Prozess um Mordversuch: 22-Jährige für Messerangriff gegen Schlafenden angeklagt Opfer will Täterin schützen

Von Manfred Scherer
Eine 22-jährige Frau steht wegen versuchten Mordes vor gericht. Sie soll einen Gleichaltrigen mit einem Küchenmesser angegriffen haben, während der schlief. Foto: Britta Pedersen dpa Foto: red

Eine Anklage des heimtückischen Mordversuchs. Eine Angeklagte, die bei der Bluttat 1,8 Promille intus hatte und die vor Gericht keinen Grund für die Tat nennen kann. Ein Opfer, das nach der Tat nur sagte: „Ich brauch’ erst mal eine Zigarette!“ und vor Gericht keinerlei Interesse an einer Bestrafung der mutmaßlichen Täterin zeigt. Das sind die Zutaten für einen ungewöhnlichen Schwurgerichtsprozess, der am Dienstag am Landgericht begann.

 
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Versuchter Mord – das ist ein Vorwurf, der strafrechtliche Folgen bis zur Höchstgrenze von lebenslänglich haben kann. Diese Drohung schwebt über einer 22-jährigen Frau aus dem Landkreis Kulmbach. „Unbedingten Vernichtungswillen“ wirft Staatsanwalt Holger Gebhard der jungen Frau vor. Sie soll am 8. Januar in Untersteinach mit einem großen Küchenmesser auf einen im Bett liegenden und schlafenden 22-jährigen Bekannten eingestochen haben.

Hauptzeuge mag nicht ins Gericht kommen

Dieser 22-Jährige brachte am Dienstag das Schwurgericht unter Vorsitz von Michael Eckstein zwar nicht durcheinander, aber auf fast 180: Er erschein nicht zu seiner geplanten Zeugenvernehmung. Das Gericht erließ einen Vorführbefehl und verhängte ein Ordnungsgeld – da platzte ein Anruf des Zeugen mitten in die Verhandlung. Der Vorsitzende Richter ermahnte ihn, schleunigst zu erscheinen.

Hauptzeuge lässt sich von der Polizei abholen

Dass der arbeitslose und wohnsitzlose Mann der Aufforderung nachkommen werde, war Wunschdenken. Erneut gab es ein Telefonat mit dem Gerichtsvorsitzenden, diesmal im Gerichtssaal. Und es gab einen der seltenen Momente, wo man Michael Eckstein ratlos erlebte: „Was? Sie haben verschlafen? Sie wollen abgeholt werden?“

Er ist ihr nicht böse: "Vorbei ist vorbei"

Eine Polizeistreife brachte den unwilligen Hauptzeugen spät nachmittags. Nach einem Alkotest, den das Gericht vorsorglich angeordnet hatte – er erbachte 0,46 Promille – beantwortete der Zeuge widerwillig Fragen. "Keiner kann verstehen, dass ich ihr nicht böse bin. Vorbei ist vorbei.“ Letztlich bestätigte der Mann, dass er damals in der Wohnung der Frau mit einem Messer gestochen worden sei. Und er spielte das herab: „Ich habe geblutet. Ja. Sie hat von sich aus aufgehört. Ich bin aufgestanden, habe mir ein Handtuch auf meine Wunde am Arm gehalten. Ich wollte bloß noch rauchen.“ Seine erste Aussage bei der Polizei, wo er die Angeklagte beschuldigte, sie habe beim Zustechen gerufen „Du kommst hier nicht mehr lebend raus“, kann oder will er nicht bestätigen. Nach drei Tagen im Krankenhaus habe er sich selbst entlassen. Nach seiner Aussage wollte der Zeuge sich von der Angeklagten mit einer Umarmung verabschieden – der Gerichtsvorsitzende erlaubte das nicht.

Frust, weil ein Anbandelversuch nicht klappte

Durch Vernehmung weiterer Zeugen konnte das Gericht die Ereignisse des 8. Januar etwas klarer machen. Die Angeklagte lebt mit Verwandten, ihrem fünfjährigen Kind und dem Vater des Kindes in einer großen Mietswohnung. Mit dem Vater des Kindes hat sie zwar täglich Kontakt, aber so richtig „zusammen“ scheinen beide nicht mehr zu sein. Der später mit dem Messer verletzte ist ein Bekannter, der an jenem Tag beim Entrümpeln half und danach in der Wohnung nächtigte.

Doch was steckt hinter dem Messerangriff? Immerhin listet die Anklage drei Stichverletzungen in den Oberkörper und sechs Stichverletzungen an Armen oder Beinen auf. Laut Anklage bestand jedoch keine akute Lebensgefahr.

Die Angeklagte sagt, sie sein an jenem Abend stark frustriert gewesen, nachdem sie in der Wohnung gegenüber erfolglos versucht hatte, mit einem Nachbarn anzubandeln. Sie habe sich noch mehr betrunken. Ihr eifersüchtiger Ex-Freund sei aufgetaucht, es habe Streit gegeben. Warum sie aber später auf den Bekannten ihres Ex-Freundes eingestochen habe, das könne sie nicht mehr nachvollziehen.

Die junge Frau ist wegen Alkohol- und Drogenproblemen in einer Therapieeinrichtung untergebracht.

Noch mehr Licht in die Angelegenheit sollen zwei Gutachter bringen. Einer ist für die Beurteilung der Verletzungen zuständig. der andere für die Beurteilung der Psyche der Angeklagten. Der Prozess wird fortgesetzt.

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