Das Einzige, was auf dem Gelände steht, ist ein altes rotes Auto. Abgemeldet. Genauso wie die einstige Fleisch- und Wurstfabrik, an die nur noch das Firmenlogo erinnert: Weiß. Einst eine Metzgerei mit Hauptgeschäft in Kulmbach und sieben Filialen, tief verwurzelt in der Stadt und dem Umland. Bis im Jahr 2001 die erste Insolvenz kam. Auch ein Wiederbelebungsversuch scheiterte. 2012 war das endgültige Aus für den Betrieb, der einst 80 Arbeitsplätze bot.

Den Wert von Grundstück und Gebäude setzte die Kulmbacher Bank zuletzt bei 530 000 Euro an. Doch Thomas Weiß fragt sich: „Wie kann ein Gebäude so massiv an Wert verlieren?“ In einem Gutachten aus dem Jahr 2001 wurde das 5364 Quadratmeter große Grundstück allein noch auf 1,2 Millionen Mark geschätzt, mit dem Gebäude wurde ein Wert von 3,5 Millionen Mark errechnet. Ein anderer Gutachter schätzt im September 2012 den Grundstückswert auf 458 000 Euro. Eine dauerhafte Vermietung sei wegen einer Hochwassergefahr nicht möglich.

Die entscheidende Frage für Thomas Weiß, der von seinem Vater 2001 die insolvente Weiß KG übernommen hat, ist: Seit wann liegt das Gebäude im Hochwassergebiet? Das Grundstück gehörte einst der Stadt Kulmbach. Dieter Weiß (77), ehemaliger Inhaber der Metzgerei Weiß, Stadtrat und von 1991 bis 1996 Aufsichtsratsvorsitzender der Kulmbacher Bank, erinnert sich: In der Bauphase in den neunziger Jahren habe es Auflagen der Europäischen Union gegeben. „Aber das Grundstück wurde uns als hochwasserfrei mit Erbpacht verkauft“, sagte er dieser Zeitung. „Da hat es angefangen“, sagt Dieter Weiß und meint die finanziellen Probleme des Betriebes. Worin sich Vater und Sohn einig sind.

Der Bau wurde teurer und teurer, ein Gutachter hatte damals bereits auf die Gefahr von steigendem Grundwasser hingewiesen. Sein Sohn Thomas Weiß erhebt noch zusätzliche Vorwürfe gegenüber dem Architekten des Baus. Dieser hätte Bodenproben aus dem angeblich hochwassergefährdeten Gebiet nehmen müssen. „Hinterher sagt jeder, das hätte man wissen können“, sagt hingegen Vater Dieter Weiß.

So einfach hinnehmen will Thomas Weiß das jedoch nicht. Bei der großen Überschwemmung im Jahr 2006 habe der Betrieb einen Hochwasserschaden erlitten. Damals sei er zu dem Schluss gekommen: „Das Grundstück war das Rückstaubecken der Flutmulde. Es hätte nicht bebaut werden dürfen.“ Trotzdem sei, nachdem sein Vater 1991 den Bauantrag eingereicht habe, Anfang des folgenden Jahres die Baugenehmigung erteilt worden.

Ein Nachbarbetrieb in der E.-C.-Baumann-Straße habe 1998 den Hinweis von der Stadt erhalten, er möge hochwasserfrei bauen, sagt Thomas Weiß. Das Weiß-Grundstück sei allerdings als mangelfrei veräußert worden, wundert sich Thomas Weiß.

Nach dem Hochwasser 2006 habe er die Stadt auf Schadenersatz verklagt und in erster Instanz gewonnen. Damals ging es um 64 000 Euro Schadenersatz – die aber die Stadt Kulmbach nicht zahlen musste. Am Oberlandesgericht (OLG) in Bamberg allerdings verlor er jedoch den Prozess. Denn laut OLG-Urteil war „nicht bewiesen“, dass die Schäden der Firma Weiß vorher „erkennbar“ waren noch „konkret gedroht“ haben.

Nach den Informationen von Thomas Weiß ist das Wasserwirtschaftsamt vor der Baugenehmigung weder gefragt noch einbezogen worden. Eine Nachfrage dieser Zeitung beim Wasserwirtschaftsamt in Hof brachte keine Klärung. Da das Insolvenzverfahren noch am Laufen sei, gebe es zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Auskünfte.

Ein Schreiben aus dem Jahr 1991 belegt allerdings, dass das Wasserwirtschaftsamt sehr wohl die Hochwassergefahr gekannt haben muss: „Die Bebaubarkeit ist allerdings mit der Voraussetzung verbunden, dass die Grundstücke eine ausreichende Hochwassersicherheit erhalten.“ Fragen zu dem am Grundstück verlaufenden Hochwasserkanal seien „mit der Stadt zu klären“, heißt es in dem Schreiben weiter, das der Redaktion vorliegt.

Auf Archivfotos aus dem Jahr 1993 ist jedoch deutlich erkennbar: Auf dem Weiß-Gelände gab es sehr wohl schon einmal eine Überschwemmung, das war kurz nach der Fertigstellung. Die Fotos liegen der Redaktion vor. Auf einem dieser Fotos ist der damalige Leiter des Katastrophenschutzamtes zu erkennen: Henry Schramm. Der jetzige Oberbürgermeister der Stadt Kulmbach hatte seinen Sprecher ausrichten lassen, dass der Fall juristisch geklärt sei. Aber nicht für Thomas Weiß. Der möchte ihn jetzt wieder aufrollen. „Es wurden Fehler gemacht, für die mein Bruder und ich jetzt den Kopf hinhalten müssen.“