Sie steigern das Brutto-Sozialprodukt

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Alles normal: Stückzahlen klotzen, auf den Zehntelmillimeter genau und Lieferzeiten einhalten. Auch der Umsatz muss stimmen. In den Werkstätten für Menschen mit Behinderung läuft es wie in einem ganz normalen Betrieb. Mit einem winzigen Unterschied. Der Lohn ist es nicht.

 
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Wer das Glück hat, bei Lufthansa in der ersten Klasse zu fliegen, hat mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit schon seine Vorspeise von einem feinen Rosenthal-Porzellantellerchen gegessen. Gezählt, verpackt, verschweißt und gestapelt hat dieses Tellerchen einer der mehr als 600 Mitarbeiter der Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Bayreuth. Seit Jahren ist der Luxusporzellanhersteller einer der Stammkunden dieser Einrichtung. Und weil Lufthansa die Tellerchen nur sieben Mal benutzt und dann schreddert, packen, zählen, verschweißen und stapeln die Mitarbeiter einfach die nächsten hunderte von Tellerchen.

Na klar, Tellerchen stapeln ist einfache Arbeit, passt für behinderte Menschen, denken viele. Erstens ist es so einfach nicht, Tag für Tag und Stunde für Stunde Pappe zwischen die Tellerchen zu legen, weiterreichen, nächste Pappe, nächstes Tellerchen. Und zweitens, es geht auch komplizierter.

Zum Beispiel in der Werkhalle für BMW. Dort werden Karosserieteile hergestellt, an denen die Kindersitze im Auto festgemacht werden. Bis zu 80.000 Stück gehen jede Woche aus Bayreuth zu dem Autobauer aus München. Millimeterarbeit.

Alle erwerbsunfähig

Eigentlich sind die Menschen, die in den Werkstätten arbeiten, „formal erwerbsunfähig“. Sie könnten gar nicht in der freien Wirtschaft arbeiten, auch wenn das ein Ziel der Werkstätten ist. Dass sie doch für namhafte Firmen ganz normale Arbeiten unter ganz normalen Wettbewerbsbedingungen ausführen, „ist die Kunst“, sagt Hartmut Springfeld. Er ist Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH, die von der Diakonie Bayreuth getragen wird. Die Kunst ist es, Arbeit „sehr klar“ zu organisieren, mit sehr vielen Kontrollen und Zwischenschritten, so dass die Mitarbeiter „das alles verstehen“.

Viele machen nur einen einzigen Handgriff, statt vieler Knöpfchen gibt es nur eins oder zwei, die Maschinen sind eigens dafür eingerichtet. Und ein paar Pausen mehr als in der normalen Industrie gibt es auch.

Aus Mitleid arbeitet keine Firma mit Menschen mit Behinderung

Aber allein aus Mitleid mit den Menschen mit Behinderung arbeitet keine Firma mit den Werkstätten zusammen. Einen Sozialbonus gibt es nicht. Es rechnet sich ganz einfach. Da ist zunächst die verminderte Umsatz-Steuer. Die Werkstätten dürfen nur sieben Prozent berechnen anstelle der sonst üblichen 19. „Klarer Wettbewerbsvorteil“, sagt Springfeld. Durch die Zusammenarbeit mit den Werkstätten können Firmen sich auch zur Hälfte „freikaufen“ von der Verpflichtung, Arbeitsplätze für Schwerbehinderte vorzuhalten. Ansonsten läuft es wie im normalen Geschäft: Es zählen „Termine, Stückzahlen, Qualität und attraktive Preise“, sagt Springfield. Aber eben nicht nur das.

