Silke Dörfler spricht Übergewichtige an und lädt sie zur Selbsthilfegruppe ein Adipositas: Eine Frau bricht ein Tabu

Von Christina Knorz
"Die Gruppe hat mich verändert": Silke Dörfler (26, rechts) aus Speichersdorf hat mit der Selbsthilfegruppe Adipositas schon 15 Kilo abgenommen. Foto: Archiv/Knorz Foto: red

Silke Dörfler (26) bricht ein Tabu. Sie spricht Menschen auf ihr Gewicht an. Das macht sie in Klamottenläden und im Freundeskreis. Die Reaktionen sind extrem.

 
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Die Selbsthilfegruppe hat Silke Dörfler verändert. Äußerlich und innerlich. Sie hat 15 Kilo abgenommen, wiegt jetzt noch 120 Kilo. Noch lange nicht ihr Wunschgewicht. Aber sie ist auf dem Weg. "Zurück in ein leichteres Leben." Innerlich hat sie sich "von einem Tabu" befreit. Sie schämt sich nicht mehr für ihr Übergewicht. Sie geht offensiv damit um. Und konfrontiert andere.

Ihr Projekt der schonungslosen Offenheit begann im Freundeskreis. Nach einem Shoppingausflug saß sie mit einer Freundin an der Bar. Über Apfelschorle und Tequila Sunrise hinweg stellte die 26-Jährige die Gretchenfrage: "Bist du eigentlich glücklich mit deinem Gewicht?" Dörfler wollte nicht drumherumreden. Sie wollte das die übergewichtige Freundin schon lange fragen.

Zwei Millionen Bayern viel zu dick

Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts ist ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung stark übergewichtig. Ein gesunder Taillen-Umfang von Frauen sollte 88 Zentimeter, bei Männern 102 Zentimeter betragen. Das bayerische Gesundheitsministerium geht davon aus, dass zwei Millionen Menschen im Freistaat stark übergewichtig sind.

"Kein Übergewichtiger ist zufrieden mit seinem Gewicht, wir sind gefangen", sagt Dörfler. Die 26-Jährige fühlt sich verantwortlich für andere. "Ich weiß, wie es sich anfühlt und ich möchte ihnen die Möglichkeit geben, etwas zu verändern." 

Die Freundin reagiert schockiert. "Sie hat nicht verstanden, warum ich so etwas überhaupt ansprechen konnte." Der Abend wird lang, die beiden reden, am Ende besucht die Freundin die Selbsthilfegruppe und ist seit drei Monaten treu dabei.

Gemeinsam Sport machen

Die 26-Jährige kennt diesen Schock-Moment. Plastischer Chirurg Marian Maier hat sie gefragt, wie es ihr mit ihrem Gewicht geht. "Ich dachte, ich falle vom Stuhl." Die Offenheit des Arztes, der ihre Hand behandelte, hat sie zum Nachdenken gebracht. Von ihm stammt die Idee der Selbsthilfegruppe, die Dörfler im Juli ins Leben gerufen hat.

20 stark Übergewichtige aus dem Landkreis Bayreuth treffen sich seitdem. Sie hören Vorträge und reden miteinander. Einmal in der Woche machen sie zusammen Sport. 13 bis 75 Jahre alt sind die Teilnehmer der Gruppe. "Wir alle zusammen haben schon 45 Kilo abgenommen", sagt Dörfler. Das klinge wenig, aber etliche in der Gruppe hätten Probleme sich überhaupt fünf Minuten sportlich zu bewegen. "Von daher ist das Ergebnis sehr gut."

Nirgendwo in Bayern gibt es so viele adipöse Menschen wie in Oberfranken. Nach Auskunft des Gesundheitsministeriums ist fast jeder Fünfte stark übergewichtig. Adipositas sei eines der größten Gesundheitsprobleme im Freistaat. Adipositas erhöhe das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Gelenkerkrankungen und einige Krebserkrankungen, sagte ein Sprecher des Ministeriums.

Geschrei im Kaufhaus

Nicht immer reagieren die Menschen ruhig auf Dörflers Offenheit. Als die Speichersdorferin bei C&A in Bayreuth in der Umkleide stand, hörte sie aus der Nachbarkabine das Jammern einer Frau. "Nichts passte ihr. Alles war zu eng. Da hab ich sie angesprochen." Die 26-Jährige bläst die Backen auf. "Wetter, hat die mir was erzählt. Sie hat den ganzen Laden zusammengeschrieen." Was ihr einfiele, sie überhaupt anzusprechen. Ob sie noch ganz dicht sei. Ob sie schon mal in den Spiegel geschaut hätte. "Eben drum, deshalb weiß ich, wie man sich fühlt." Sie gab der Frau den Kontakt zur Selbsthilfegruppe. Tatsächlich hat sie sich nach einer Woche gemeldet und über die Arbeit der Gruppe informiert. Im Rückblick sieht Dörfler ihr Verhalten aber auch kritisch. "Ich muss da sensibler sein und kann die Leute nicht einfach vor den Kopf stoßen."

Dazu rät auch Marian Maier. Er habe Dörfler nur angesprochen, weil "ich in ihr eine Kraft wahrgenommen habe, etwas ändern zu wollen." Er würde niemals völlig Fremde ansprechen. "Man muss sich dafür erst eine Vertrauensposition aufbauen, bevor man das ansprechen darf." Sonst sei es nur eine Beleidigung.

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Info: Die Selbsthilfegruppe Adipositas trifft sich jeden dritten Montag im Monat um 18 Uhr im Konferenzraum 3 des Klinikums, Preuschwitzer Straße 101. Das nächste Treffen ist am 17. November. Neben Gesprächen gibt es Vorträge von Ärzten und gemeinsamen Sport und Veranstaltungen. Termin wird auf der Homepage www.ash-bayreuth.de bekannt gegeben. Dort kann man auch seinen Body Mass Index berechnen. Kontakt und Infos per Mail an ash.bayreuth@googlemail.com oder unter der Nummer 01 51/26 71 66 52.

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