Die Politik in der „Lähmungsstarre“: Bayreuther Dialoge kreisen um das Finanzdebakel Arbeit an der nächsten Krise

Von Michael Weiser

Skepsis beim Blick in die Zukunft: Die Diskussionsrunde der Bayreuther Dialoge am Samstag im Evangelischen Bildungswerk kreiste um die jüngste Finanzkrise, ohne großen Lerneffekt festzustellen. „Wir bereiten gerade die nächste Finanzmarktkrise vor“, sagte etwa Soziologe Matthias Thiemann.

 
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„Politik vs. Ökonomie: Wer ist David? Wer ist Goliath?“ – so hatte eigentlich die Leitfrage der Podiumsdiskussion im voll besetzten Evangelischen Bildungswerk gelautet. Eigentlich – denn die vier Diskutanten sprachen indirekt über den Bedeutungsverlust der Politik, indem sie sich fast ausschließlich der Finanzkrise widmeten. Man kann auch sagen, man bekam viele Antworten auf Fragen, die gar nicht gestellt wurden. Nicht weiter schlimm: Es waren interessante Antworten, Einblicke in ein höchst komplexes, von Gier befeuertes System.

„Die Finanzkrise war Staatsversagen“, sagte Ulrich van Suntum, Professor der Volkswirtschaft in Münster, der die „Kumpanei von Staat und Banken“ kritisierte. Der Staat habe die Banken benutzt, um billig am Geld zu kommen – und noch immer steige die Geldmenge gefährlich. Der Staat dürfe Schulden nur für Investitionen aufnehmen, solle andernfalls sparen. Derzeit jedoch gebe der Staat zu viel Geld „für dummes Zeug“ aus, er hinterlasse jungen Menschen einen Schuldenberg und eine marode Infrastruktur. Auch Matthias Thiemann nannte ein Beispiel für Staatsversagen – der Staat sei mit der Commerzbank so lax umgegangen, dass sich die Bank um Milliarden an Zinsen drücken konnte. Der Soziologe forderte eine Umverteilung hin zum Konsum und Steuererhöhungen bei den Profiteuren der „Fehlentwicklungen“.

Obszöne Gehälter

Man konnte den Eindruck einer aus den Fugen geratenen Welt gewinnen. Klaus Erich Scharioth, einst Botschafter in den USA, nannte den Anstieg der Vorstandsgehälter dort auf das 300-Fache eines Arbeitergehalts „obszön“. Der ehemalige Investmentbanker Rainer Voss warnte vor Demokratie-Verlust angesichts auseinanderdriftender Gehälter. Es gebe Hedgefondsmanager mit drei Millliarden Dollar Einkommen. „Wenn man die danach fragt, verstehen die das selber nicht.“

Voss der in dem Dokumentarfilm „Masters if the Universe“ einen erschütternden Einblick in die Finanzwirtschaft gegeben hatte, nahm die Politik in Schutz: „Wir müssen ein unglaublich kompliziertes System analysieren, in dem kleinste Erschütterungen große Erdbeben auslösen können. Daher ist die Politik in einer Lähmungsstarre.“

Ob sich Politik und Wirschaft wie Gegner gegenüberstehen, ob es überhaupt einen Gewinner geben kann, wenn der andere verliert – darüber erfuhr man wenig. Vielleicht, weil das Ganze zu komplex geworden ist für einzelne klare Antworten? Man konnte sich dennoch einen Reim machen. Diplomat Scharioth plädierte für mehr internationale Zusammenarbeit, „weil sonst die Politik im Nachteil ist“. Hörte sich so an, als sei sie’s längst.

Zitate:

Rainer Voss, Ex-Banker: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Demokratie verlieren.“

Ulrich van Suntum, Volkswirt: „Der Staat hat Regeln zu 
setzen, aber er darf nicht in das Spiel eingreifen.“

Matthias Thiemann auf die Frage, wer für angeschlagene Banken geradestehen soll: „Für Risiken haften? 
Eine ganz wunderbare Idee. Das Problem ist nur die Komplexität.“

Ex-Diplomat Klaus Erich Scharioth wirbt für Zusammenarbeit: „Es gibt kein großes Problem mehr, das sich noch von einem Staat alleine lösen lässt.“

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