Wo draußen in der Industrie Fließbänder laufen, gibt es in den Werkstätten viele Hände. Einer stapelt die Rosenthal-Tellerchen, einer packt sie ein, einer reicht sie weiter. Wenn viele Vieles langsam machen, kommt am Ende doch viel raus. Auch an den Strumpf-Verpackungsmaschinen, wo Karten für die Firma Medi gelocht und geklebt werden, dann Strümpfe für die neue Kollektion eingesteckt werden. Anja (29) legt die Karte in das Klebegerät, dann drückt sie die Stoppuhr. Nach genau 30 Sekunden kommt der nächste Arbeitsschritt, dann erst hält der Kleber. Ob sie nach jahrelanger Arbeit nicht weiß, wann der Kleber trocken ist. „Mit Uhr ist es sicherer“, sagt Anja. Auch Lise (24), Leo (23) und Udo (41) arbeiten lieber mit der Uhr. 800 Stück schaffen sie in etwa am Tag. „Ich zähle nie“, sagt Anja, „ich arbeite so vor mich hin“.

Umsatz von mehr als drei Millionen Euro

Unterm Strich steht bei den Werkstätten ein produktiver Umsatz von knapp 3,3 Millionen Euro im Jahr, was ihn zu einem der profitabelsten Unternehmen im Mutterkonzern Diakonie Bayreuth macht. Die Krise der Diakonie, verursacht durch eine andere Gesellschaft, hat die Werkstatt unbeschadet überstanden. Die Mitarbeiter sind ausgelastet. Sie produzieren für die Fenster- und Sonnenschutzfirma Heim und Haus Teile für Markisen und Fenster, stellen Teile für Wasserwagen her, versehen Kinderbücher mit Banderolen oder packen Stoffäffchen ein. Oder sie arbeiten in der hauseigenen Gärtnerei oder der Schreinerei.

Der Grad der Behinderung ist bei allen unterschiedlich, aber durch die kleinteilige Organisation arbeiten alle an einem Ziel. Es sei ein „dauerhafter Personalentwicklungs-Prozess“, sich immer wieder mit den Menschen zu beschäftigen und versuchen, sieweiter zu entwickeln, dass sie sich gewinnbringend ins Unternehmen einbringen können. „Da könnten sich andere Unternehmen eine Scheibe abschneiden“, sagt Birgit Richter, Produktionsleiterin. Wie das geht? „Mit wahnsinnig viel Geduld und Liebe für die Menschen“. Das ist der eigentliche Unterschied zu einem normalen Unternehmen.

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Was verdienen Menschen mit Behinderung eigentlich?

Verdienst:

Es gibt ein Lohnfindungssystem, das auf eine Kennzahl zurückgreift, das Arbeitsergebnis. Die Werkstatt muss 70 Prozent von dem, was bei der Produktion übrigbleibt, an ihre Mitarbeiter auszahlen.

Betriebsrat:

Der Lohn wird mit dem Werkstattrat abgestimmt, vergleichbar mit dem Betriebsrat. Der wacht darüber, dass der Lohn gerecht aufgebaut ist. Es gibt auch Lohnerhöhungen. Die richten sich danach, wie sich ein Mensch mit Behinderung entwickelt, „aber vor dem Hintergrund seiner Möglichkeiten“, sagt Birgit Richter, Produktionsleiterin. Es geht also nicht nur um die Stückzahlen. „Das wäre unfair.“

Kündigungen:

Wenn ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit nicht gegben ist, wäre eine Kündigung möglich. Aber keine der Chefs kann sich an eine erinnern. Nicht genommen werden Mitarbeiter, wenn eine „Eigen- und Fremdgefährdung vorliegt“. Ansonsten sind die Werkstätten verpflichtet, die Menschen aufzunehmen. Auch Abmahnungen kann es geben, wenn es arbeitsrechtlich massiv Störungen gibt.

Betriebliche Leistungen:

Anders als normalen Firmen flakiert und unterstützt der Sozialdienst die Menschen im Arbeitsprozess und stabilisiert sie im privaten Lebensbereich. Wer in den Werkstätten arbeiten will, erhält eine 27 Monate lange „Ausbildung“. Daneben gibt es einen Fahrdienst, Kochkurse, Sportmöglichkeiten und Kurse im Umgang mit Computer. Sogar eine eigene Fußballmanschaft haben die Werkstätten. Das ist der zweite „ganz wichtige“ Aspekt unserer Aufgabenstellung, sagt Thomas Wattenbach, Leiter des Sozialdienstes in den Werkstätten

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