Bilder für Blinde Eine Ausstellung für Menschen, die nichts sehen

Von Tobias Köpplinger

Philipp Schramm fängt bei der Farbe an. Blau, ein Bogen. Danach Lila, ein Streifen. Philipp Schramm sagt: „Der mittlere Streifen führt nach unten.“ Hilde Heilmann nickt, fährt mit dem Finger erst über Blau, dann über Lila. Sie nickt wieder, lächelt als sie an die Klebefalz stößt. Hilde Heilmann ist blind. Und sie besucht eine Kunstausstellung.

 
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Sie steht im Kunstmuseum Bayreuth und hält einen gefalteten Papierbogen in der Hand. Darauf: der Bogen, der Streifen, die Farben. Neben ihr: Philipp Schramm, der Kunsthistoriker erklärt die abstrakten Formen von Patrick O’Doherty. Schramm beschreibt und illustriert. Er ist für eine gute Stunde das Auge von Hilde Heilmann.

Vielleicht ist Philipp Schramm so etwas wie ein Museums-Blauhelm. Man könnte sagen, der Kunsthistoriker handelt im Auftrag der Vereinten Nationen, er setzt die 2008 verabschiedete Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung durch. Insgesamt 50 Artikel, die behinderten Menschen die gleichen gesellschaftlichen Rechte garantieren wie nichtbehinderten. Die deutsche Bürokratie hat die Konvention mit Inklusion übersetzt. Das klingt kompliziert. Wenn Philipp Schramm sagt, was er tut, klingt es einfach: „Gleiche Behandlung für alle.“  Auch Kunst kommt in der Konvention vor. Artikel 30. Und darum kümmert sich Schramm jetzt.

Er will blinden Menschen das Museum genauso nahebringen wie sehenden. Dafür hat er das Papier gebastelt, den Bogen ausgeschnitten, die Streifen geklebt. Erst deutet er auf eine grüne Fläche, dann zuckt er und führt den Daumen von Hilde Heilmann über das Papier. „Das Grün ist so ähnlich wie das von der Pistazie.“ Hilde Heilmann nickt.

Kunsthistoriker Schramm sagt, das sei alles ein Experiment. Die Anregung für die Führung kam vom Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB). Philipp Schramm sagt: „Am Anfang klang das alles paradox.“ Blinde können Skulpturen ertasten, aber wie sollen blinde Menschen Bilder ansehen? Aber das klärte sich schnell. Eine Mitarbeiterin aus der oberfränkischen BBSB-Gruppe in Bamberg schaute sich das Kunstmuseum an. Philipp Schramm fuhr in das Museum Städel nach Frankfurt, schaute sich an, wie dort auf  Blinde und Sehbehinderte eingegangen wird.

Schramm ließ sich inspirieren, schaute, was möglich ist: Audioguides, Leitsysteme, Führungen. Für große Häuser mit viel Geld ist das alles kein Problem. Aber das Kunstmuseum in Bayreuth ist kein großes Haus. Ein Budget für das Projekt gab es nicht. Übrig blieb die Idee mit den Führungen und Schramms Engagement. Knapp eineinhalb Jahre hat er an der Führung für Blinde, Sehbehinderte und Sehende gearbeitet. Kommenden Mittwoch stellt das Museum die Führung zur Woche des Sehens vor.

Hilde Heilmann war schon zweimal in der Ausstellung. Sie ist nicht von Geburt an blind, ein vererbtes Augenleiden ließ ihre Sehkraft erst schwinden, dann erblindete die heute 61-Jährige vor 30 Jahren vollständig. „Aber ich kann mich an Farben erinnern und die Bilder entstehen dann in meinem Kopf“, sagt sie. Hilde Heilmann und Philipp Schramm stehen jetzt im letzten Raum der Ausstellung. Schramm spricht über den Raum, die Wand, den Rahmen. Dann beschreibt er den Inhalt. Quadrate, Striche und Linien. Hilde Heilmann nickt wieder. Dann sagt sie: „Er macht das sehr gut.“

Fotos: Harbach

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