"Parsifal" in Coburg: Ein Ereignis

Von Michael Weiser
Der Letzte macht das Licht aus: Amfortas ist erlöst, der Gral enthüllt, Parsifal (Roman Payer) wirft einen Blick auf das, was man zurücklässt. Foto: Jan Eichhorn Foto: red

Kleine Bühne, kleines Orchester: Das Landestheater Coburg hat dennoch einen bemerkenswerten "Parsifal" im Repertoire.

 
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Diese geistige Nahrung ist, man ahnt es schon, allenfalls Konservenfutter, etwas wahrhaftig Gesundes mag man sich darunter nicht mehr vorstellen. Amfortas hat den Gral enthüllt, es ist Zeit fürs Abendmahl, die Ritter sinken pflichtschuldigst auf die Knie. Doch da sind nicht Erleichterung noch Gnade im Blick, allenfalls eine Freude, die an Wahnsinn erinnert. Wie sie der Dinge harren, die da noch kommen mögen, mit erloschenen Mienen, wirken die Gralsritter wie die „Lebensmüden“ aus Ferdinand Hodlers Gemälde.

So stellt Jakob Peters-Messer zum Ende des ersten Aufzugs in seiner „Parsifal“-Inszenierung am Landestheater Coburg die Weichen: Gottesdienst, der Gral, das Abendmahl sind bei ihm nur noch leeres Ritual, eine Sprache, mit der man sich verständigt – ohne im Augenblick zu wissen, worüber, als Gruppe ohne fassbaren Auftrag.

Diese Deutung ist so neu nicht. In Coburg aber kleidet sie sich in einfache und treffende Bilder. Der Zauber ist hier nur noch das Aufleuchten von Neonröhren in einem nüchternen, nicht näher deutbaren Raum. Eine Ecke des Raums ist schon eingestürzt, am Ende wird sich – und das ist das eigentliche „Charfreitagswunder“ – die Decke heben. Dahinter ist die Schwärze des Schnürbodens und damit eigentlich des Weltalls. Das Licht der Scheinwerfer könnte kaltes Sternenlicht sein.

Der "Parsifal" funktioniert auch in Coburg

Der „Parsifal“ ist bekanntlich Richard Wagners Weltabschiedswerk und das einzige, das er eigens für das Festspielhaus und seine besonderen Dimensionen geschrieben hat. Nun ist das Theater in Coburg ein schönes Haus, aber Wagners Vorstellungen so gut wie entgegengesetzt. Der „Parsifal“ funktioniert dennoch. Anders, das ja. Aber er funktioniert. Das war keine „für Coburg gute“ Vorstellung, es war eine an sich gute Vorstellung.

Denn dieser „Parsifal“ in Coburg ist schlank, nicht schmalbrüstig. Regisseur Peters-Messer und sein Bühnenbauer und Lichtdesigner Guido Petzold arbeiten mit einfachen Mitteln, aber das genau: Gebärden und Mimik unterstützen die Botschaft der Musik und des Textes, der in Coburg so gut verständlich über die Rampe kommt, dass es der Übertitel kaum bedarf. Am Ende des zweiten Aktes ist da kein Zauber, Parsifal nimmt den Speer einfach aus den Händen Klingsors, damit hat sich’s im Wesentlichen. Das ist kurz ein wenig hilflos; andererseits hat Parsifal ja auch längst begriffen, was der Zuschauer erst noch lernen muss: da ist viel weniger zwischen Himmel und Erde, als unser Kinderglaube sich träumen lässt. Da bedarf es dann keiner schwebenden Speere mehr. Durchaus schlüssig: dass Michael Bachtadze sowohl Amfortas als auch Klingsor verkörpert. Allmählich verwandelt sich der Böse in den sündhaften Guten, man merkt, dass die beiden nur zwei Seiten einer Medaille sind, die an einen Mann namens Jesus Christus erinnert. Klingsor zum Amfortas gewandelt, steht da als Gekreuzigter. Eine Pose, die Parsifal gleich darauf nachahmt: Mitleiden durch nachempfinden.

Gute Sänger

Diese Inszenierung ist ein Ereignis. Coburg hat gute Sänger in seinem Aufgebot, im Chor ebenso wie als Solisten. Bachtadze ist ein fast schon zu vitaler Amfortas, mit allerdings schöner Strahlkraft und guter Vernehmbarkeit, Michael Lions Gurnemanz ein kerniger, nur selten angestrengter alter Weiser. Tünde Szaboki benötigt einen Aufzug, um sich freizusingen, ist aber insgesamt eine solide, in manchen Momenten vor allem des zweiten Aufzugs („was ihr das Lust und Lachen schuf“) eine glänzende Kundry. Roman Payers Parsifal wiederum ist nie ein fröhlicher Kindskopf, er ist, wenn schon kein Wissender, so doch ein Ahnender. Etwas matter, dunkler gefärbt als etwa zuletzt in Bayreuth Klaus Florian Vogt, überzeugt auch er mit ausgefeiltem Spiel und Deutlichkeit.

Mischklang, der nichts an Transparenz vermissen lässt

Die Blumenmädchenszene ist gut gelungen, man sieht dem Häschen umarmenden Parsifal glaubhaft ein Kindheitstrauma attestiert, was über spröde Töne im doch lieblichen Verführungsakt hinweghören lässt. Erstaunlich nah an Wagner sind die Coburger mit ihrer Nutzung des Theaterraums. Nicht nur von Bühne und Hinterbühne erklingt der Chor, sondern manchmal von oben, von den Rängen aus – eine verblüffende Raumwirkung.

Man ist dicht dran am Orchester, so dicht, dass man manchmal den Stab des Dirigenten Roland Kluttig über den Rand hinauszacken sieht. Es stört – überhaupt nicht. Kluttig gestaltet das Vorspiel langsam (ohne es zu zerdehnen) und findet dann in eine geschwindere Schrittzahl. Natürlich können die Wände dieses Hauses den Klang nicht wie das Festspielhaus atmen, ein bisschen weniger Parfüm aber schadet gar nicht: Kluttig leitet sein Orchester zu einem Mischklang, der nichts an Transparenz vermissen lässt.

Von der Rampe

Es ist natürlich einiges anders als von Wagner vorgeschrieben. Die Stimme Titurels (Felix Rathgeber) ertönt nicht aus einer Nische „wie aus einem Grabe heraufdringend“, sondern von der Rampe, wo Titurel mit dem Rücken zum Publikum sitzend das Walten seines Sohnes überwacht. Am Ende ist das nicht ein fröhliches Beisammensein gemeinsam Erlöster. Parsifal ist zurückgekommen, im orangenen Gewand eines heiligen Mannes aus Indien. Den Speer taucht er in den Gral, den Kundry emporhebt – die Aufhebung der Gegensätze. Die Ritter wie auch Amfortas und Gurnemanz haben da den Raum schon verlassen. Parsifal geht als Letzter, Gral und Lanze sind auf Titurels Sarg abgelegt. Alter Plunder.

Diese entgötterte Welt wird Mitleid dringender brauchen als weitere Erlöser.

Info:Nächste Termine: Sonntag, 23. April, Sonntag, 30, April, Donnerstag, 15. Juni, Sonntag, 18. und 25. Juni.

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