"Buchhalter von Auschwitz" verurteilt

Der frühere SS-Mann Oskar Gröning 2015 in einem der letzten großen Auschwitz-Prozesse vom dem Landgericht Lüneburg. Foto: Axel Heimken/dpa Foto: red

Oskar Gröning, der «Buchhalter von Auschwitz», ist rechtskräftig verurteilt - wegen Beihilfe zu Hunderttausenden Morden. Damit ist höchstrichterlich klargestellt, dass an einem solchen Ort auch ein «Rädchen im Getriebe» nicht ohne Schuld bleibt.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Sieben Jahrzehnte nach dem Holocaust haben die höchsten deutschen Strafrichter erstmals einen Auschwitz-Mithelfer mitverantwortlich für Hunderttausende Morde in dem Arbeits- und Vernichtungslager gemacht. Mit einem am Montag veröffentlichten Beschluss bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) die Verurteilung des früheren Buchhalters und Wachmannes in Auschwitz, Oskar Gröning, wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen. Der 95-Jährige habe «durch seine allgemeine Dienstausübung in Auschwitz bereits den Führungspersonen in Staat und SS Hilfe» geleistet. Nebenkläger begrüßten die Entscheidung als «wichtige Korrektur der früheren Rechtsprechung».

Der frühere SS-Mann Gröning war im Juli 2015 in einem der letzten großen Auschwitz-Prozesse vom Landgericht Lüneburg zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte eingeräumt, das Geld der verschleppten Juden verwaltet und die Ankunft der Transporte an der sogenannten Rampe mit beaufsichtigt zu haben. Das Gericht wertete das als Beitrag zum Funktionieren der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie.

Damit wurde der frühere SS-Mann schuldig gesprochen, ohne dass er an einzelnen Mordtaten direkt beteiligt war. Revision dagegen eingelegt hatten Gröning selbst sowie einige der mehr als 70 Nebenkläger. Sie wollten erreichen, dass Gröning als Mittäter bestraft wird.

Mit der Bestätigung durch den BGH ist das Lüneburger Urteil rechtskräftig. Ob Gröning tatsächlich ins Gefängnis muss, hängt von seiner Gesundheit ab. Sein Verteidiger Hans Holtermann sagte, er prüfe auch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde.

Die Verurteilung stützt sich auf den Zeitraum der «Ungarn-Aktion» 1944, während der Gröning nachweisbar mindestens drei Mal an der «Rampe» Dienst tat. Das Landgericht hatte angenommen, dass während dieser organisierten Deportation ungarischer Juden mindestens 300 000 Menschen in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden.

Zentral ist, dass die BGH-Richter eine Schuld Grönings ausdrücklich auch für die Opfer bejahen, «bei deren Eintreffen er keinen Rampendienst versah». Voraussetzung der «Ungarn-Aktion» sei «das Bestehen eines organisierten Tötungsapparates» gewesen. Dazu habe auch das diensttuende Personal gehört. Damit hebt sich die Entscheidung deutlich ab von einem BGH-Urteil von 1969. Damals hatten die Richter den Freispruch eines Lagerarztes bestätigt, weil nicht jeder in Auschwitz «für alles Geschehene verantwortlich» gewesen sei. Das hatte die Verfolgung von Handlangern über Jahrzehnte erschwert.

Nun sei endlich anerkannt, dass auch die «funktionelle Beihilfe» von SS-Leuten im Lager Massenmord gewesen sei, erklärten die Anwälte der meisten Nebenkläger, Thomas Walther, Cornelius Nestler und Manuel Mayer. Erst das Urteil gegen John Demjanjuk sei die Wende gewesen.

Der frühere Aufseher im Vernichtungslager Sobibor wurde 2011 wegen Beihilfe zum Mord an 28 000 Juden zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde nicht rechtskräftig, weil Demjanjuk vorher in einem Pflegeheim starb. Die Nazijäger von der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen nahmen den späten Prozess aber zum Anlass, ihre Ermittlungen auch in anderen Fällen voranzutreiben.

Der Leiter der Zentralen Stelle, Jens Rommel, nahm die BGH-Entscheidung erleichtert auf. Es sei heute nahezu ausgeschlossen, eine Tatbeteiligung noch im Einzelnen nachzuweisen. Hätte der BGH darauf gepocht, «wäre es kaum möglich gewesen, Leute noch zur Verantwortung zu ziehen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Das Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem forderte Deutschland auf, weiter NS-Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. «Die Zeit verringert nicht die Schuld dieser Mörder», sagte der Leiter Efraim Zuroff. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erklärte, für Gerechtigkeit sei es nie zu spät. «Auch bei der juristischen Aufarbeitung von Auschwitz darf es keinen Schlussstrich geben.» Das Internationale Auschwitz Komitee bezeichnete die Entscheidung als «lange wirkendes Signal» auch für künftige Völkermord-Prozesse.

dpa

Autor