Einlieferung, eine Vorstellung des Pflegeteams und besondere Vorkommnisse enthalten. Zum Beispiel: „Heute waren Sie sehr unruhig, wir haben Sie umgedreht“ oder: „Es war viel los im Zimmer, das Beatmungsgerät war im Einsatz.“ Intensivtagebücher sorgten für Transparenz, seien einfach, kostengünstig und langfristig wirksam. „Tagebuch schreiben ist gute Pflege“, sagte Nydahl.

Angehörige sind froh

In der Intensivstation am Klinikum Bayreuth werden Tagebücher seit etwa einem Jahr geführt, sagen die stellvertretenden Stationsleiter und Symposiums-Organisatoren Jessica Dehm und Andreas Thanner dem Kurier. Den Anstoß gebe das Pflegeteam, wenn kein einfacher Verlauf zu erwarten sei.  Die Mitwirkung sei freiwillig, von Angehörigen gebe es schon viele positive Rückmeldungen. Thanner: „Manche Angehörige fühlen sich hilflos und sind einfach nur froh, dass sie mit Tagebucheinträgen etwas für den geliebten Menschen tun können.“

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