Sexualisierte Gewalt: Es gibt Hilfe

Von Christina Holzinger
Susanne Werner (Opferhilfe Oberfranken), Maria Lampl (Avalon), Alfons Hrubesch (Opferhilfe Oberfranken) sowie Peter Müller (Bayreuth ohne Gewalt) diskutieren, wie Opfern sexueller Gewalt geholfen werden kann. Foto:Christina Holzinger Foto: red

Jede dritte Frau in Deutschland hat in ihrem Leben sexuelle Gewalt erfahren. Zu diesem Ergebnis kommt eine EU-Befragung. Doch die Dunkelziffer ist laut der Befragung deutlich höher, immerhin wird nur ein geringer Bruchteil der Straftaten angezeigt. Für Maria Lampl, Vorsitzende von Avalon, einer Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt, ist der Grund klar: Die Opfer reden oft aus Scham und Angst vor Vorwürfen nicht über das Erlebte. Doch das muss nicht sein. Es gibt viele Beratungsstellen, die den Frauen zur Seite stehen.

 
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Was sexuelle Gewalt ist, lässt sich nicht klar definieren. Während für den einen eine Umarmung eine Grenzüberschreitung ist, fühlt sich ein anderer in dieser Situation wohl. Deshalb versteht jeder Mensch unter diesem Begriff etwas Anderes. Seit einiger Zeit gibt es eine App mit dem Namen „Keine Kleinigkeit“. Dort können Frauen anonym sexuelle Gewalt melden, sich über Anlaufstellen informieren und die Tat online bei der Polizei anzeigen.

Video-Interview mit Gabi Gossow-Look, Leiterin der Avalon-Beratungsstelle

Im vergangenen Monat wurden fast 47.000 Belästigungen auf der Seite gemeldet. Dazu zählen über 100 körperliche Belästigungen, 75 Belästigungen durch Exhibitionismus, etwa 200 Belästigungen im Internet. Auch wenn die Zahl nicht repräsentativ ist, zeigt es doch, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem in Deutschland ist und immer mehr Frauen – wenn auch anonym – bereit sind, darüber zu reden.

Öffentliche Debatte

Sicher dazu beigetragen hat die „Me Too“-Kampagne, die nach den Vergewaltigungsvorwürfen gegen den US-Filmproduzenten Harvey Weinstein entstand. Tausende Frauen erzählten unter dem Hashtag #metoo von ihren Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Doch wie sollte in der Öffentlichkeit darüber geredet und geschrieben werden? Das erklärten Gabriela Gossow-Look, Leiterin der Beratungsstelle und Maria Lampl in einer Redaktionskonferenz des Nordbayerischen Kuriers. Denn: Worte schaffen Wirklichkeit. Auch wenn in vielen Bereichen aus Sicht der Expertinnen bereits sehr sensibel mit dem Thema umgegangen wird, müsse noch mehr getan werden.

„Schuld und Scham sind die Kerngefühle der Opfer bei sexueller Gewalt“, sagen Lampl und Gossow-Look. Deshalb wenden sie sich nur selten an Freunde und Familie. Umso wichtiger ist es, den Opfern eine konkrete Lösung anzubieten und ihnen zu helfen, denn „sie wenden sich nicht mehr an ihr soziales Umfeld, wenn sie keine Hilfe bekommen“. Hilfreich ist es auch, sich über seine eigenen Vorurteile klar zu werden und sich in die Situation eines Opfers hineinzuversetzen, wenn man über dieses Thema redet oder schreibt.

Bereits von Kindheit an

Doch was kann in Bayreuth dafür getan werden, die Opfer zu schützen und Übergriffe zu verhindern? Darüber diskutierten Maria Lampl, Vorsitzende des Vereins Avalons, Peter Müller vom Verein Bayreuth ohne Gewalt, sowie Alfons Hrubesch und Susanne Werner von der Opferhilfe Oberfranken. Die drei Vereine betreuen Opfer von Gewalt und versuchen durch Präventionsmaßnahmen Straftaten zu verhindern.

Ihr Ansatz: Bereits im jungen Alter Kinder für sexualisierte Gewalt sensibilisieren. Denn nur so kann erreicht werden, dass es normal wird, über sexualisierte Gewalt zu sprechen und sich Hilfe zu suchen. Und bereits im Kindergarten eine frühe sexuelle Aufklärung durch die Eltern, damit die Kinder lernen „über eine gesunde Sexualität zu sprechen“ und wissen, dass sie mit jedem Thema zu ihren Eltern kommen können.

Gesellschaftliche Akzeptanz schaffen

Kindergartenkinder, Grundschüler, Konfirmanden, Schulklassen und ihre Betreuungspersonen lernen von Peter Müller vier für ihn elementare Bausteine: Selbst-Wert, Selbst-Bewusstsein, Selbst-Behaupten und Selbst-Verteidigen. „Gewalt ist ein Ausdruck des fehlenden Selbstwertes des Täters“, denn der Täter bezieht sein eigenes Selbstwertgefühl aus der Erniedrigung seines Opfers. Wenn die Kinder lernen, ihren Selbstwert aus anderen Dingen zu beziehen, als Gewalt und sich selbstbewusst gegen andere behaupten und verteidigen können, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit weder zum Opfer, noch zum Täter.

Lampl verfolgt mit Selbstbehauptungskursen für Mädchen und Frauen einen ähnlichen Ansatz. Jedoch müsse erst eine gesellschaftliche Akzeptanz für Frauen und Mädchen geschaffen werden, die sich lautstark wehren, ohne „gleich als Zicke oder hysterisch abgestempelt zu werden“, sagt Lampl.

Menschen reagieren unterschiedlich

Doch wie kann man sich und andere konkret schützen? „Übergriffe sind für die meisten Menschen zum Glück eine Ausnahmesituation“, sagt Müller. Seiner Erfahrung nach gibt es drei Arten, darauf zu reagieren: Flucht, Angriff, Verleugnung. Der Fluchttyp gerate nur selten in für ihn gefährliche Situationen, da er beispielsweise sein Auto nicht nachts auf einem verlassenen Parkplatz abstellt.

Der Angriffstyp suche nach Konfrontationen. Der letzte Typ verleugnet bis zur letzten Sekunde sein Bauchgefühl: Bis zuletzt glauben diese Menschen nicht, dass sie tatsächlich in Gefahr schweben, obwohl sie sich in der Situation unwohl fühlen. Diese Menschen lernen bei Lampl und Müller nicht nur, auf ihr Bauchgefühl zu hören, sondern auch, sich lautstark und notfalls mit körperlicher Gewalt zu wehren.

Hilfe sein und Hilfe suchen

Oft erzählen die Kinder selbst von Erlebnissen in ihrer Kindheit oder trauen sich, Gewalt im eigenen Umfeld anzuzeigen. Wichtig bei der Arbeit der Vereine ist es: Alternativen aufzeigen, aber keine Zwänge setzen. „Die Frauen haben die Chance, etwas zu ändern, das müssen sie aber selbst wollen“, sagt Lampl.

Info: Anlässlich des heutigen Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen rufen verschiedene Bayreuther Organisationen dazu auf, beim Lichtermarsch durch die Innenstadt teilzunehmen. Treffpunkt ist um 17 Uhr am La Spezia Platz, im Anschluss des Lichterumzuges findet um 18 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst in der Schlosskirche statt. Mit dem Umzug soll auf die Situation misshandelter Frauen aufmerksam gemacht werden. Teilnehmen kann jeder unabhängig seines Alters oder Geschlechts.

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