Redakteure lesen in ausverkaufte Halle Witziges und Verstörendes Der 2. Kurier-Hate-Slam: Verstörend lustig

Von Michael Weiser

Das Zentrum ausverkauft, die Stimmung - über weite Strecken - prächtig, und das alles dank klassischer Fehlleistungen: Der 2. Hate Slam des Nordbayerischen Kurier im Leselust-Festival ermöglichte einen Blick auf Höhen unfreiwilligen Humors und in die Tiefen menschlicher Abgründe. 

 
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Eigentlich kaum vorstellbar, dass das Spaß macht. Dass man sich freuen kann über Häme, Schimpf und Unzulänglichkeiten. Doch die Sechs auf der Bühne scheinen das tatsächlich zu genießen, so gedehnt und betont lesen sie aus Wutbriefen, Hassmails und Text-Ungetümen vor. Joachim Braun etwa, der Chefredakteur; er trägt aus einem Leserbrief vor, der an ihn gerichtet war. Es klingt, als kaue er jedes Wort und führte es im Mund spazieren: „Dann fassen Sie sich bitte mal an der eigenen dicken, dicken Nase. Die Zahl der Rechtschreibfehler in Ihrem Blatt ist un-glaub-lich.“

Die ersten Minuten verstreichen, und man stellt fest: Ist ja tatsächlich lustig, wenn sich einer vergaloppiert, sei’s aus Einfalt, Eitelkeit oder Ungeschick.

Und ein paar Augenblicke später merkt man, dass es überhaupt nicht lustig ist, wenn jemand aus voller böser Absicht aus Abwege gerät.

Wenn einer einem erstochenen Asylbewerber ein „Bimbo“ ins Grab nachruft und ein anderer hämt: Könne ja sein, dass ein „Artgenosse“ das Messer geführt hab. Das Lachen im ausverkauften Zentrum erstirbt kurz. Wenigstens sind die Briefe nur aus Sachsen, in Bayreuth scheint die Redaktion nicht fündig geworden zu sein. Obwohl – eine Schreiberin mokiert sich über das Thema Juden und Holocaust, und darüber, „dass immer auf uns Deutschen herumgehackt wird“.

Zuerst war’s lustig, jetzt ist man verstört, überhaupt gleicht der Abend einer Gratwanderung. Mal blickt man auf Höhepunkte schreiberischen Scheiterns, dann wieder starrt man in Abgründe. Christina Knorz, Katharina Ritzer und Ulrike Sommerer sowie Joachim Braun, Otto Lapp und Manfred Scherer lesen im Rahmen des „Leselust-Festivals“, die Veranstaltung heißt „Hate Slam. The Best of Kurier-Leser.“ Und eigentlich ist alles Mögliche an diesem Titel irreführend. Es ist kein Slam, es geht nicht nur um Hass, es ist auch gar nicht das Beste, sondern das exquisit Schlechte, und das nicht nur von Lesern sondern auch von Autoren der Zeitungen.

Viel Spaß macht’s dem Publikum, wenn sich jemand aus der Redaktion an die dicke, dicke Nase fasst. Also, das heißt nicht unbedingt sich selber, sondern einem Kollegen. Zwei Kollegen unterstützen die Kurier-Mannschaft, Christian Jakubetz und Ralf Heimann. „Die tote Kuh kommt morgen rein“ heißt Heimanns Roman, der von einer Lokalredaktion erzählt. Es wäre für unseren Berufsstand besser, er hätte sich alles ausgedacht. So aber hält die Wirklichkeit mühelos mit der Fiktion mit. Etwa in einem Bericht, den ein Autor über ein Fest mit Stripperin dichtete. „Er (also Gott, Anm. der Red.) hat seine Gaben filigran verteilt.“ Aberwitz in Kurzform: „Die Luft aus dem Darm hat Charme.“ Echte witzige Fehler wie der, der aus dem „Flötenkreis“ das „l“ entfallen lässt, sind ja eher selten. Nicht so selten wie Eitelkeit: Ein Stadtrat will der Redaktion die Verwendung alter Fotos untersagen (er mit Vokuhila-Matte) und fängt sich eine Retourkutsche ein, die ausgerechnet die Oberbürgermeisterin losprusten lässt.

Dann wieder prasseln Ergüsse von Wutbürgern, Erpressern, Rassisten auf einen ein. Einer regt sich über seinen zugemüllten Briefkasten auf und lässt sich von seiner Empörung forttreiben – bis zu dem Punkt, dass krebskranken Kindern nichts mehr spenden will. Man will das gar nicht verstehen. Eher schon dieses Wortgespann von grandioser Sinnlosigkeit: Was zum Geier meint jener unveröffentlichte Serienleserbriefschreiber mit der „Wahrheit von der Wirklichkeit?“

Wir werden genau das noch ergründen müssen. Am besten nächstes Jahr, in einer weiteren Auflage des Hate Slams.

Hier der komplette Mitschnitt:

Bilder